„Es braucht einen coolen Compliance Officer, der die Leute auch emotional abholt!“

Wie machen es die anderen?

Herr Haase, fangen wir mit den elementaren Dingen bei einer Compliance-Schulung an: Wie stellen Sie die Trainingsgruppen zusammen und wo beginnen Sie?
Ich schule alle persönlich, außer den Kollegen, die am Fließband stehen. Basierend auf unserer Risikoanalyse, die sich für diesen Fall auf Länder und Operationslevel erstreckt, führe ich die Schulung meist länderweise durch. Ich fange mit solchen Ländern an, deren Corruption Perception Index generell höher ist und in denen wir größere Niederlassungen mit Produktion und Vertrieb haben. Das bedeutet zum Beispiel für meinen Verantwortungsbereich, dass ich mit den Schulungen in Russland begonnen habe, dann war ich in Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Spanien und UK.

Wie groß sind Ihre Schulungsgruppen?
Da gehen wir sehr pragmatisch vor und orientieren uns an den zur Verfügung stehenden Räumen und der Anzahl der Teilnehmer. Die Schulungsgruppen sind daher unterschiedlich groß. Ich hatte in Spanien in unserer Vertriebsgesellschaft zum Beispiel ein Training mit 250 Leuten in einem Hotel – das war sehr spannend und sehr produktiv und das funktionierte perfekt. Die Teilnehmer waren sehr aktiv.

GM hat als internationaler Konzern in vielen Ländern Niederlassungen. Wie gehen Sie mit den Sprachunterschieden um?
Ich halte die Schulungen, die ich außerhalb Deutschlands mache, auf Englisch und achte darauf, wie die Sprachkenntnisse vor Ort sind. Beispielsweise war ich sehr überrascht, wie gut die Englischkenntnisse in Polen und Bulgarien waren. Und in Spanien habe ich mit einer Simultanübersetzerin gearbeitet, weil da die Unterschiede innerhalb der Schulungsgruppe zu groß waren.

Trennen Sie nach Bereichen Vertrieb, Einkauf und dergleichen?
Die Mitarbeiter bekommen alle Grundlagenschulungen in Anti-Korruption, Kartellrecht oder Export-Compliance. Aber darüber hinaus versuche ich die Gruppen möglichst homogen zusammenzustellen, also zum Beispiel nur Mitarbeiter aus dem Vertrieb oder nur Mitarbeiter aus dem Einkauf. Ich passe die Inhalte und insbesondere die Beispiele meiner Schulungen immer auf die jeweilige Lerngruppe an.

Und wie gehen Sie mit den kulturellen Eigenheiten um?
Es ist in einem Konzern immer so, dass man sich bewusst sein sollte, woher man kommt. Das bedeutet in unserem Fall, dass für uns als Tochter der GM die US-Gesetze maßgebend sind. Das ist der Ausgangspunkt. Ich sage in meinen Trainings, dass wir die wichtigsten US-Gesetze kennen müssen, wie zum Beispiel den FCPA, dass sie sich aber bei ihrer täglichen Arbeit dennoch einfacher Weise am lokalen Recht orientieren sollten. Denn wenn sie sich daran halten, sind sie auch fast in Compliance mit den US-amerikanischen Regelungen – denken wir zum Beispiel an Korruptionstatbestände, Export Compliance und Kartellrecht.

Meine Schulungen passe ich immer auf das jeweilige Land an. Zum Beispiel in Polen erwähne ich die polnische Anti-Korruptionsbehörde und die polnischen Gesetzesgrundlagen. Ich kopiere die polnischen Gesetzestexte in meine Präsentation ein, und stelle dabei selber fest, wie ähnlich sich doch die Regelungen sind – ich lerne selbst viel während der Vorbereitung der Schulungen. Und ich suche immer einen aktuellen Korruptionsfall in dem jeweiligen Land heraus – man findet immer einen. Das ist wichtig, damit die Mitarbeiter in dem jeweiligen Land nicht das Gefühl haben, man stelle sie unter Generalverdacht. Dazu versuche ich immer zum Beispiel eine Aussage zum Thema Korruption vom Staatschef, Staatsanwälten, Richtern und ähnlichen Berufsgruppen zu nehmen, die sich gegen die Korruption wenden und etwas zu dem Land sagen in Bezug darauf.

Jedes Land hat ja so seine eigene beliebte Unterrichtsform, die die Menschen dort gewohnt sind. Gehen Sie darauf auch ein?
Von didaktischen Methoden her habe ich festgestellt, dass eine bestimmte Methode in allen Ländern gleich gut funktioniert und da ist es egal, welche Unterrichtsformen die Mitarbeiter dort gewöhnt sind: Die kombinierte Methode aus Frontalunterricht und Interaktion. Man muss zwischendurch Fragen stellen, aber nicht zum Sachverhalt, sondern solche Dinge fragen, mit denen lokale Kollegen etwas verbinden, wie z. B. „Nennen Sie mir bitte ein bekanntes Ausflugsziel hier in der Nähe.“ Dann sagen zum Beispiel die Russen irgendwas und natürlich kann man es meistens nicht aussprechen. Das lockert auf und die Anwesenden verbinden es mit etwas positiv Vertrautem, wenn man es dann in das folgende Beispiel einbaut erzeugt man ein Bild im Kopf der Zuhörer. Dieser Trick funktioniert in allen Ländern. Und sowohl während des Trainings, aber auch am Ende habe ich immer kleine „Erinnerungen“ an diese Bilder. Manche Dinge sind aber auch ganz trivial zum Beispiel beim Korruptionstraining frage ich ins Publikum, wo sie bestimmte Dokumente oder Hilfen im Intranet finden. Bei Export-Compliance lasse ich die Länder nennen.

Was ich grundsätzlich für sehr wichtig halte, ist, so viel mit möglich mit Übungsfällen und Beispielen zu arbeiten. Immer, wenn ich etwas erklärt habe, bringe ich direkt im Anschluss ein Beispiel. Ich suche die Beispiele aus der Arbeitsrealität der Trainingsgruppe heraus. So ist die Definition von Facilitation Payments relativ lang und unverständlich, da sie unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Ich zeige und spreche diese Definition im Training zwar aus, aber ich erkläre im Anschluss, wie es im Leben aussieht und was es bedeutet. Ich präsentiere also abstraktes Wissen, bringe dann aber Beispiele und erkläre, wo passiert es in der Realität, wie läuft es ab. Im Laufe der Zeit habe ich mir ein riesiges Portfolio an Beispielen angelegt. Diese einfachen Techniken funktionieren in allen Gruppen und Kulturkreisen, sie sind aus meiner Sicht universell einsetzbar. Man braucht aber zwei Dinge dazu: erstens Phantasie für Beispiele im Arbeitsbereich der jeweiligen Lerngruppe und zweitens den Mut, sich von mehrfach genehmigten und geprüften Präsentationen zu lösen, denn eine Präsentation ist keine Schulung!

Wie beziehen Sie konkret die Gruppe ein – vor allem, wie machen Sie das, wenn Sie 250 Leute schulen?
Zum Beispiel habe ich am Ende eines jeden Trainings immer einen Fall, meistens eine Mischung aus Fiktion und realen Dingen. Ich lasse die Leute abwechselnd in die Rolle des Compliance Officers und dann des Business Partners schlüpfen. Und ich mache immer, un

abhängig davon, in welchem Kulturkreis man gerade ist, eine Beobachtung: Ich schildere den Fall und sage, „Ich komme zu Ihnen, Sie sind der Compliance Officer. Was sagen Sie zu mir?“ Die Antwort ist immer die gleiche: „Das geht nicht.“ Ich hinterfrage, warum alles gar nicht geht, denn meistens geht aus dem Szenario hervor, dass irgendetwas schon geht. Wahrscheinlich kann man davon nur einen Teil nicht machen. Ich erkläre, dass die Realität anders aussieht, ansonsten wäre mein Job als Compliance Officer zu einfach. Dann bringe ich eine Liste von Argumenten, die von den Mitarbeitern kommen. Und da lachen alle, weil sie sich wiedererkennen, zum Beispiel „Wir haben das schon immer so gemacht…“, „Das ist eine Sondersituation…“ oder „Andere machen das aber auch…“ und dergleichen. Ziel der Übung ist es, dass sie sich erinnern, dass, wie in der Schulung erklärt, nicht alles verboten ist. Natürlich kann man Kunden zu Testfahrten einladen, aber man muss gleichzeitig überlegen, ob die Einladung in einem Luxushotel stattfindet oder in einer Lokation irgendwo in der Nähe des Werkes. Das spielen wir reihum einmal durch, damit die Anwesenden ein Gefühl dafür bekommen, dass nicht alles verboten ist, aber es gibt bestimmte Aspekte, die sie hinterfragen müssen. Ich versuche, dass mindestens 50 bis 60 Prozent der Anwesenden drankommen. Aber da sie jedes Mal die Rolle wechseln. Von einem zum nächsten wissen sie  vorher nicht, ob sie, wenn sie dran kommen, Business Partner oder Compliance Officer sind – daher passen alle sehr genau auf. Für diese Übung muss man sich ein ausreichend großes Zeitfenster reservieren. Und dadurch, dass es jeden im Raum treffen kann, ist die Aufmerksamkeit extrem hoch.

Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Leute gehen aus der Schulung und diskutieren tatsächlich weiter am Arbeitsplatz mit ihren Kollegen darüber. Das ist ein Anzeichen dafür, dass sie sich damit beschäftigen und dass die Schulung eine Spur hinterlassen hat: Ziel erreicht.

Es gibt Unternehmen, da kennen die Leute nicht einmal den Namen des Chief Compliance Officers, weil sie ihn noch nie gesehen haben…
Ja, das stimmt und ich finde das nicht richtig. Derjenige, der hinter dem Compliance-Programm steht, muss sich den Leuten auch zeigen. In großen Unternehmen sollte sich wenigstens derjenige zeigen, der für die Region verantwortlich ist. Ich habe festgestellt, dass die Mitarbeiter das auch so wollen. Ich nutze diese Face-to-Face-Trainings, um persönliche Beziehung aufzubauen zu den Mitarbeitern vor Ort. Das ist für beide Seiten gut, denn die Leute haben damit eine Bezugsperson und ich habe eine Vorstellung davon, was dort los ist. Deshalb ist es aus meiner Sicht unersetzbar, dass zumindest der für die Region zuständige Compliance Officer in seinem Bereich die Schulungen selber macht und nicht die auf Schulungen spezialisierte Compliance Officer oder gar externe. Wenn die Organisation nicht so groß ist, dann würde ich immer empfehlen, dass der Chief Compliance Officer die Schulungen selbst durchführt. Das sollte man nicht als Bürde sehen, sondern als Compliance Officer lernt man unglaublich viel dadurch und man merkt, ob das, was man so am Schreibtisch fabriziert, überhaupt einen Sinn macht oder an der Organisation vorbeigeht.

Ich denke, viele stellen sich die Frage, ob man die Führungskräfte von normalen Mitarbeitern getrennt schulen soll. Der Trend geht ja derzeit noch in diese Richtung.
Das funktioniert nicht. Wenn man nur Führungskräfte schult, dann geht man davon aus, dass diese das weiter kommunizieren. Es gibt bestimmt Führungskräfte, die tatsächlich gut kommunizieren und das an ihre Teams weitergeben. Aber die meisten Führungskräfte können das nicht. Als Compliance Officer muss man Bezug zu jeder Arbeitsebene herstellen. Die meisten Compliance-Fälle, die ich bisher gesehen habe, passieren auf der Arbeitsebene. Und es gibt einen wesentliche Effekt: soziale Kontrolle. Wenn alle dieselbe Schulung haben und auf die Themen achten dann weist auch schonmal der eine Kollege den anderen auf etwas hin. Man kann also gar nicht genug „gleich“ geschulte Augen in einer Organisation haben. Die Compliance Kultur wird damit gleichermaßen geprägt, z.B. wie nahbar ist der Compliance Officer, kenn ich ihn, was macht er oder sie….

Wie machen Sie es?
Ich dachte am Anfang auch, es ist besser, zu trennen, weil die Führungskräfte sich andernfalls nicht trauen würden, zu fragen. Ich habe aber festgestellt, dass die Anwesenheit der Führungskräfte einen wichtigen Effekt hat – alle anderen fühlen sich gleichbehandelt, alle Regeln gelten für alle. Daher ist auch das Training für alle im Raum das gleiche egal welcher Ebene. Wenn sie individuelle Fragen haben, dann kommen die Kollegen sowieso eher nach dem Training zu mir. Erfahrungsgemäß werden im Training selbst in der Regel keine größeren Fragestellungen gewälzt.

Erst wenn alle ein Grundwissen erworben haben, dann kann man spezialisieren und zum Beispiel in Arbeitsgruppen mit den Führungskräften arbeiten. Aber das braucht man eigentlich dann gar nicht, denn es tritt ein simpler Effekt ein: In dem Moment, wo ich alle geschult habe, stellen die Mitarbeiter Fragen an ihre Vorgesetzten, die wiederum in gewissen Maße unter Druck geraten, denn sie müssen sich an die Schulung erinnern oder sich an jemanden wenden, der sich auskennt.

Nehmen wir als Beispiel Russland, das weithin als ordentlich korrupt gilt. Wie reagieren da Ihre Mitarbeiter auf Anti-Korruptions-Schulungen?
Ich bin mir sicher, dass die jungen Leute in Russland sich absolut mit den Unternehmensregeln und den Prinzipien identifizieren können. Bei den Älteren denke ich, dass es schon eine Rolle spielt, dass sie im US-amerikanischen Konzern arbeiten und wissen, dass Non-Compliance zum Jobverlust führt.

Diese Beobachtung beweist, dass die Wirkung einer Compliance-Maßnahme und der Grad ihrer Annahme im Wesentlichen von der Unternehmenskultur abhängen. Oder?
Ja, der Erfolg hängt auch mit der Unternehmenskultur zusammen. Aber bis zu einem gewissen Grad kann man als Compliance Officer mit seiner Schulung die Kultur in eine Richtung prägen. Aber dazu braucht man einen „coolen“ Compliance Officer, der seinen Job richtig versteht, der einen Witz hat und seine Aussagen pointiert vorbringt. Wenn das ein unmotiviertes Anwaltstraining ist mit einem Compliance Officer, der einfach seine Präsentation herunterspult, dann verändert das nichts. Die Leute brauchen schon etwas, wo sie emotional überrascht werden und ein gewisses Erlebnis haben. Aber eine Sache bleibt, wie ich es schon sagte: die Compliance (Grund-) Schulung darf nicht von irgendjemandem externen kommen, der das professionell macht, diese kann man in speziellen Gebieten danach einsetzen wie im Kartellrecht. Das ist sehr schwierig, denn nicht jeder Compliance Officer ist ein begnadeter Trainer. Aber eigentlich muss er es sein oder lernen.

Aber wenn das Abhalten von Trainings eine der wichtigsten Komponenten des Compliance-Jobs ist, dann ist es die Pflicht eines Compliance Officers, das gut zu können. Ansonsten braucht man diesen Beruf nicht wählen…
Der Meinung bin ich auch. Aber vielleicht liegt es gar nicht an den Fähigkeiten der Kollegen sondern am Korsett, in das sie sich gezwängt fühlen. Ich finde, viele Compliance Manager verkrampfen sich viel zu sehr auf ihre eigene Haftung bei Schulungen. Diese Angst schwingt dann mit, so dass sie möglichst alles in eine Schulung reinpacken, sonst machen sie sich angreifbar. Als Compliance Officer muss man den Mut haben, gewisse Dinge mit einer Schulung auch mal nicht abzudecken, das ist der Unterschied zu einer „Präsentation“ eines Rechtsthemas. Es ist besser, man konzentriert sich auf wenige Themen und die macht man dann gut. Ich lege keinen Wert darauf, ob die Inhalte meiner Präsentationen jeder rechtlichen Prüfung durch eine externe Kanzlei standhalten würden, dafür gibt es bei uns obligatorisches e-learning, da sind alle Seiten mehrfach geprüft und alles wird abgedeckt. Nach einer Klassenraumschulung weiß ich aber, wenn die Kollegen rausgehen, dass sie eine Menge verstanden und mitgenommen haben – inclusive der Bilder im Kopf, an die sie immer wieder denken. Und genau das wollen wir doch mit unseren Compliance-Schulungen erreichen.

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