Deutsche Unternehmen haben zu Russland ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits möchte man hin, nicht zuletzt, weil das Land ein riesiger Wachstumsmarkt ist. Andererseits fühlt man sich überfordert von den Verhältnissen, die man in Russland vorfindet. Viele Unternehmen verabschieden sich auch sehr schnell wieder aus Russland. Zu Hause in Deutschland geben sie dann als Grund an, sie mussten sich aus Russland wieder zurückziehen, weil in diesem Land ein Geschäft ohne Schmiergelder & Co. gar nicht möglich sei. Und mit dieser Begründung würde jedes Unternehmen in Deutschland auf viel Verständnis stoßen, weil das die geltende Meinung über Russland ist.
Wer ist schuld?
Aber stimmt diese Meinung wirklich mit der Realität überein? „Nicht selten sind Unternehmen, die in Russland investieren wollen, einfach nicht gut genug vorbereitet. Auch in Russland müssen Unternehmen rechtliche Rahmenbedingungen beachten. Die einfache Zusage eines russischen Partners darüber, dass man sich über die Grundstückserschließung keine Sorgen machen müsse, reicht eben nicht. Übrigens genauso wie in Deutschland oder Frankreich auch. Und doch gewinnt man nicht selten den Eindruck, dass bei Investitionen in Russland andere Maßstäbe angelegt werden als in anderen Märkten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Russland erinnern oft an die, die wir aus Deutschland kennen, denn sie sind häufig an diese angelehnt“, sagt Falk Tischendorf, Partner und Leiter des Moskauer Büros von Beiten Burkhardt. „Treten dann Probleme auf, wird man selten ein Eingeständnis seitens des Unternehmens zu hören bekommen. Vielmehr wird eher die „Russlandkarte“ gezogen und die „Bedingungen im Land“ für die Situation des Projektes verantwortlich gemacht. Natürlich kann es auch in Russland bei gut vorbereiteten Projekten zu Schwierigkeiten kommen, aber das ist keine russische Besonderheit, das kann Ihnen auch in anderen Märkten passieren.“
Auch was das beliebte Russland-Thema Schmiergelder angeht, muss mittlerweile die Meinung ein wenig revidiert werden. Natürlich bleibt es eines der zentralen Probleme dieses Landes. Dennoch: „Es ist in Russland möglich, ohne Schmiergelder zu arbeiten. Einige wählen nur diesen Weg, weil es einfacher, schneller und effektiver ist. Ganz besonders dann, wenn das Unternehmen unter Druck kommt, weil irgendwelche Fristen einzuhalten sind. Dann werden schnellere Auswege gesucht und es kommt zu Schmiergeldzahlungen“, sagt Edward Bekeschenko, Compliance Partner von Baker & McKenzie in Moskau. „Daher ist es so wichtig, schon im Vorfeld des Geschäftseintritts in Russland vor dem Hintergrund der Realitäten des Landes zu planen.“
Während man noch vor zehn Jahren darüber Witze reißen konnte, dass man Schmiergelder zahlt, gehört es heute zum schlechten Ton. „Es gibt eine Bewusstseinsänderung zu diesem Thema“, stellt Bekeschenko fest. Und wenn man dennoch mit der Forderung nach der Zahlung von Schmiergeldern konfrontiert wird, dann gibt es seiner Meinung nach nur die eine richtige Reaktion: „Der Mitarbeiter muss darauf hinweisen, dass er, damit er Geld zahlt, zunächst die internen Prozesse durchlaufen und diese Forderung in die Head Quarter melden muss“, rät Bekeschenko. „Sobald die Menschen verstehen, dass diese Frage nicht vor Ort geklärt wird, sondern irgendwohin delegiert wird und Dritte involviert sind, enden auch die Schmiergeldforderungen.“
Mit dieser Haltung kann es sein, dass man kurzfristig Nachteile hinnehmen muss, es sich auf lange Sicht aber auszahlt. Denn das Land unternimmt einiges, um bessere Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen. Zum Beispiel hat sich die russische Regierung den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben. Natürlich kann man nicht abstreiten, dass Russland weit entfernt von blühenden Compliance-Landschaften ist. Aber kann man das gerade mal 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems erwarten? Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg auch seine Zeit gebraucht, um auf das heutige Niveau zu kommen. Dr. Evgeny Kiselev, Lead Senior Legal Counsel bei der SAP CIS in Moskau sieht den Grund dafür, warum Russland zu seinem schlechten Ruf im Compliance-Bereich kommt, auch in der politischen Situation in den neunziger Jahren: „Uns fehlten in Russland im Wirtschaftsleben lange Institutionen, die die Qualität der Maßnahmen im Geschäft kontrollieren und regeln. Nach der Wende hat man in Abkehr vom Sozialismus gedacht, es gibt gar keine Kontrolle mehr. Dann hat man aber festgestellt, dass es auch im Westen sehr wohl Kontrollen gibt. Wir haben langsam verstanden, dass der wilde Kapitalismus nicht das Ideale ist. Dann haben wir angefangen, in kurzer Zeit Kontrollinstrumente zu erarbeiten, nicht zuletzt im Zuge der Verhandlungen über den Beitritt zum WTO“.
Ein Beispiel für diesen Orientierungswechsel ist die Entwicklung der russischen Kartellbehörde. Die gab es schon länger, nur hat man von ihr nicht besonders viel gehört. „Vor drei Jahren ist die Anti-Monopol-Behörde wach geworden. Wir wussten ja gar nicht mehr, ob es die noch gibt. Und plötzlich hat sie angefangen, ganz massiv eine Initiative nach der anderen einzubringen. Der Höhepunkt war der Ansatz, dass sie wie die Polizei arbeiten will, d. h., Durchsuchungen und Ermittlungen durchführen zum Thema Kartelle“, erzählt Dr. Kiselev. „Und außerdem hat sie jetzt angefangen, verstärkt den Markt zu prüfen.“ Mittlerweile ist die Homepage des Antimonopoldienstes der Russischen Föderation sowohl in russischer als auch in englischer Sprache sehr gut ausgebaut und es gibt viele Informationen rund um die Arbeit der Behörde sowie viele nützliche Dokumente für die Unternehmen.
Viele sinnvolle Reformen
In dem von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der Weltbank herausgegebenen „Business Environment and Enterprise Performance Survey“ für Russland, das neueste liegt für 2012 vor, geben 36 Prozent der befragten russischen Unternehmenslenker die hohe Steuerbelastung und 15 Prozent den Zugang zur Finanzierung als das größte Geschäftshindernis an. Korruption rangiert mit 8 Prozent „nur“ auf dem dritten Platz. Befragt wurden damals 4.220 Unternehmen zwischen August 2011 und Juni 2012. Und seit 2012 hat sich viel getan.
Im Weltbank-Ranking „Doing Business“ für 2014 ist Russland von Platz 111 im Jahr 2013 nun auf Platz 92 (von insgesamt 189 Plätzen) vorgerückt. Schaut man sich die einzelnen Bereiche an, für die es wiederum jeweils ein eigenes Ranking gibt, wie zum Beispiel Aufnahme von Geschäftstätigkeit oder wie schwer es ist, einen Kredit zu bekommen, dann stellt man auf den ersten Blick leicht fest, wo Russland nach wie vor Probleme hat: Schlechteres Ranking als Platz 100 bekamen der Umgang mit Baugenehmigungen (Platz 178), Vergabe von Krediten (Platz 109), Elektrifizierung (Platz 117), Schutz von Investoren (Platz 115) und grenzüberschreitender Handel (Platz 157). Dafür liegt aber Russland bei Vertragsdurchsetzung sogar auf Platz 10, Deutschland auf Platz 5. Und bei Registrierung von Eigentum auf Platz 17, Deutschland dagegen auf Platz 81. Das bedeutet, dass man Russland nicht nach einem Schwarz-Weiß-Schema vorverurteilen kann. Man muss unterscheiden nach Stärken und Schwächen und es mit anderen Ländern vergleichen. Der Vergleich kann einige festsitzende Meinungen relativieren.
Darüber hinaus erfährt man aus diesem Ranking auch, welche Anstrengungen in Russland unternommen wurden, um Verbesserungen in den einzelnen Bereichen zu erreichen. Zum Beispiel liest man dort, dass im vergangenen Jahr der grenzüberschreitende Handel einfacher gemacht wurde, weil ein elektronisches System für die Einreichung von Export- und Importdokumentation eingeführt wurde und die physischen Inspektionen beim Zoll reduziert wurden. Auch im Problembereich Baugenehmigungen wurde letztes Jahr einiges getan: Viele bisher notwendige Genehmigungsverfahren durch die russischen Behörden sind weggefallen, oder die Zeit, die man für die Registrierung eines neu errichteten Gebäudes bisher benötigt hat, wurde verkürzt. Auch im Bereich Aufnahme der Geschäftstätigkeit wurde die Zahl der vorzulegenden beglaubigten Urkunden etwas reduziert. Das Verfahren zur Übertragung von Eigentum wurde vereinfacht, indem die Verwaltungsverfahren verschlankt und die Fristen zur Bearbeitung von Anmeldungen zur Eigentumsübertragung eingeführt wurden. Darüber hinaus durch wird gerade das russische Zivilgesetzbuch weitgreifend reformiert. „Diese Novellierung betrifft viele wichtige Bereiche. Insbesondere den Allgemeinen Teil, einzelne Vertragsregelungen, Regelungen im Sachenrecht, wichtige Bereiche des Gesellschaftsrechts, das IPR und den Gewerblichen Rechtsschutz. Dabei rücken viele dieser Änderungen das russische Recht noch näher an uns aus dem deutschen Recht bekannte Regelungen. Ziel der Novellierung ist eine umfassende Modernisierung des jungen russischen Rechts, vor dem man nur den Hut ziehen kann. In dieser Entwicklung spiegelt sich die Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Recht deutlich wider“, berichtet Tischendorf.
Interessante Entwicklungen gibt es in Russland gerade im Compliance-Bereich. Seit Anfang 2013 trat für den Paragraph 273 des Föderalen Anti-Korruptionsgesetzes darin der Artikel 13.3 in Kraft. Danach sind die Unternehmen nun verpflichtet, Maßnahmen zur Prävention von Korruption vorzunehmen. Diese Maßnahmen können einschließen:
1. Ernennung der Abteilungen und Verantwortlicher, die für die Prävention von Korruption und anderer Rechtsbrüche zuständig sind;
2. Kooperation der Organisation mit den Strafverfolgungsbehörden;
3. Ausarbeitung und Implementierung von Standards und Prozessen, die auf eine gute Unternehmensführung gerichtet sind;
4. Annahme eines Code of Conducts & Ethics;
5. Verhinderung und Regulierung von Interessenkonflikten;
6. Verhinderung einer inoffiziellen Buchhaltung und Verwendung von falschen Dokumenten.
Und es bleibt bei diesem Gesetz tatsächlich nicht nur beim Text. „Die russischen Behörden prüfen die Einhaltung des Artikels 13.3 wirklich nach, indem sie in die Unternehmen gehen. Sie prüfen aber noch nicht die Details der Qualität der Compliance Maßnahmen, sondern nur das Vorhandensein der Policies“, sagt Bekeschenko. Allerdings fällt bei diesem Gesetz auf, dass nirgends steht, was passiert, wenn ein Unternehmen nichts macht. „Es ist sogar so, dass die Einhaltung dieses Artikels 13.3 könnte den einzigen Schutz darstellen, wenn das Unternehmen gegen den Artikel 198.28 des OWiG der Russischen Föderation verstößt“, erklärt Bekeschenko. Sollte dann tatsächlich zum Beispiel ein Korruptionsfall eintreten, würde das aber die Unternehmen eventuell härter treffen, die sich durch das Vorweisen von Compliance Policies oder CMS nicht exkulpieren können. „Dann gibt es eine Anklage nach dem Absatz 19.28 des Kodex der Russischen Föderation über die administrativen Rechtsbrüche, das auch die Bestrafung der juristischen Personen vorsieht. Eines der Elemente des Verstoßes gegen OWiG der Russischen Föderation ist die Schuld. Diese wird im Artikel 2.1 desselben Gesetzes definiert. Demnach ist ein Unternehmen dann schuldig, wenn es die Errichtung entsprechender Compliance-Maßnahmen unterlassen hat. Auf solche Maßnahmen geht eben der Artikel 13.3 ein“, erläutert Bekeschenko.
Beim CMS Mentalität einbeziehen
Das Compliance Management System, wie es zum Beispiel in Deutschland in den Unternehmen vorzufinden ist, kann auch auf die russischen Unternehmen übertragen werden. Worüber man sich dagegen viel mehr Gedanken machen muss, ist, wie man durch das CMS die russische Mentalität einfängt. Hier gilt, was in Deutschland funktioniert, kann in vielen Bereichen grundsätzlich auch in Russland umgesetzt werden. „Bei der Umsetzung von Compliance-Standards sind die russischen Mitarbeiter aktiv einzubeziehen. Sie können sich sicher sein, dass russische Mitarbeiter genauso wie ihre deutschen Kollegen überhaupt kein Interesse daran haben, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Das russische Recht ähnelt in vielen Bereichen dem deutschen Recht. Die Herausforderung liegt also im Markt und Gewohnheiten. Deshalb sind Erwartungshorizonte an die russischen Mitarbeiter klar zu definieren. Hierzu können interne Richtlinien einen sehr hilfreichen Beitrag leisten“, sagt Tischendorf.
Ein anderes Beispiel ist die Aufstellung von Compliance-Risikomodellen. „Die Kollegen in Deutschland neigen dazu, bei den Risk Assessments zu theoretisch zu werden und sich auf die in den Headquarters erarbeiteten Prozesse zu verlassen“, erzählt Dr. Kiselev. „Versucht man diese auf Russland eins zu eins anzuwenden, schafft man erst ein Risiko, weil diese Modelle zu formal sind. Alles was formal ist, kann man umgehen. Daher muss man ganz präzise vorgehen und gewisse Freiheit, zu entscheiden, erst mit lokaler Erfahrung und mit sehr viel Fingerspitzengefühl lassen.“
Russland muss Russland bleiben
In Russland gibt es derzeit gerade im Bereich Recht und Verwaltung viele positive Entwicklungen, die aber im Westen niemand wahrnimmt oder wahrnehmen will. Natürlich lernen die russischen Unternehmen gerade durch die Geschäftsbeziehungen zu ihren ausländischen Partnern einiges über Compliance. Doch sollte man sich vor der Vorstellung hüten, man bringe die Zivilisation bzw. die Compliance-Elektrifizierung in das dunkle russische Reich. Die Russen wollen selbst die Bedingungen für die Bekämpfung der Korruption schaffen und die Definitionen dafür erarbeiten. Sie versuchen gerade intensiv, Alternativen aufzubauen, die auch zum russischen Recht passen. „Wir wollen nicht geführt werden, sondern wir wollen in unserem Land selbst den Lead haben. Und diese Tendenz gibt es bei allen Ländern“, sagt Dr. Kiselev. Den andern Ländern gesteht man dieses Recht zu, Russland als der an der Spitze der Korruptionsbekämpfung stehender Markt muss es mit umso mehr genießen. „Russland ist Russland. Wir haben es als solches zu akzeptieren und sollten nicht versuchen, es belehren zu wollen. Dasselbe machen übrigens die Russen in Bezug auf Deutschland und es funktioniert eigentlich ganz gut. Denn wir brauchen einander und sind uns in vielen Dingen ähnlicher als wir es uns zugestehen“, sagt Tischendorf.
Daher sollte man Russland eine Chance geben, Gewohnheiten und Mentalität respektieren und die positiven Schritte einer zunehmenden Verrechtlichung würdigen. Auch in der Psychologie wird das ähnlich gesehen. Wenn man keine Bemühungen in Richtung Verbesserung sehen will, sondern immer wieder nur die alten Vorurteile pflegt, provoziert man damit Resignation und aggressives Verhalten. In dieser Hinsicht ähneln sich Menschen und Staaten.