„Das ‚äußere Spiel’ wird man nicht gewinnen können.“

Psychologie

Herr Corssen, es gibt Berufsgruppen, bei denen ist der Arbeitserfolg schwer messbar und kurzfristig auch nicht sichtbar. Deswegen bekommen sie sehr wenig Anerkennung und Wertschätzung im Unternehmen. Zu solchen Berufsgruppen gehören zum Beispiel auch Compliance Officer. Doch bevor man den Compliance-Job hinschmeißt oder nur noch davon träumt, Leiter der Rechtsabteilung zu werden: Was kann man tun und welche Haltung muss man sich selbst aneignen?

Als Erstes geht es darum, nicht mehr zu klagen über den Beruf, die Ungerechtigkeiten und die Uneinsichtigkeit mancher Kollegen. Erste Regel ist also, dass man nicht mehr dagegen ist, dass das Leben nicht gerecht ist. Sonst könnte man ja verzweifeln. Compliance Officer haben einen ethisch hochstehenden Beruf, wenn nicht sogar eine Berufung. Sie müssen damit beginnen, sich bewusst zu machen, dass sie etwas Großartiges tun und zur Moral und Ethik unseres Abendlandes beitragen. Und dass sie damit eine ganz wichtige Position haben und dass es unwichtig ist, ob sie damit Erfolg haben. Das bedeutet, das „innere Spiel“ zu spielen: Sie haben sich dazu verpflichtet, sich für eine gute Sache einzusetzen, und sind davon überzeugt, dass es auf Dauer günstig ist, wenn man ehrlich ist und die Regeln einhält.

Compliance Officer müssen sich eine bestimmte Haltung aneignen: Sie dürfen nicht ihren Fokus auf das „äußere Spiel“ richten, also darauf, ob sie mehr Anerkennung und Preise bekommen und mehr Geld verdienen. Denn das „äußere Spiel“ werden sie wahrscheinlich nicht gewinnen. Das „innere Spiel“ gewinnen sie, wenn sie sich anstrengen und ihr Bestes geben. Dann werden sie hinterher nicht deprimiert, weil sie ihren Selbstwert hochhalten, indem sie ihr Bestes geben. So kann man gewinnen, obwohl man das „äußere Spiel“ verliert.

Das ist übrigens auch etwas, was den Managern hilft, denn es wird immer schwieriger, als Global Player das „äußere Spiel“ zu gewinnen, weil es so undurchschaubar ist und auch kein faires Spiel. Solange man sein Selbstwertgefühl davon abhängig macht, dass man das „äußere Spiel“ gewonnen hat, also von der Anerkennung und dergleichen, wird man irgendwann verstimmt oder depressiv werden. Also muss man den Kontext ändern und sich darauf konzentrieren, dass man sein „inneres Spiel“ gut spielt, das bedeutet, sich ausschließlich auf seine Arbeit zu konzentrieren und nicht darauf zu schauen, ob man geliebt wird und sich alle freuen, wenn man kommt.

Woran erkennt man, dass man mental auf dem richtigen Weg ist?

Wenn ich mein „inneres Spiel“ gewonnen habe, also mein Optimum gebe, dann kann ich morgens mit viel höherer Motivation aufwachen. Dann ist meine Haltung, dass ich einen sinnvollen Beruf habe, und ich muss keinen zählbaren Erfolg vorweisen, sondern mein Erfolg ist der Prozess. Wenn ich das, was ich tue, beseelt und mit höherer Gestimmtheit mache, dann komme ich gut über den Tag und bin abends nicht erschöpft.

Aber das ist sehr schwer. Jeder Mensch braucht Anerkennung und Wertschätzung für seine Arbeit …

Das ist aber die einzige Methode, wie Sie es schaffen, nicht depressiv zu werden oder zu kündigen. Wenn es einem nicht gelingt, einer Idee zu dienen, die größer als sein Ego ist, dann wird man scheitern. Ich rate den Fußballspielern, die zum Beispiel in der 63. Minute ausgetauscht werden, sich darüber nicht aufzuregen, sondern dem Trainer die Hand zu geben und sich bei ihm zu bedanken, denn der Trainer hat den Erfolg der Mannschaft als Ganzes im Blick. Da muss man Vertrauen haben. Und wenn man das auf den Beruf des Compliance Officers überträgt und sagt, ich bin überzeugt, dass das, was ich tue – und wenn es nur der Kontext ist oder nur so, dass die Firma nach außen hin einen guten Eindruck macht-, dann ist es vielleicht nur das, wozu ich überhaupt da bin.

Aber wie viele von den Top-Managern, die Sie beraten, nehmen Ihren Vorschlag an und schaffen es, nicht mehr dem eigenen Narzissmus nachzugeben?

Wenn sie klug sind, dann machen sie das, weil ich ihnen erkläre, dass sie durch das „innere Spiel“ das „äußere Spiel“ gewinnen werden. Denn wenn ich einem Fußballspieler sage, konzentriere dich darauf, dass du dich jeden Tag im Training anstrengst und ansonsten auch eine gesunde Lebensweise einhältst, dann ist es das, womit er sein „Commitment“ einhält. Das, was das „äußere Spiel“ auf Dauer gewinnen lässt, ist, dass man sich jeden Tag verbessert und jeden Tag konzentriert bleibt. Die, die nur das „äußere Spiel“ spielen, werden auf Dauer weniger Erfolg haben, weil sie „perfekt“ sein wollen und der Perfektionismus auf Dauer verstimmt macht, weil er die letzten Prozentwerte bis 100 Prozent kaum hinkriegt.

Gibt es aus Ihrer Sicht als Psychologe einen Unterschied, wie man als Compliance Officer auf verschiedenen Hierarchieebenen kommuniziert?

Gibt es einen Unterschied in der Moral? Der Compliance Officer informiert darüber, wovon er überzeugt ist und was Compliance vermeiden soll und warum er der Meinung ist, dass das der Firma guttut. Werden die Compliance Officer dann angegriffen, dann müssen sie klarmachen, dass das, was sie tun, ihre Aufgabe ist. Was die Mitarbeiter dann damit machen, ist ihr Problem. Denn die Compliance Officer haben keinen Erziehungsauftrag für Erwachsene. Und auf die Dauer rechnet sich die Ehrlichkeit, weil sie etwas mit Vertrauen und Zuverlässigkeit zu tun hat. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass auf Dauer ethisches Verhalten mit Vertrauen der Kunden korreliert. Man nimmt an, dass in dieser globalen Welt, wo man die Herkunft von bestimmten Produkten und ihre Qualität nicht mehr nachvollziehen kann, die Kunden eher zu Produkten eines Unternehmens greifen, dem sie vertrauen, selbst wenn seine Produkte teurer sind. Und das können die Compliance Officer auch so kommunizieren.

Sie haben gesagt, dass man sich eher auf den Prozess einer Tätigkeit konzentrieren soll und weniger auf den finalen Erfolg. Wie beurteilen Sie die Neigung mancher, alles messbar zu machen und so den Erfolg zu ­belegen?

Das ist klar, dass man alleine schon aus Selbsterhaltungstrieb beweisen will, dass Compliance dem Unternehmen Vorteile bringt. Damit will man die Berechtigung für seinen Beruf belegen. Aber da müssen die Compliance Officer aufpassen, dass sie sich damit nicht selbst in die Tasche lügen. Stattdessen wäre es besser, wenn die Compliance Officer weiterhin beseelt und mit gehobener Gestimmtheit ihrer Berufung nachgehen, weil sie einem größeren Prozess dienen, der aber nicht so kurzzeitig messbar ist.

Auch wenn es äußerlich so erscheinen mag, dass meine Arbeit mir sinnlos vorkommt, muss ich mir einen Sinn denken, damit ich mich wohlfühle. Nur wo es Sinn im Leben gibt, gibt es auch Glück. Und der Sinn könnte heißen: Ich bin ein Selbstentwickler, der sein „inneres Spiel“ mit äußerster Konzentration und Lust durchspielt. Und dann habe ich gewonnen. Es ist also eher der Prozess, der uns unser Selbstwertgefühl geben sollte, und nicht der Erfolg.

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