Die Schulung von Führungskräften ist eine hohe Kunst. Klar ist, dass man das Top-Management, also die Vorstände, nicht eigentlich schult, sondern vielmehr „brieft“ oder ihnen über die neuesten Entwicklungen im Compliance-Umfeld berichtet. Aber wie schult man die Führungskräfte direkt unterhalb des Vorstands? Der Psychologe Lothar Panten rät, zunächst immer an die Interessenlage der jeweiligen Führungsebene zu denken: „Die Ebene der Abteilungsleiter hat eine andere Interessenlage als zum Beispiel einfache Mitarbeiter. Einige Trainer unterliegen der Versuchung, weil sie die gleichen Inhalte schulen wollen, auch das gleiche Training durchzuführen. Das knüpft eventuell zu wenig an die Wirklichkeit der Lernenden an.“ Der Trainer sollte also sehr sorgfältig überlegen, welche Seite des Schulungsmaterials von besonderem Interesse für die jeweilige Führungsebene ist und welche Inhalte sowie Bezüge hingegen keine Rolle spielen. „Diese Anpassung wird oft nicht gemacht. Das erscheint nur vordergründig logisch, ist aber faktisch wirkungshemmend und daher nicht teilnehmerorientiert“, warnt Panten. Auch die Konfliktlagen sind unterschiedlich, je nachdem, ob man ein einfacher Mitarbeiter ist, ein Abteilungsleiter oder der Vorstand. „Will man als Compliance Officer und Trainer dialogfähig bleiben, muss man verstehen, was diese Menschen antreibt. Welche Bilder sind für die Führungskräfte so wichtig, dass sie danach ihre Entscheidungen richten?“
Führungskräfte sind Vorbilder
Die Führungskräfte nehmen bei Compliance eine zentrale Stellung ein. Denn sie fungieren schließlich als Vorbilder. Albert Einstein hat einmal etwas über die Eltern gesagt, was genauso gut für die Führungskräfte gilt: „Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes.“ Und Compliance Officer versuchen alles, um genau das Letztere zu verhindern.
Siemens hat das Problem der regelmäßigen Auffrischung von Compliance-Inhalten durch Einbeziehung der Führungskräfte in den jährlichen Integritätsdialog gelöst. Einmal im Jahr geben die Compliance Officer den Führungskräften neue Themen und Materialien an die Hand, und befähigen sie dazu, mit ihren Teams über die relevanten Compliance-Themen zu sprechen. „Dadurch wird Mitarbeitern auf eine natürliche Art und Weise vermittelt, dass Compliance zum Geschäftsalltag dazu gehört“, erklärt Sonja Costabel. „Die Siemens-Mitarbeiter erleben, dass die Compliance-Themen von ihrer Führungskraft an sie herangetragen werden. Und mit den Führungskräften reden wir darüber, was „Tone from the Top“ bedeutet und wie sie als Role-Model agieren können, um ihren Mitarbeitern das richtige Verhalten zu vermitteln.“
Interessant beim Thema wie man am besten die Führungskräfte schult, ist auch die Idee von Prof. Dr. Christiane Hof: „Wir haben in der Gesellschaft eine Tendenz zur Individualisierung. Auf die Führungskräfte übertragen bedeutet es, dass man für sie zum Beispiel in Sachen Compliance ein spezielles Compliance-Coaching entwickelt.“ Es lohnt sich darüber auf jeden Fall nachzudenken, denn dadurch spricht man sowohl die Gefühlslage der Führungskräfte, also ihr Ego, an und würde gleichzeitig auch an ihre Interessenlage anknüpfen.
Nicht überall ist Deutschland
Dass man die Kollegen nicht überall in der Welt mit denselben Inhalten schult und mit ihnen dieselben Fälle bespricht, wie in Deutschland, ist einleuchtend, wird aber oft nicht bedacht. „Wir haben zu Beginn den Fehler gemacht, die Trainingsinhalte samt den Fallbeispielen einfach in die jeweilige Sprache zu übersetzen. Dann hatten wir etwa eine Compliance-Schulung in China, in der ein Fallbeispiel in Liechtenstein geschildert wurde. Und obwohl es sich um ein praktisches Beispiel handelte, hat es absolut nichts dazu beigetragen, das Thema den Mitarbeitern näherzubringen“, erinnert sich Costabel an die Anfänge der Compliance-Schulungen bei Siemens. Seitdem passt das Unternehmen seine Schulungen an das jeweilige Land und die jeweilige Lernkultur an: „Die Lernkultur einer Nation ist sehr stark dadurch geprägt, wie das Lernen in der Gesellschaft verankert ist. Erwachsene verhalten sich in Bildungssituationen, wie sie es in den Bildungseinrichtungen ihres Landes gelernt haben“, meint Costabel.
Auch bei Daimler werden die Integritätsdialoge in der jeweiligen Landessprache durchgeführt. „Unsere Erfahrungen zeigen: je präziser man sich ausdrücken kann, umso besser kann man sich über ethische Themen unterhalten. Wenn sich zum Beispiel ein Deutscher mit einem Chinesen auf Englisch unterhält, kann es zu interkulturellen und sprachlichen Missverständnissen kommen“, sagt Carolin Schwarz.
Missverständnisse einplanen
Selbst wenn ein deutscher Compliance Officer chinesisch spricht, kann es zu Missverständnissen kommen. „Die Kunst ist dabei, das richtige Bild zu treffen. Ein Nicht-Native-Speaker kann das häufig nur begrenzt“, so Panten. Den deutschen Compliance Officern, die in ein fremdes Land gehen, rät er daher zunächst zuzuhören: „Es gibt einen ungeheuren pädagogischen Wert des Zuhörens. Im Vorfeld der Vorbereitung des Trainings sollte man den ausländischen Partnern zuhören und immer schauen, welche Bilder, welche Zusammenhänge und Werte diese an mich zurückspielen. Ein Training ist nichts Einseitiges.“
Das sagt die Forschung
Aber es gibt auch Hilfestellungen von Seiten der Forschung. Es gibt Wissenschaftler und ganze Projektverbünde, die sich mit den Unterschieden zwischen den Nationen und Kulturkreisen beschäftigen. Zunächst ist hier der niederländische Wissenschaftler Geert Hofstede zu nennen. Seine Studie „Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions and Organizations across Nations“ hat als Buch für Aufsehen gesorgt. Um zu erfahren, wie sich nationale Kulturen auf die Kultur im Unternehmen auswirken, hat Hofstede 116.000 Mitarbeiter in einem internationalen Unternehmen befragt: IBM. Aus den Antworten entwickelte er ein Schema mit sechs Kulturdimensionen. Diese sagen etwas darüber aus, wie sich Individuen verhalten und miteinander interagieren. Hofstede ist mittlerweile emeritierter Professor der Universität Maastricht.
Innovativ ist auch die Doktorarbeit von Alfons Trompenaars. In dem Buch „Riding the waves of Culture: Understanding Diversity in Global Business“ vergleicht auch er die unterschiedlichen Kulturen. Dazu befragte Trompenaars mehr als 100.000 Teilnehmer aus 100 verschiedenen Ländern an Management-Seminaren. Für seine Kulturdimensionen bezieht er sich auf die Arbeiten des bekannten Soziologen Talcott Parsons. Wie man sieht, kann man mit so einer Wissenschaft auch wirtschaftlich erfolgreich sein: Denn Trompenaars verdient mittlerweile mit seinem Beratungsunternehmen viel Geld damit, Unternehmen in Fragen der Interkulturalität zu beraten.
Hoch interessant ist noch ein seit 1991 laufendes internationales Forschungsprojekt mit dem Namen GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness). Prof. Robert House von der Wharton School of Management an der University of Pennsylvania rief das GLOBE-Projekt ins Leben. Das Ziel des Projektes ist es, Kulturdimensionen und Unterschiede zwischen den Nationen herauszuarbeiten. An diesem Projekt sind weltweit 160 Forscher aus 61 Nationen beteiligt. Bisher wurden neun Kulturdimensionen identifiziert. Die ersten drei basieren auf den Forschungsergebnissen von Geert Hofstede, weitere sechs wurden von GLOBE-Forschern selbst erarbeitet. Befragt wurden dazu bisher 17.000 Manager.
Für Compliance Officer könnte es sich wirklich lohnen, sich mit den Ergebnissen dieser drei Studien zu beschäftigen, weil darin interessante Unterschiede herausgearbeitet sind, die für die Konzipierung von Compliance-Schulungen nützlich wären. Die drei Studien mit den jeweiligen Kulturdimensionen und Einordnungen der Länder sind im Anschluss an diesen Artikel in einer Übersicht dargestellt
Konflikten muss man gewachsen sein
Es gibt wahrscheinlich keinen Compliance Manager, der nicht wenigstens einmal bei den Trainings auf Konflikte gestoßen ist. Dabei können auf einen Compliance Manager viele Arten von Konflikten zukommen – angefangen mit einer grundsätzlichen Abweisung von Compliance bis hin zu Desinteresse oder Aggression. „Konflikte entstehen auf verschiedenen Ebenen und können daher sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Wenn ich nur einen Hammer als Werkzeug habe, dann sieht jedes Problem schnell wie ein Nagel aus. Will ein Compliance Manager die Schulung gut machen, dann muss er wissen, wie er auf verschiedene Arten von Konflikten eingeht“, so Panten. „Den Konflikt kann man entweder direkt durch einen Vorschlag, Erklärung oder Einordnung auflösen oder man isoliert ihn.“
Bei Siemens nimmt in Train- the-Trainer Schulungen die Befähigung, mit Konflikten während einer Schulung umzugehen, eine besondere Stellung ein. Wie geht man beispielsweise mit der Situation um, wenn ein Schulungsteilnehmer mehr zu wissen glaubt als der Compliance Officer? „Hier ist es wichtig, dass man nicht mit diesem Teilnehmer in die Diskussion einsteigt. Sondern der Trainer sollte seine Wertschätzung ausdrücken für die Erfahrung und das Wissen des Teilnehmers und dann versuchen, ihn aktiv einzubinden“, so Costabel. Bei desinteressierten Teilnehmern empfiehlt sie, beispielsweise etwas aus der Vergangenheit des eigenen Unternehmens zu erzählen.
Funktioniert natürlich nur, wenn der Anstoß zur Schaffung eines CMS ein Vorfall war, der das Unternehmen in eine existenzgefährdende Situation gebracht hat.
Im Zweifel nachgeben
In Extremsituationen, in denen ein Teilnehmer überhaupt nicht zur Zusammenarbeit bereit ist, lässt sich allerdings nichts machen. Hier wäre es richtig, diesen Teilnehmer aus der Schulung zu entlassen und im Anschluss ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen. Nur: der Trainer ist verpflichtet, auf die Konfliktsituationen einzugehen. „Es ist eine Herausforderung des Trainers, nicht nur die Gruppe im Auge zu behalten, sondern auch auf die Befindlichkeiten der Einzelnen einzugehen. Und das kann man mit zunehmender Erfahrung immer besser koordinieren“, sagt Costabel.
Die Grenzen guter Pädagogik
Es gibt jedoch einen Konflikt, den kein Compliance Officer alleine lösen kann: Er tritt immer dann auf, wenn die Mitarbeiter im Unternehmen unter Druck stehen oder meinen zu stehen, und dieser Druck der Unternehmensstrategie geschuldet ist und daher von der Geschäftsführung selbst ausgelöst wird. „Es wird für einen Compliance Officer sehr schwierig sein, damit umzugehen. Denn Druck und Angst sind Emotionen, die in der Regel hinderlich sind“, so Prof. Dr. Julia Rózsa. Auch Panten sieht wenig Chancen, dass ein Compliance Officer hier viel tun könnte: „Das wird man im Rahmen eines Trainings nicht lösen können, denn dazu müsste man eine Kulturveränderung herbeiführen“, so Panten. „Und dafür ist eine Compliance-Schulung nicht geeignet.“
Nehmen wir eine Kartell-Schulung als Beispiel. „Eine Kartellbildung ist ja zunächst nicht nur ein Problem für ein Unternehmen, sondern immer auch ein Vorteil. Und dieser Vorteil sieht immer schöner aus, je mehr das Unternehmen im Markt unter Druck steht und damit die Arbeitsplätze der Mitarbeiter gefährdet sind. Dann stellt sich die Frage, an welcher Stelle wird die Geschäftsführung unmoralisch?“ gibt Panten zu bedenken.
Die Ursachen für eine Kartellbildung liegen unter anderem darin, dass die Geschäftsführung zu irgendeinem Zeitpunkt etwas falsch gemacht hat, zum Beispiel nicht rechtzeitig auf die Veränderungen auf dem Markt reagiert hat. Das bedeutet aber, dass der Compliance Officer mit seiner Anti-Kartell-Schulung nur versuchen kann, die Auswirkung einer jahrelangen falschen Strategie oder falschen Unternehmenskommunikation einzudämmen. Egal, wie pädagogisch gekonnt ein Compliance Manager das Training durchführt, Kartellbeteiligungen wird es in seinem Unternehmen auch weiterhin geben. Das ist so, weil man mit seiner Anti-Kartell-Schulung eben nicht an die Wurzeln der Ursachen für Kartelle geht. Und das ist somit nicht die Frage einer guten Compliance-Pädagogik, sondern schon eine andere Geschichte.