Herr Thierfelder, was tut sich gerade auf dem Compliance-Personalmarkt?
Allen wird klarer, dass Super-Compliance-Systeme und -Prozesse, so sinnvoll sie auch sind, alleine nicht reichen. Das zeigen auch jüngste Vorfälle. Viele fragen sich, ob sie weiter so prozessorientiert Compliance etablieren wollen. Und vor allem wie wir wirklich eine Kulturveränderung in den Unternehmen schaffen. Prozesse sind das eine – verlässliche und dauerhafte Verhaltensänderung ist aber ein viel größeres Thema. Unternehmen suchen folgerichtig Menschen mit Haltung. Die Compliance Officer ihrerseits fragen die Unternehmen verstärkt, ob es ihnen wirklich um Transparenz geht oder nur um Haftungsvermeidung. Das ist eine interessante Frage.
Können Sie genauer unterscheiden, ob diese Einsicht mehr von der Unternehmensseite ausgeht oder von den Compliance Officern?
Die Compliance-Verantwortlichen treibt das Thema natürlich um. Sie erfahren tagtäglich, dass man alle möglichen Regeln aufsetzen kann und dass das sinnlos ist, wenn deren Umsetzung und Einhaltung nicht gelebt und vorgelebt wird. Sie spüren auch das gesellschaftliche Interesse daran. Und natürlich treibt auch Unternehmensverantwortliche die Frage um, wie man im Einklang mit selbst gesetzten Standards erfolgreich wirtschaftet. Nicht von ungefähr erinnert die vor kurzem neu gefasste Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodex nunmehr an das Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“.
Was suchen eigentlich die Unternehmen?
Sie suchen Profis. Und zwar entweder weil sie ihre Compliance noch weiter entwickeln wollen. Oder weil sie sie noch stärker im Unternehmen verankern wollen, und zwar in Übereinstimmung mit dem Geschäftsziel. Die Anforderungen an den Compliance Officer sind noch weiter gestiegen, vor allem an die Persönlichkeiten.
Können Sie dazu Beispiele bringen, welchen Ansprüchen die Compliance Officer als Persönlichkeiten genügen müssen?
Dass man einer Persönlichkeit abnimmt, dass sie Compliance als Verhaltensmaßstab und Geschäftsfaktor ernst vermittelt und auch mutig genug ist, Dinge zu hinterfragen und gleichzeitig gute und businessnahe Lösungen anzubieten. Dass sie wirklich das Geschäft in einer Compliance-konformen Art und Weise ermöglicht. Und dazu brauchen Unternehmen Leute, die den Mund aufmachen, und Leute, die etwas vom Geschäft verstehen. Sie müssen vom Typ her uneingeschränkt vertrauenswürdige und aktiv gesuchte Ratgeber sein.
Wenn aber dem so ist, warum suchen dann Unternehmen CCO, die sie dann irgendwo in der Rechtsabteilung subordinieren oder wo die Berichtslinie nicht direkt zum Vorstand läuft?
Das sollte so nicht sein. Es ist allerdings – ganz praktisch gesehen – auch abhängig von der Unternehmensgröße. Im kleineren Mittelstand scheut man zu Recht eine weitere Berichtslinie. Ab einer gewissen Größe muss Compliance aber unbedingt eine Stand-Alone-Position haben und darf nicht unter Legal stehen. Viele Unternehmen, die wir beraten, suchen Compliance Officer als eigenständige Funktion. Das ist auch deshalb empfehlenswert, weil die besten Kandidaten absagen, wenn sie erfahren, dass es eine Berichtslinie zum General Counsel gibt und dieser nicht im Vorstand sitzt.
Ich kenne viele Compliance Officer, zum Teil sogar Chief Compliance Officer, die wirklich gut sind – und sie sind keine Juristen. Warum wollen Unternehmen dennoch fast ausschließlich Juristen?
Tatsache ist, dass die regulatorische, prozessuale und damit auch die juristische Komplexität steigt. Der Vorteil der Juristen ist, dass sie sich in den klassischen Themen wie Kartellrecht, Antikorruptionsvorgaben, Datenschutz oder neuerdings auch Anti-Money Laundering auskennen, weil diese vielfach rechtlich geprägt sind. Und sie sind es auch gewohnt, Dinge in Regularien zu fassen, zu formulieren. Dennoch müssen sie darüber hinaus das Geschäft verstehen und Geschäftsprozesse abbilden können. Das tun meist andere Berufsgruppen, die zum Beispiel aus dem Vertrieb oder auch Audit kommen, erst einmal besser. Aber viele Compliance Officer verfügen heute über die nötige Erfahrung und einen praxisgerechten Blick auf das richtige Verhältnis zwischen geschäftlichen Vorgängen und Compliance. Und nicht zuletzt haben zum Glück viele Juristen gelernt, ihre kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern und sich einfacher auszudrücken. Das ist unerlässlich, um nach innen wirken zu können.
Gibt es auf Seiten der Arbeitgeber überhaupt ein Verständnis dafür, dass an der einen oder anderen Stelle auch ein Nicht-Jurist als Compliance Officer gut wäre?
Ja klar, es hängt immer vom Unternehmensumfeld ab und von der Frage, wo sich eine Organisation gerade in Sachen Compliance befindet. Auch die Industrie spielt eine Rolle. In der klassischen Finanzindustrie und anderen besonders regulierten Umfeldern haben die Juristen einfach einen Heimvorteil. Oder in Industrien, wo bestimmte Compliance-Themen eine besondere Rolle spielen oder ein unmittelbarer Kontakt mit Regulatoren zum Aufgabenprofil gehört.
Hinzu kommt, dass Vorstände, die ja in der Regel selbst keine Juristen sind, Vorbehalte haben, in der Compliance zu viele Rechtsexperten einzustellen. Und wenn sie Juristen nehmen, dann wollen sie nur solche, die absolut pragmatisch, geschäftsnah und kommunikationsstark sind. Denn ein Compliance Officer macht im Unternehmen nur dann Sinn, wenn er oder sie eine Anlaufstelle ist und Menschen von sich aus zu dieser Person hingehen wollen.
Können Sie auch bei den Gehältern eine Veränderung feststellen?
Die Gehälter der Chief Compliance Officer sind heute durchaus mit den Gehältern der General Counsel vergleichbar. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen Mittelstand und großen börsennotierten Unternehmen. Gerade Letztere haben aber erkannt, dass hervorragende Persönlichkeiten ihren Wert haben und sind auch bereit, entsprechend zu bezahlen.
Wie sieht es aus, wenn die Compliance Officer zwischen den Industrien wechseln? Können Sie da eine Veränderung feststellen?
Wir können eine größere Offenheit beim Wechsel zwischen den Industrien beobachten. Das ist interessant, denn früher haben wir nur einen Wechsel aus den regulierten in die nicht regulierten Branchen gesehen. Der umgekehrte Fall kam so gut wie nie vor. Finanzdienstleistungsunternehmen beispielsweise sind aber heute offener, weil sie erkennen, dass eine andere Industrieexpertise und Perspektive hilfreich sein könnte. Und insgesamt ist Compliance heute ein reiferer Markt. Das heißt, es gibt auch aus anderen, weniger regulierten Umfeldern sehr gute Compliance Manager, die vom Typ her passen und die sich schnell in hochregulierte Felder einarbeiten können. Das sehen wir immer häufiger. Was wir noch nicht sehen, ist die Durchlässigkeit wie in angelsächsischen Ländern, wo Wechsel zwischen Regulatoren und Unternehmen durchaus regelmäßig vorkommen. Das gibt es in Deutschland bisher nicht.