Nun ist es soweit: Nach einer jahrelangen Odyssee ist am 02. Juli 2023 das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten. Mit dem Regelwerk soll die Bereitschaft, Missstände im eigenen Unternehmen zu melden, gefördert werden. Hierzu sollen potenzielle Hinweisgeber besser vor drohenden Nachteilen geschützt werden.
Selbstreinigungskräfte im Unternehmen
Bis hierhin war es ein weiter Weg. Dabei sind interne Verstöße von Mitarbeitern in Unternehmen schon länger ein ernstes Problem. Rund 40 % der Unternehmen in Deutschland gaben in einer aktuellen Erhebung an, Opfer von illegalem oder unethischem Verhalten gewesen zu sein (Fachhochschule Graubünden, Whistleblowing Report 2021, S. 14). Nicht selten sind an diesen Verstößen eigene Mitarbeiter beteiligt oder sogar ganze Unternehmenseinheiten involviert.
Häufig bringen Hinweise von Mitarbeitern den Stein ins Rollen. Dabei haben diese Personen ein großes Bedürfnis, im Unternehmen gehört zu werden. Studien belegen, dass rund 90 Prozent aller Hinweisgeber zunächst versuchen, intern die beobachteten Missstände anzusprechen. Erst wenn dies nicht gelingt oder keinen Erfolg verspricht, wenden sich diese Personen an Behörden oder die Öffentlichkeit. Somit profitieren Arbeitgeber von internen Meldungen, erhalten sie doch dadurch die Möglichkeit, Schaden vom eigenen Unternehmen bzw. der eigenen Institution rechtzeitig abzuwenden.
„Happy End“ eher selten
Trotz dieser Vorteile haben nur gut die Hälfte aller Unternehmen ab 50 Beschäftigten bereits eine interne Hinweisgeberstelle (Fachhochschule Graubünden, Whistleblowing Report 2021, S. 23). Doch selbst dort, wo Verstöße gemeldet werden können, ist die Angst vor Benachteiligungen und Zurückweisung groß.
Nicht immer wird den Hinweisen angemessen nachgegangen und nicht selten werden Maßnahmen gegen den Hinweisgeber selbst ergriffen. Von arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Versetzung, Gehaltskürzung, Kündigung etc.) bis hin zu Mobbing und gerichtlichen Auseinandersetzungen können solche Mitarbeiter betroffen seien, obwohl diese nur helfen wollten.
Meldestellen werden Pflicht
Um die Meldung von Missständen zu fördern und potenzielle Hinweisgeber besser vor drohenden Nachteilen zu schützen, hat die Europäische Union die sog. Hinweisgeberrichtlinie erlassen. Danach sollen die Rahmenbedingungen für Hinweisgeber in Organisationen und Unternehmen europaweit verbessert und vereinheitlicht werden.
Die Richtlinie ist seit dem 16. Dezember 2019 in Kraft und sollte von den EU-Mitgliedstaaten bis zum 17. Dezember 2021 umgesetzt werden. Deutschland hinkte lange mit der Umsetzung hinterher und muss deshalb voraussichtilich hohe Zwangsgelder an die EU zahlen.
Der Schutz von Hinweisgebern wird also in Zukunft verpflichtend. Die Bedeutung von internen Meldungen über Verstöße in Organisationen nimmt aber auch tatsächlich seit Jahren zu. Nach einer aktuellen Studie zählen mehr als die Hälfte der Compliance Manager die Betreuung des internen Hinweisgebersystem bereits heute zu den Kernaufgaben des Compliance Managements (BCM Berufsfeldstudie 2022, S. 27 f.). Durch die gesetzlichen Verpflichtungen rücken Hinweisgeber nun noch stärker in den Fokus.
Qualifizierte Mitarbeiter als „Salz in der Suppe“
Die Schwerpunkte der Diskussionen zum neuen Hinweisgeberschutzgesetz drehen sich insbesondere um die Frage der Gestaltung der internen Meldestelle und dem rechtlichen Schutz von Hinweisgebern. Hierbei stehen häufig prozessuale und technische Fragestellungen im Vordergrund, z.B. zum Meldekanal (elektronisch, telefonisch oder postalisch).
Das ist zunächst nachvollziehbar, müssen doch alle betroffenen Unternehmen entweder erstmalig eine Hinweisgeberstelle einrichten oder die bestehende Meldestelle an die neuen Anforderungen anpassen. Hierbei wird jedoch nicht selten der menschliche Faktor außer Acht gelassen.
Der Kern der Meldestelle besteht nämlich nicht aus der Technik und dem Verfahren, sondern aus den für die Bearbeitung der Meldung zuständigen Mitarbeitern. Diese Personen müssen dafür Sorge tragen, dass eingehende Meldungen zeitnah gesichtet und deren Relevanz und Stichhaltigkeit eingeschätzt werden. Gerade die Frage, ob der gemeldete Fall überhaupt in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt und der Hinweisgeber überhaupt, nach dessen Regelungen Schutz genießt, kann im Einzelnen sehr knifflig sein, z.B. beim Thema Mobbing.
Die Anforderungen an diese Meldestellenmitarbeiter sind dementsprechend hoch. Sie müssen insbesondere
- prüfen, ob ein meldefähiger Verstoß vorliegt,
- Bearbeitungsfristen einhalten,
- das strenge Meldeverfahren durchführen,
- die Vertraulichkeit Anonymität beim Umgang mit Meldungen wahren,
- den konstruktiven und vertrauensvollen Kontakt mit dem Hinweisgeber halten,
- ihre Arbeit unabhängig ausüben können,
- frei von Interessenkonflikten sein und
- über die notwendige Fachkunde verfügen.
Wichtig ist dabei: Diese Anforderungen beziehen sich auf alle Mitarbeitenden der Meldestelle. Dies sind mindestens zwei Personen, ein Meldestellenmitarbeiter und (mindestens) ein Stellvertreter. Nur auf diese Weise kann die ununterbrochene Funktionsfähigkeit der Meldestelle sichergestellt werden, z.B. im Urlaubsfall oder bei Krankheit.
Vertraulichkeit schafft Vertrauen
Es ist wichtig, dass die Hinweisgeber das Vertrauen haben, dass ihre Meldungen ernst genommen und dass sie vor möglichen Konsequenzen geschützt werden. Die Meldestellenmitarbeiter müssen dafür sorgen, dass die eingehenden Meldungen gründlich geprüft und dass die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um mögliche Verstöße zu beheben. Eine effektive Hinweisgeberstelle sollte auch sicherstellen, dass der Hinweisgeber regelmäßig über den Fortschritt seiner Meldung informiert wird.
Ein wichtiger Faktor hierbei ist die laufende Betreuung der Hinweisgeber. Es sollte über die Bedeutung und die Rolle der Hinweisgeberstelle aufgeklärt werden. Auch über die Meldewege sollte informiert werden.
In jedem Fall sollte klargestellt werden, dass Meldungen vertraulich behandelt und die Identität der meldenden Personen geschützt wird
„Reinreden“ nicht zulässig
Weiter muss die fachliche Unabhängigkeit der internen Meldestelle und ihrer Mitarbeiter gewährleistet sein. D.h., dass die Meldestellenmitarbeiter bei der Ausübung ihrer Tätigkeit weisungsfrei sein müssen.
Die Weisungsfreiheit bezieht sich auf die Entgegennahme und Bearbeitung von Informationen über Verstöße. Werden im Rahmen von internen Ermittlungen andere Mitarbeiter im Unternehmen oder externe Personen miteinbezogen, so gelten auch hier die Grundsätze der fachlichen Unabhängigkeit und Vertraulichkeit.
Andere Aufgaben – Was schlägt sich, was verträgt sich?
Mitarbeiter dürfen neben ihrer Tätigkeit für die interne Meldestelle andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen. Es ist dabei sicherzustellen, dass es hier nicht zu Interessenkonflikten kommt. Auf folgende Punkte sollte dabei u.a. geachtet werden:
! Bei der Ausübung der jeweiligen Funktion ist eine strikte Rollentrennung festzulegen.
! Mitarbeiter im operativen Bereich eignen sich weniger für die Arbeit in der Meldestelle.
! Als besonders geeignet gelten Compliance-Mitarbeiter, wie Datenschutz-, Geldwäsche-, Korruptions- oder Integrationsbeauftragte.
! Für die Meldestellentätigkeit sind den Mitarbeitern ausreichende Zeit und die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
! Die Tätigkeit sollte für eine gewisse Dauer durch eine bestimmte Person oder Organisationseinheit ausgeübt werden.
Fachkunde – Qualifizierung ernst nehmen!
Die Mitarbeiter der internen Meldestelle müssen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz dafür sorgen, dass sie über die notwendige Fachkunde verfügen. Doch was genau beinhaltet diese „Fachkunde“? Was müssen Beschäftigte der Meldestelle genau können? Wie kann die Fachkunde nachgewiesen werden?
Erforderlich ist jedenfalls, dass die Mitarbeitenden der Meldestelle hinreichend über die Funktion, die Kompetenzen und die Unabhängigkeit der Meldestelle informiert sind, vor allem aber die Anforderungen des Vertraulichkeitsgebots beherrschen.
Zur Fachkunde gehören insbesondere hinreichende Kenntnisse zu den folgenden Punkten:
- Die Prüfung nach Meldeeingang, ob ein meldefähiger Verstoß vorliegt (zumindest erste Einschätzung)
- Das Meldeverfahren (u.a. Eingangsbestätigung, Kommunikation mit dem Hinweisgeber, Ergreifung von Folgemaßnahmen, Rückmeldung an den Hinweisgeber, Abschluss des Verfahrens)
- Aufbewahrungs- und Löschpflichten
- Vermeidung von Interessenkonflikten, Wahrung der Unabhängigkeit
- Die Wahrung der Vertraulichkeit bzw. Anonymität beim Umgang mit Meldungen
Die Fachkunde kann effektiv nur über entsprechende Qualifikationsnachweise dokumentiert werden. Andernfalls liefe das Unternehmen und damit die Geschäftsführung Gefahr, sich ordnungswidrig zu verhalten (Pflicht zum Einsatz ausreichend qualifizierter Mitarbeiter). Dies ergibt sich insbesondere aus den Aufsichtspflichten und dem Erfordernis an ein angemessenes Risikomanagement im Unternehmen.
Zur Erlangung des Fachkundenachweises bietet sich insbesondere die Teilnahme an einer Schulung an. Neben Präsenzveranstaltungen sind auch Online-Formate möglich. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Wissensvermittlung auch überprüft wird, z.B. durch einen Abschlusstest.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MACHEN! Von der Theorie zur Praxis. Das Heft können Sie hier bestellen.