„Den Stein ins Rollen bringen“

Compliance Management

Irina Jäkel: Sie erwähnen in Ihrem Aufruf, dass die Kommission Corporate Governance für mehr Transparenz sorgen will, indem Unternehmen die Grundzüge ihres Compliance-Management-Systems offenlegen müssen. Brauchen wir wirklich noch mehr Offenlegungen und Hochglanzbroschüren?
Dr. Thomas Kremer:
Die Forderung nach mehr Transparenz unterstütze ich voll. Es geht aber nicht um Hochglanzbroschüren, sondern darum, dass transparent wird, was für ein Compliance-Management-System (CMS) ein Unternehmen hat. Das ist wichtig zu wissen, um festzustellen, wie intensiv sich ein Unternehmen mit Compliance beschäftigt.Natürlich reicht das alleine nicht aus, um Skandale zu verhindern. Das sieht auch die Kodex-Kommission und fordert, dass sich die Unternehmensführung zusätzlich nach ethischen Grundsätzen ausrichtet. Dafür müssen sich Unternehmen mit ihrer Kultur beschäftigen. Diesen Weg gehen wir bei der Telekom. Ethische Anforderungen zu erfüllen, ist viel schwieriger, als sich nur an Recht und Gesetz zu halten. Aber legal ist eben nicht genug. Die gesellschaftlichen Anforderungen sind gewachsen. Darauf müssen sich Unternehmen und die Wirtschaft einstellen, wenn sie nicht weiter an Ansehen verlieren wollen.

Wie ausführlich sollen Ihrer Ansicht nach die Offenlegungen sein?
TK:
Es ist wichtig nachzuvollziehen, welche Bereiche des Compliance-Management-Systems erfasst werden. Ist es etwa Korruption, Kartellrecht, Kapitalmarktrecht, Umweltrecht und ist auch der Datenschutz erfasst? Gibt es die Möglichkeit, Hinweise auf Fehlverhalten anonym und geschützt zu geben? Das ist ein sehr wichtiges Instrument. Insgesamt sollte nachvollziehbar sein, wo das Unternehmen genau hinschaut und welche Schutzmaßnahmen es ergreift.

Sie lassen gerade Ihre Unternehmenskultur von ESMT und der Hertie School of Governance überprüfen. Was genau versprechen Sie sich von diesem Schritt?
TK: Auslöser waren die aktuellen Skandale bei anderen Unternehmen. Die haben uns nachdenklich gemacht. Auffallend ist, dass diese  Unternehmen funktionierende Compliance-Management-Systeme haben. Das hat massives Fehlverhalten aber nicht verhindert. Wer darüber nachdenkt, kommt zwangsläufig auf die Unternehmenskultur. Da hilft es sehr, sich ein ehrliches und objektives Bild zu verschaffen, also eine Bestandsaufnahme zu machen. Dafür haben wir diese beiden Institutionen beauftragt.

Und eine Mitarbeiterumfrage weltweit zu machen wäre für Sie nicht ausreichend?
TK:
Das ist nur ein Teil unseres Gesamtkonzepts. Aber es wird nicht nur Fragebögen, sondern auch persönliche Interviews geben. Alle Vorstände werden befragt. Und wir werden bestimmte Mitarbeitergruppen bilden und sie intensiver befragen.

Wie stellen Sie sich eigentlich selbst eine richtige Unternehmenskultur vor? Von wem soll sie kommen? Vieles ist ja vom Vorstand abhängig…
TK:
Wenn das nur so wäre. Meine Erfahrung ist eine andere. Selbstverständlich ist das, was das Top- Management sagt und vorlebt sehr wichtig. Aber in einem Unternehmen mit weltweit 225.000 Mitarbeitern ist der Vorstand für viele weit weg. Wir müssen alle adressieren: Führungskräfte und Mitarbeiter. Bei den Führungskräften müssen wir die Führungsstile hinterfragen: Ermöglichen sie es den Mitarbeitern, Kritik zu äußern? Wir brauchen Führungskräfte, die sich auch selbst kritisch mit Themen auseinandersetzen und ihre Meinung sagen. Und wenn die Führungskräfte dieses Verhalten vorleben, tragen sie es auch in ihre Teams weiter. Wenn es zu Fehlverhalten kommt, muss das adressiert und nicht ignoriert werden. Die Menschen müssen wissen, dass wir als Vorstand wollen, dass Fehlverhalten offen angesprochen wird.

Enttäuscht es Sie, wenn dann doch Fehlverhalten auftritt, wie zum Beispiel kürzlich die Telekom-Affäre um die Payback-Punkte? Was denken Sie darüber?
TK:
Natürlich enttäuscht mich das. Zumal diese Payback-Punkte nicht einmal besonders wertvoll waren. Warum riskiert man dafür seine Karriere? Das verstehe ich nicht. Wer sich so verhält, gehört nicht dazu, das ist völlig klar. Von solchen Mitarbeitern trennen wir uns. Ich denke aber, dass gerade in solchen Fällen eine offene Unternehmenskultur hilft, in der Fehlverhalten angesprochen wird. Gefährlicher ist ein Führungsstil, der auf Befehl und Gehorsam beruht. Da wird eher unter den Tisch gekehrt.

Was denken Sie, was ist die Rolle des Compliance Officers bei der Unternehmenskultur? Denn die Compliance Officer suchen ja ihre Rolle in dieser Unternehmenskultur-Debatte.
TK: Die  erste Aufgabe eines Compliance Officers ist es, ein funktionierendes CMS zu installieren. Dann muss er dafür sorgen, dass Verstöße aufgeklärt und geahndet werden. Zudem berät er Vorstand und Top-Management und hinzu kommen natürlich Schulungen und Kommunikation. Diese Aufgaben dürften mittlerweile Konsens in der Compliance-Community sein.

Ich erwarte aber mehr. Ich erwarte, dass Compliance Officer die Unternehmenskultur in Frage stellen. Sie müssen Impulse geben. Ein Compliance Officer  sollte Treiber sein, wenn es darum geht, die Unternehmenskultur weiter zu entwickeln. Das kann er zwar nicht alleine machen, er kann aber den Stein ins Rollen bringen. Und genau das erwarte ich auch von guten Compliance Officern.

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