„Wir müssen den Mut haben, kritische Fragen zu stellen.“

Interview mit Clemens von Stockert

Herr von Stockert, die Compliance-Abteilung der Fraport AG macht ihre Online-Umfrage „Wertebasierte Compliance“ schon seit 2003 in einem Zweijahresturnus. Das ist schon eine lange Messreihe, die wahrscheinlich kein anderes Unternehmen in Deutschland so vorweisen kann. Wie hat sich dabei Ihre Vorstellung von dem vieldiskutierten Begriff „Wirksamkeit“ der Compliance-Maßnahmen verändert?
Heute ist das für mich eine Frage der Wirkmächtigkeit. Ich meine damit die Wirkmächtigkeit einer Grundidee, was ein integres Verhalten ist, die wir als Compliance Manager versuchen, in die Köpfe und Herzen der Mitarbeiter einzubringen. Es ist eine bewusste Entscheidung des Unternehmens und es will auch von den Mitarbeitern so wahrgenommen werden. Die Umfrage ist für uns ein Instrument zu einer kontinuierlichen Erhebung der Wahrnehmung und der Wahrnehmungsveränderung des Themas wertebasierte Compliance. Mit der Umfrage wollten wir aber nicht nur ein Feedback einsammeln, sondern die Wirkung, Akzeptanz und die Einflussfaktoren des Werte- und Compliance-Management-Systems messen. Dazu gibt es im Fragebogen eine meines Erachtens zentrale Frage, ob die Verhaltensstandards für die Mitarbeiter eine hilfreiche Orientierung bei ihrer täglichen Arbeit sind. Hier hatten wir übrigens eine achtzigprozentige Zustimmungsquote.


Clemens von Stockert, Foto: Privat

Sie haben auch offene Antwortmöglichkeiten zugelassen. Zum Beispiel für die Frage Nr. 13 „Welche Unterstützungsleistungen erwarten Sie (noch zusätzlich) durch die Compliance Fachabteilung bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben?“ Wurde diese Möglichkeit von den Mitarbeitern genutzt?
Im Fragebogen haben wir an mehreren Stellen offene Antwortmöglichkeiten zugelassen. Bei der Frage Nr. 13 hatten wir sogar sehr viele Antworten bekommen. Es gab zum Beispiel den Wunsch nach mehr Präsenzveranstaltungen in den Bereichen und nicht alleine Web-Based-Trainings.

Bei dieser Frage ging es uns darum, herauszubekommen, ob wir mit dem richtigen Augenmaß unterwegs sind. Ob wir also zu viel gemacht haben oder zu wenig. Viele Mitarbeiter gaben an, es brauche keine zusätzliche Unterstützung. Aber diejenigen, die sich inhaltlich mit wertebasierten Compliance auseinandergesetzt haben, die schrieben uns, wir sollen auch in die Bereiche kommen und bereichsspezifische Veranstaltungen machen. Das haben wir im Schulungsprogramm für 2016 entsprechend mitberücksichtigt.

Wie haben Sie davor Ihre Compliance-Trainings gestaltet?
Wir hatten bis 2012 ausschließlich Präsenztrainings gemacht. Und haben erst dann angefangen, Mitarbeiter nach ihren bestimmten Funktionen zu kategorisieren und sie bestimmten Trainings zuzuordnen. Wir sind uns völlig einig, dass Präsenztrainings am besten und wünschenswert sind. Aber aus vielen Gründen können wir diese nicht immer durchführen.

Da Sie bereits eine lange Meßreihe haben, haben Sie eine hervorragende Möglichkeit, zu vergleichen und zu lernen…
Natürlich! Und bei jeder Umfrage legen wir einen anderen thematischen Schwerpunkt. Zum Beispiel bei der Befragung im Jahr 2015 war es uns wichtig, zu messen, ob die guten Ergebnisse von 2012 sich halten lassen, wenn die Mehrzahl der Mitarbeiter über WBTs geschult wurden. Würden dann die Zustimmung und die Wirkmächtigkeit der wertebasierten Compliance trotzdem erhalten bleiben? Und es hat sich gezeigt, dass das tatsächlich der Fall ist. Gleichwohl haben wir aus den Antworten zum Fragebogen herausgelesen, dass diejenigen, die in der Vergangenheit Präsenzschulungen bekamen und danach das WBT als eine Art Auffrischungslehrgang absolvierten, bei der Umfrage 2015 sicherer waren und entsprechend mehr beherzigen konnten. Das bedeutet, dass eine Präsenzschulung sehr wichtig ist und WBTs zumindest bei Führungskräften alleine nicht ausreichend sind.

An einer Stelle fragen Sie, ob die Befragten die Verhaltensstandards von dem Verhaltenskodex unterscheiden können. Und, konnten sie?
Das war eine versteckte Testfrage. Unsere Verhaltensstandards bestehen seit ungefähr 2004/2005 und waren bis 2015 unverändert geblieben. 2013 kam dann zusätzlich der Verhaltenskodex, in dem wir unser Bekenntnis zum Global Compact festgeschrieben haben. Diese Frage konnten also nur diejenigen beantworten, die tatsächlich die entsprechende Dokumente sehr detailliert gelesen und verstanden hatten.

Eines unserer Ziele war ja, dass wir mit der Befragung herausfinden wollten, ob die Kernbotschaften richtig angekommen sind. Die Umfrage ging diesmal an alle per WBT erreichten Mitarbeiter und nicht nur an die Führungskräfte der Ebene eins bis drei. 95 Prozent der Befragten gaben an, dass Verhaltenskodex und Verhaltensstandards verbindliche Richtlinien sind. Inhaltlich differenzieren konnten nur ca. 60 Prozent.

Ich fand es interessant, dass Sie viele Fragen zum Thema Unternehmenskultur stellen. Damit tun sich derzeit ja viele schwer. Denn Unternehmenskultur kann man ja angeblich nicht messen…
Diese Fragen zur Unternehmenskultur sind uns wichtig. Man muss auch den Mut haben, solche Fragen zu stellen. Eine deutliche Mehrheit ist der Meinung, dass die zentralen Compliance-Elemente einen positiven Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Für 80 Prozent sind die Verhaltensstandards eine hilfreiche Orientierung im Arbeitsalltag. Damit kann ich arbeiten. Ebenso mit der Rückmeldung, dass wir mit dem richtigen Augenmaß unterwegs sind.

Oder nehmen wir die Frage Nr. 11 „Inwieweit fühlen Sie sich unter Druck gesetzt, verbindliche Regeln zu umgehen, um wirtschaftliche Ziele zu erreichen?“ Solche Fragen sind risikoreich, aber sehr wichtig für die Compliance-Arbeit. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Mitarbeiter weder durch die Vorgesetzten noch durch die Geschäftspolitik unter Druck gesetzt fühlen, Compliance Regeln zu umgehen.

An einer Stelle im Fragebogen gibt es die Frage „Wie hoch ist Ihre Bereitschaft, sich in einer Konfliktsituation an die folgenden Ansprechpartner/Anlaufstellen für die wertebasierte Compliance zu wenden?“. Auf den ersten beiden Plätzen rangieren zuerst die eigene Führungskraft und dann die Compliance-Fachabteilung. Erst danach kommen interne Vertrauensperson und dezentraler Compliance-Beauftragter. Was schließen Sie daraus?
Hiermit beherzigen die Mitarbeiter die Kernbotschaft unserer Compliance- Kommunikation: Die Führungskräfte haben eine Vorbildrolle und sind erste Ansprechpartner der Mitarbeiter in allen Fragen und somit auch in Compliance-Fragen. Und wir als Compliance-Abteilung müssen Vertrauen haben in die Fähigkeit der Führungskräfte, dass sie angemessene Antworten auf die Fragen finden. Darüber hinaus sind es in der Regel die Führungskräfte, die präsenzgeschult werden.

Aber wenn man immer nur einen Schwerpunkt auf die Führungskräfte bei den Präsenzschulungen setzt, haben die normalen Mitarbeiter dann nicht irgendwann das Gefühl, dass Compliance etwas ist, was nur zwischen der Führungskräfteebene und der Compliance-Abteilung stattfindet?
Ich kann das Argument nachvollziehen. Auf der anderen Seite müssen wir als Compliance Officer auch bescheiden sein können. Das ist genau das, was wir mit „dem richtigen Augenmaß“ beschreiben. Im Unternehmen hat jeder Kollege Fach- und Sachverantwortung für bestimmte Prozesse. Oftmals sind es Prozesse, wo kein Bezug zu Korruption oder anderen Compliance-Risiken besteht. Da ist es aus unserer Sicht sinnvoll, dass man solche Mitarbeiter nicht mit Compliance-Schulungen behelligt, die nichts mit ihrer Arbeitswirklichkeit zu tun haben.

Wenn man also die Compliance-Risiko-Analyse ernst nimmt und sich fragt, wo sind denn die zentralen Risiken, wo hohe Strafen auf das Unternehmen zukommen könnten – dann ist man automatisch bei den Leuten, die Entscheidung treffen können, den Führungskräften. Natürlich kann der Sachbearbeiter auch bestimmte Dinge lenken oder verschleiern, um sich zum Beispiel zu bereichern, aber die kriminelle Energie, die dann da am Werk ist, die kann kein Compliance-System absichern.

Wir haben in der Compliance-Abteilung fünf Mitarbeiter, 11.400 Mitarbeiter bei der Fraport-Mutter und ca. 11.600 noch am Standort und weltweit. Der Versuch, auf die Verhaltensmuster jedes Mitarbeiters Einfluss zu nehmen, funktioniert meines Erachtens nur über die Wertekultur eines Unternehmens.

Wie arbeiten Sie heute mit dieser Umfrage?
Zurücklehnen gilt nicht und geht nicht. Aktuell arbeiten wir daran, diese Umfrage auch auf die Fraport-Töchter auszudehnen und diese unter den Führungskräften und dem administrativen Personal durchzuführen. Uns interessiert es, ob die Kernbotschaften auch bei ihnen angekommen sind.

Darüber hinaus werden die Erkenntnisse, die wir durch die Auswertung gewonnen haben, natürlich auch auf das Schulungsprogramm einen Einfluss haben. Wir werden also zusätzliche Präsenztrainings in den Bereichen anbieten und so das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt berücksichtigen. Und natürlich fließen die Ergebnisse auch in unseren Bericht an den Vorstand ein.
Das Gespräch führte Irina Jäkel.

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