Kooperative Compliance und Hinweisgeberschutz 

Hintergrundgespräch

Was bedeutet erfolgreiche Zusammenarbeit, Kollaboration und Kooperation für dich? 

In Bezug auf Compliance ist wichtig, dass das Management voll hinter dem Thema steht und der berühmte „Tone from the top“ ganz explizit gesetzt und ausgesprochen wird.  Kooperation im Bereich Compliance sollte auf einer gesunden Unternehmenskultur basieren. Dabei legt der Anspruch lösungsorientiert zu arbeiten einen großartigen Grundstein. Die Abteilungen und Funktionen sollten Compliance sowohl in der Leitung als auch im Team verorten. Es muss cross-funktional gedacht werden. Zum einen muss man Fokus auf Kommunikation setzen, diese erleichtern und dadurch den Wissensaustausch verbessern und zum anderen ist es wichtig, basierend auf Daten und KI den Grundstein für eine tolle Kollaboration und präventive Compliance hinzubekommen. Compliance ist – modern gedacht – aufklärend und proaktiv. 

Wie kooperieren Compliance Abteilungen mit anderen Abteilungen, ohne dabei auf dieselben Daten zurückgreifen können? 

Das ist für alle Unternehmen ein Thema. Oft arbeitet man in Silos, fast jede Abteilung arbeitet mit einem eigenen System. Die Berechtigung zu bekommen, um auf andere Silos zugreifen zu können und Daten gemeinsam und sinnvoll zu aggregieren ist für alle Unternehmen ein Riesenthema. Das Ziel muss sein, dass auch das Compliance Team Zugriff auf die aggregierten Daten hat. Durch den Einsatz von Algorithmen ist es dann möglich, frühzeitig Muster von Risiken und Ausreißern zu erkennen. Dadurch kann viel Schlechtes verhindert werden. Wir setzen große Hoffnung auf KI, die uns dabei unterstützen kann, möglicherweise in der Zukunft liegende Szenarios früh zu erkennen, präventiv zu bearbeiten und Lösungen zu finden, bevor etwas passiert. 

Wie bekommen Compliance Verantwortliche den Berechtigungsschein auf die Daten anderer Abteilungen zurückzugreifen, die interpretiert werden können? 

Da sind wir wieder beim Tone from the top: Wenn das Management voll dahintersteht und Compliance die Berechtigung gibt. Wenn Compliance dabei für sich selbst wirbt und aufklärt, lösungsorientiert arbeitet und als Partner auftritt, wird es nicht vor verschlossenen Türen stehen, sondern mit geöffneter empfangen werden. Das Mindset „Wir wollen Risiken gemeinsam frühzeitig erkennen und Missstände gemeinsam beheben“ muss unter allen Mitarbeitenden gefördert werden, deswegen spielen Aufklärung und Training eine wichtige Rolle. 

Wieso muss der Compliance Manager als Partner wahrgenommen werden? 

Wenn man nicht als Partner, sondern als Aufpasser, Polizei oder Aufklärer wahrgenommen wird, dann verschließen sich die Menschen. Einem Partner gegenüber öffnet man sich leichter. Man muss den Wert für das große Ganze des Unternehmens sehen. Wenn wir innerhalb der Compliance nicht partnerschaftlich vorgehen, dann können viele Ziele nicht erreicht und viele Risiken können nicht erkannt werden.  

Wo ist die Grenze zwischen Partnerschaft und sich gemeinmachen? 

Diese Frage ist wichtig und muss immer neu ausbalanciert werden. Bei Fehlverhalten ist eine Grenze überschritten. Dann geht es nicht um Partnerschaft, sondern um das Abstellen des Missstandes. Die Grenzen sind teilweise fließend. Rechtlich erlaubt oder nicht und ethisch oder nicht ethisch. Um Zielkonflikte zu vermeiden ist es essenziell nicht in Täter und Bestrafung zu denken, sondern ein Verständnis für die Kontextbedingungen der Mitarbeitenden zu entwickeln, um daraus systemische Schlüsse zu ziehen und Hilfestellungen für das Vermeiden von Zielkonflikten und eine langfristige Verbesserung zu erreichen. 

Wie haben sich Unternehmenskultur und die Wahrnehmung von Hinweisgebenden verändert? 

Nach Fällen wie Enron folgte im Jahr 2002 in den USA der Sarbanes-Oxley Act, wodurch alle an der Börse notierten Unternehmen Hotlines einrichten mussten. Diese Regulierung war für viele Unternehmen neu und unverständlich. Widerwillig wurden die Telefon-Hotlines eingeführt. Sukzessive wurde der Wert der Hotlines in Amerika und später auch in Europa und Deutschland erkannt, weil damit Risiken frühzeitig bemerkbar wurden. Allerdings in erster Linie in großen Unternehmen, mittelständische und kleinere Unternehmen haben sich mit den Hinweisgebersystemen zu großen Teilen nicht beschäftigt, allgemeines Verständnis fehlt dort heute noch oftmals. Im alten Denken ist Whistleblowing immer noch als Denunziantentum verschrien. Ich denke, es war die fehlende Erfahrung mit einem System, das jedoch sobald man es einsetzt einen erkennbaren Nutzen hat. Dennoch ist der Sinneswandel, dass Transparenz Vertrauen schafft, im Gang. 

Woher kommt der Sinneswandel? 

Durch den realen Nutzen. Wenn zum Beispiel ein Maschinenbau-Unternehmen im ersten Jahr drei Hinweise bekommt und alle drei relevant sind und Korruption im Vertrieb an einem Auslandsstandort aufdeckt, folgt, dass das Management den Nutzen als hoch einstuft. Laut Umfragen sind vier bis fünf von zehn Hinweisen für die Unternehmen relevant. 

Verbauen wir mit dem Hinweisgebersystemen nicht Chancen für Unternehmen, die in Ländern aktiv sind, in denen Antikorruption einen nicht so hohen Stellenwert wie in Deutschland hat? 

Zum einen haben sich viele Unternehmen hierzulande einem Code of Conduct verschrieben, der oft weiter gehen kann als die Gesetze im jeweiligen Land. Zum anderen decken Hinweisgebersysteme nicht nur Missstände wie Korruption auf, sondern auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder Umweltverbrechen. Das ist in jedem Land relevant, wir geben den Mitarbeitenden die Möglichkeit, Missstände aufzudecken. Korruption ist dabei eines von vielen Themen. In manchen Ländern sind bestimmte Vorgänge vielleicht gar keine Korruption. Trotzdem denke ich, dass jedes europäische Unternehmen, das unter den Whistleblowing-Act fällt, eigene Unternehmensrichtlinien haben sollte, unter die Anti-Korruption fällt. Das Betreiben solcher Handlungen ist dann auch im Ausland nicht möglich, ohne gegen den eigenen Code of Conduct zu verstoßen. Auch wenn ein gewisses Verhalten oder Handeln in dem jeweiligen Land legal ist, würde man damit potenziell den Heimatmarkt aufs Spiel setzen, weil dort ja Kunden und Mitarbeiter auf die Werte, die Kultur und die Integrität des Unternehmens setzen. Was macht das mit mir als Mitarbeiter, wenn ich mitbekomme, dass es in ausländischen Standorten normal ist zu bestechen? 

Ist ein vernünftiges Hinweisgebersystem, das die Werte des Unternehmens transportieren kann, auch für weitere Bereiche relevant? 

Es ist in der heutigen Welt absolut notwendig. Ich glaube, es wird eher zum Nachteil, wenn ich kein Hinweisgeberschutzsystem habe und nicht versuche, Transparenz zu schaffen. Ich werde mehr Vertrauen von allen Stakeholdern bekommen: Von Kunden, Investoren, Partnern aber auch gerade von Mitarbeitenden. Wenn ich mich bei einem Unternehmen bewerbe, von dem ich weiß, dass es kein Hinweisgeberschutzsystem hat, würde ich annehmen, dass es da eventuell Gründe gibt, warum man keine Transparenz schaffen möchte. Ich denke, da wird es immer mehr Mitarbeitende geben, die sich solchen Unternehmen nicht anschließen wollen. Für die, die Vorreiter sind, ist es noch ein Marketing-Effekt, es wird aber letztendlich ein Malus für all jene sein, die sich dem nicht anschließen. 

Es hat jetzt über drei Jahre gedauert, und die EU-Richtlinie ist vom deutschen Gesetzgeber immer noch nicht umgesetzt. Woran liegt das? 

Zum einen lag das an dem Wahljahr 2021. Aber vor allem auch an unserem Mindset und auch unserer Geschichte. Es gibt in unserer Gesellschaft große Vorbehalte in Bezug auf Whistleblower. Da höre ich von Unternehmern, dass sie kein Denunziantentum oder eine Blockwartmentalität fördern wollen. Dagegen gibt es gute wissenschaftliche Argumente, aber auch die praktische Erfahrung in den zahlreichen Unternehmen, die bereits erfolgreich ein Hinweisgebersystem eingerichtet haben. Aus dieser Praxis ist uns auch bekannt, dass viele Whistleblower erst einmal anonym bleiben wollen. Deswegen ist das Ermöglichen von anonymen Meldungen sehr wichtig. Ein weiterer Streitpunkt ist der Anwendungsbereich: Ich finde es sehr wichtig, dass nicht nur EU-Recht, sondern auch nationales Recht miteinbezogen wird – insbesondere Korruptionsbekämpfung. Denn der Gedanke, dass der Whistleblower, vor Absetzen eines Hinweises mit einem Anwalt eruieren muss, ob der Missstand nun gegen nationales oder EU-Recht verstößt, ist schon absurd.  

Finden Sie die Kritik berechtigt – wie sie bspw. die CDU noch immer tätigt – dass durch das Hinweisgebersystem ein riesiger Apparat, beziehungsweise bürokratischer Aufwand besteht? 

Nein, das verstehe ich überhaupt nicht. Wir haben das System vor zwei Jahren auch eingeführt und hatten im ersten Jahr 6 Meldungen bei 600 Mitarbeitern. Im Schnitt sind es bei 1000 Mitarbeitern statistisch jährlich 13 Meldungen. Wir liegen also genau im Mittel. Für uns waren die Meldungen größtenteils relevant und in der Unternehmensführung hatten wir die Möglichkeit, Missstände abzustellen und zu beweisen, dass wir das Thema ernst nehmen und auch wirklich aktiv werden. Der Aufwand des Systems und der Bearbeitung der Fälle ist minimal im Vergleich zu dem, was wir durch die Aufklärung der Fälle bewirken können und was für eine reinigende Wirkung das nach innen für die Unternehmenskultur hat. Wir haben gesehen, dass die Mitarbeitenden ganz genau darauf achten, wie wir mit den eingegangenen Meldungen umgehen. Wir sind mit dem Umgang der Meldungen transparent, also in Bezug auf die Anzahl, die wir bekommen und die Bereiche, in denen wir sie bekommen. 

Beispielsweise die Zahlen der F I U zeigen, dass weniger als 1% der Verdachtsfälle im Finanzsektor zu Ermittlungen führen oder relevant sind. Könnte es auch außerhalb des Finanzsektors so sein, dass Hinweise in keinem Verhältnis zu Ermittlungen stehen? 

Das konnten wir in unserem Whistleblower-Report, einer internationalen, wissenschaftlichen Studie, die wir in Kooperation mit der Fachhochschule Graubünden durchführen, nicht feststellen. Von 10 Meldungen ist eine missbräuchlich, da wird jemand „angeschwärzt“. Vier bis fünf sind nicht relevant, die hätten also anders mitgeteilt werden können, an den Vorgesetzten oder durch Klärung innerhalb des Teams. Vier bis fünf Meldungen sind aber relevant. Relevant ist nicht mit der Einleitung von Ermittlungen gleichzusetzen. Es bedeutet erstmal, dass etwas Nachverfolgungswürdiges passiert ist: ein Missstand wurde aufgedeckt. Dann muss evaluiert werden, wie gravierend der Missstand ist und ob ein Ermittlungsverfahren gestartet werden muss. 

Bietet ein Hinweisgebersystem die Möglichkeit strategische Ziele und Entwicklungspotenziale abzuleiten? 

Es ist interessant zu sehen, ob man im Mittel liegt oder nicht. Wenn ein Unternehmen mit 100.000 Mitarbeitenden nur 10 bis 20 Fälle bekommt, dann ist gewiss, dass das Hinweisgebersystem im Unternehmen nicht etabliert ist. Das Unternehmen, beziehungsweise das Management steht nicht dahinter. Wenn die Zahlen quantitativ stimmen und nach Auswertung Ballungen erkennbar sind, dann ist offensichtlich, dass es Bereiche gibt, die außerordentlich Missstände aufweisen. Dann kann sich nicht nur individuell mit dem Fall beschäftigt werden, es muss genauer hingeschaut werden, um Muster zu erkennen und die Probleme zu beheben. Unternehmen haben ein großes Interesse Reportings auszubauen und sich mit Peers innerhalb der Branche zu vergleichen, um so Rückschlüsse auf das eigene Unternehmen ziehen zu können und um zu erkennen, wo es im eigenen Unternehmen hakt.  

Wie kann das Unternehmen die Umsetzung des Systems beeinflussen? 

Anhand der Kommunikation. Es ist erstaunlich, wie groß die Spannweite bei der Umsetzung ist. Ich war vor kurzem bei einer Großbank in Frankreich, die das Hinweisgebersystem eingeführt hat. Schon im Eingang war da ein Video über das Hinweisgebersystem und die haben mir ganz stolz die Statistiken der starken Nutzungszunahme gezeigt. Die haben sie mit Aktivitäten wie ihrem Marketing, Videos und Kampagnen erreicht. Das fand ich sehr inspirierend. Besonders im Vergleich zu Unternehmen, die die Auflage der Einführung des Systems durch einen Investor oder ein Aufsichtsratsmitglied oder eine Regulierung bekommen und das System dann verstecken. Dann bekommt ein multinationaler Konzern gar keine oder zwei bis drei Meldungen pro Jahr. 

Was bringt uns das Hinweisgebersystem jetzt also mehr, als ein reines Hinweisgebersystem zu sein? 

Das Hinweisgebersystem schützt die Unternehmenskultur durch das Erkennen von systematischen Risiken und Häufungen in bestimmten Regionen, Abteilungen oder Funktionen. Bei einem etablierten und rege genutzten System lässt sich präventives Handeln im Unternehmen etablieren, das ist ein großer Hygienefaktor und ein Nachhaltigkeitsinstrument par excellence. Es hebt Werte und den Code of Conduct der Unternehmen, die es einführen und wirklich umsetzen, hervor. Bisher haben wir uns viel auf die Unternehmen fokussiert, doch genauso wichtig sind die Änderungen für Arbeitnehmer. Hinweisgebende haben endlich den Schutz vor Kündigung und Existenzverlust, denn viele Menschen haben schon alles verloren, weil sie Unrecht aufgedeckt haben. Das unterminiert unsere Werte und unsere Demokratie. Deswegen ist es sowohl für die Unternehmen als auch für die Gesellschaft ein großer Schritt in Richtung Integrität in der Wirtschaft.  

 

Achim Weick ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der EQS Group AG. Mit Leidenschaft und einer klaren Vision hat er die EQS Group zu einem der führenden Anbieter von digitalen Lösungen in den Bereichen Corporate Compliance, Investor Relations und ESG entwickelt. Achim Weick, der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Augsburg studierte, ist zertifizierter europäischer Finanzanalyst. Den Grundstein für seine Karriere legte er im Corporate Banking der Commerzbank. Nach einer internationalen Trainee-Ausbildung war er für das Bankhaus unter anderem in den Niederlassungen in Berlin, Budapest und New York tätig.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Antikorruption. Das Heft können Sie hier bestellen.

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