Schon seit einigen Jahren gilt Polen als ein osteuropäisches Vorzeigeland: ein viel gelobtes Beispiel für eine erfolgreiche EU-Integration mit einer bisher krisenresistenten, soliden Wirtschaftspolitik – nicht zuletzt unterstützt durch die Milliarden an EU-Fördergeldern. Zuletzt wurden von mehreren Seiten die Rufe laut, Polen stünde am Zenit seines Wachstums. Die Regierung müsse sich jetzt auch mal etwas Neues einfallen lassen, schließlich könne man sich nicht ewig auf die EU-Strukturfördergelder verlassen.
Was Spuren hinterlässt
Auch wenn man nicht abstreiten kann, dass Polen Lob für seine Wirtschaftspolitik verdient hat, nimmt natürlich niemand an, im Land fließen nur Milch und Honig. Gerade für die Compliance-Abteilung gibt es einige Entwicklungen, die im Auge behalten werden müssen. Ganz aktuell wäre das zum Beispiel die Ukraine-Krise.
Außenpolitisch gesehen bleibt noch abzuwarten, wie sich diese auf die Unternehmen Polens auswirkt. „Viele polnischen Firmen, sehr oft unsere Kunden, könnten temporär oder sogar permanent ihre Märkte verlieren, was dann auch unseren Absatz im Industriebereich senken könnte. Aber auch das Risiko von Störungen auf dem Energiemarkt, beispielsweise die Senkung von Gas- oder Öllieferungen, könnten sich negativ auf das ganze Wirtschaftsklima und die BIP-Entwicklung auswirken“, so Marcin Szczepanski, Direktor der Compliance Abteilung bei Siemens Sp. z o. o. in Polen und Vizepräsident des Compliance Ausschusses bei der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen).
„Die Konjunktureintrübung in der Eurozone und die Ukraine-Krise haben bereits eine Auswirkung auf Polens Wirtschaft. Nach der wirtschaftlichen Wiederbelebung im ersten Halbjahr 2014, wird das zweite Halbjahr schwächere Wachstumszahlen zeigen. Bereits im dritten Quartal 2014 fiel das reale BIP-Wachstum auf 2,8 Prozent“, so Krzysztof Radziwon, Partner Risk Consulting bei KPMG in Polen. Kurzum, es ist denkbar, dass die polnischen Unternehmen durch diese Entwicklungen unter Druck geraten.
Auch die aktuelle Klimaschutzpolitik der EU wird an der polnischen Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen. Ende Oktober 2014 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel über Klimaschutzziele bis 2030. So soll der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid im Vergleich zu 1990 verbindlich um mindestens 40 Prozent sinken und der Anteil der erneuerbaren Energien auf mindestens 27 Prozent steigen. Allerdings wurde auf Druck Großbritanniens und Polens die Zielmarke für das Energiesparen um drei Prozent auf 27 Prozent nach unten korrigiert.
Diese verbindlichen Vorgaben werden langfristig eine Auswirkung auf die Industrielandschaft in Polen haben. „Die Verschärfung der Klimaschutzpolitik in der EU birgt einerseits das Risiko der Industrieverschiebung aus Polen. Andererseits kann es auch eine riesige Chance für die neuen, effizienteren Technologien darstellen“, so Szczepanski. Ob diese Chancen wirklich genutzt werden können, wird sich noch zeigen.
Aufgaben zu erledigen
Innenpolitisch mahnt die EU-Kommission in ihren Empfehlungen im Rahmen des „Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik“, dass Polens Konsolidierungsstrategie durch umfassende Strukturreformen begleitet werden muss. „Der geringe Anteil wachstumsfördernder Ausgaben (für Bildung, Forschung und Innovation) beeinträchtigt die langfristigen Wachstumsaussichten“, so die EU-Kommission. Polen hat die niedrigsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der gesamten EU.
Im Privatsektor sind diese sogar besonders niedrig, rechnet die EU vor. „Die niedrigen FuE-Ausgaben gehen mit einer geringen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Unternehmen und einem zu wenig innovationsfreundlichen Geschäftsumfeld einher. Das risikoscheue polnische Innovationsförderungssystem beruht vorwiegend auf Zuschüssen, mit denen die Übernahme und der Transfer von Technologie gefördert werden, ohne dass dies einen wesentlichen Einfluss auf echte Innovationen hätte. Die bestehenden steuerlichen Anreize für FuE leisten keinen wirksamen Beitrag zur Förderung interner FuE im Privatsektor“, so der Hinweis der EU-Kommission.
Was die mangelnde Innovationskraft des Privatsektors in einem immer härter werdenden Wettbewerbsumfeld für eine Compliance-Abteilung bedeutet, liegt auf der Hand: die Korruption kann steigen, auch das Risiko zu Kartellbildung. „Der harte Wettbewerb, niedrige Nachfrage auf dem lokalen Markt, das Fehlen an gut qualifizierten Arbeitnehmern wird neben der vermutlich steigenden Steuerlast und Gesetzesänderungen das Wachstum der polnischen Unternehmen 2015 beeinträchtigen“, warnt KPMG-Partner Radziwon.
Mit „Gesetzesänderungen“ ist vor allem die aktuelle Novellierung des polnischen Vergaberechts gemeint. Nun ist der Einkaufspreis nicht mehr der einziger Faktor auf den bei öffentlichen Ausschreibungen geachtet wird. Das Preiskriterium allein darf zum Beispiel jetzt nur noch angewandt werden, wenn das ausgeschriebene Kaufobjekt zu den allgemein verfügbaren Gütern zählt und sich dazu gewisse Qualitätsstandards etabliert haben.
Daneben geht auch die EU-Kommission in ihren Empfehlungen auf das Steuersystem Polens ein: „Die unzureichende Einhaltung der Steuervorschriften ist weiterhin ein Problem, das insbesondere mit der Effizienz der Steuerverwaltung und dem Verwaltungsaufwand für Steuerzahler zusammenhängt.“ Und sie fährt fort: „Die mit der Einhaltung der Steuervorschriften verbundenen Kosten sind hoch, was sich auf die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sehr negativ auswirkt.“ Diese Sicht der EU wird auch vom Privatsektor geteilt, wo Befürchtungen vor steigender Steuerlast geäußert werden.
Triumph der Form über die Substanz?
Natürlich ist in den Ländern, die einen Transformationsprozess durchlaufen haben, wie die Länder des ehemaligen Ostblocks, Korruption eines der zentralen Themen. „Die radikale Verschärfung der Strafgesetze und die Schaffung eines Zentralen Anti-Korruptionsbüros waren die beiden Maßnahmen, die in den vergangenen zehn Jahren am meisten zur Bekämpfung der Korruption im Land beigetragen haben. Korruption ist mittlerweile kaum noch ein Thema in Polen“, sagt Prof. Dr. Bartosz Makowicz vom Zentrum für Interdisziplinäre Compliance-Forschung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder.
Ansonsten bescheinigt eine Publikation aus dem Jahre 2012 von Transparency International (TI) in Polen sämtlichen Regierungen, dass sie bei der Bekämpfung der Korruption nicht unbedingt systematisch vorgegangen sind. Den Politikern mangele es am Willen für eine griffige und kohärente Anti-Korruptions-Politik. In der Einschätzung von TI Polen lassen sich diese Bemühungen auf einen Nenner bringen: „Triumph von Form über die Substanz“, so der TI-Bericht „National Integrity System Assessment Poland“.
Dennoch gibt es aktuell zwei positive Entwicklungen: Polens Kartellwächter, das Amt für Wettbewerbsbeschränkungen und Verbraucherschutz, ist dafür bekannt, rücksichtslos gegen die Kartellanten vorzugehen und die kartellrechtlichen Vorschriften durchzusetzen. „Das Amt hat sehr gute Überwachungssysteme und hat daher eine hohe Aufdeckungsquote. Außerdem ist es sehr gut vernetzt mit den anderen Behörden“, so Prof. Dr. Makowicz.
Die zweite interessante Entwicklungen in Polen gibt es von Seiten der Warschauer Wertpapierbörse, der Giełda Papierów Wartosciowych (GPW). „Die Warschauer Wertpapierbörse hat sich vor ungefähr einem Jahr entschieden, ein Compliance Management System einzurichten“, erzählt Prof. Dr. Makowicz. „Gleichzeitig hat die Börse mit der Umsetzung ihrer Strategie gestartet, das Vertrauen in den Kapitalmarkt zu stärken. Innerhalb dieses Vertrauensbildungspakets hat man verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Compliance unter den Unternehmen in Polen bekannter zu machen. Das heißt, man versucht jetzt, die Unternehmen auf diesem Wege dazu zu bewegen, in Compliance zu investieren.“ Dazu soll unter anderem der polnische Good Practice Kodex (so etwas wie der Deutsche Corporate Governance Kodex) um eine weitere Klausel betreffend Compliance ergänzt werden.
Beide Entwicklungen sind wichtig für die Verbreitung von Corporate Compliance in Polen, was wiederum den ausländischen Unternehmen, die in Polen investieren, zugutekommt – und beides hilft natürlich auch der Arbeit der Compliance-Abteilungen.