Dieses Mal will ich Ihnen über etwas ganz Furchtbares erzählen! Für Sie, liebe Compliance Manager, wird das hier nicht nur eine Bösenachtgeschichte sein, sondern ein existenzieller Alptraum! Also: Setzen Sie sich bequem hin, kauen Sie vor Anspannung nicht auf Ihren Nägeln und hören Sie zu:
Es lebte einmal in einer im Volksmund als ziemlich hässlich gerufenen Stadt Essen ein Chief Compliance Officer, der Dr. Thomas K. hieß. Nun war Dr. K. seit 2007 nicht nur der Chief Compliance Officer eines riesengroßen Industriekonzerns, sondern dazu auch noch schon seit 2003 dessen General Counsel. Er hatte also sehr viel zu tun, vor allem deswegen, weil die bösen Kollegen sich doch tatsächlich immer wieder Kartelljungenstreiche erlaubten! Der Industriekonzern kam damit praktisch nicht mehr aus den Schlagzeilen! War echt anstrengend, ständig Razzien im Haus zu haben… Was hat unser Dr. K doch dagegen nicht alles zu tun versucht – wir wollen das aber hier nicht wiederkäuen. Das können Sie selbst im IDW PS-980-Bericht nachlesen, der bis in unsere Zeiten auf der Homepage des Stahlunternehmens überliefert ist.
Jedenfalls, riss unserem Dr. K. irgendwann der Geduldsfaden, die Vertriebsraufbolde trieben es immer bunter, da musste er der Wahrheit ins Gesicht schauen und nahm einen Vorstandsposten für Datenschutz, Recht und Compliance bei einem Telekommunikationsunternehmen an. Und Luftveränderung tut immer gut, so zog er weit, weit weg in den Süden – von Essen nach Bonn. „Macht doch, was Ihr wollt!“, hat er sich wohl gedacht. Im Juni 2012 war das. Ein ganz anderes Leben begann.
War ich schon mal in Bremen?
Eines Abends kommt Dr. K. so um 10 Uhr müde, aber glücklich und erfüllt von der Arbeit nach Hause und da lag es auf dem Küchentisch: ein Liebesbrief von der Staatsanwaltschaft aus Bremen! Ordnungsgemäß zugestellt, selbstredend. „Habe ich in Bremen irgendwas angestellt? Eine leere Milchtüte überfahren? Beim Einparken irgendein Auto gerammt und mich aus dem Staub gemacht? War ich eigentlich überhaupt schon mal in Bremen?“, Gedanken, die einem so durch den Kopf schießen, wenn man mit zitternden Händen und unguten Vorahnung den Briefumschlag aufreißt.
Am nächsten Tag kam Dr. K. unausgeschlafen und immer noch völlig geschockt in den Betrieb. Die ganze Nacht hat er telefoniert, nachgedacht, sich im Bett herumgewälzt und sich die berühmte Leninsche Frage gestellt – was tun? Und da Dr. K. ein Kommunikationsgenie ist (sonst wäre er ja auch nicht Vorstand geworden, wenn er das nicht wäre), hat er einen sehr richtigen strategischen Schritt unternommen: er setzte sich an seinen Computer, loggte sich im Intranet ein und schrieb für alle Mitarbeiter sichtbar einen Blogeintrag. Da stand sinngemäß drin, „Liebe Kollegen, aus heiterem Himmel habe ich erfahren, dass die Staatsanwaltschaft Bremen gegen mich als Beschuldigten einen Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Ich werde beschuldigt, dass ich bei einem Gemeinschaftsunternehmen von ThyssenKrupp Marine Systems, meinem alten Arbeitgeber, und Airbus als Chief Compliance Officer nachlässig gehandelt hätte! (Dieses unmögliche Gemeinschaftsunternehmen hat auch noch so einen recht unseriös klingenden Namen ‚Atlas Elektronik‘, wie so eine osteuropäische Briefkastenfirma, findet Ihr nicht?) Ich hätte unterlassen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, dass Straftaten im Konzern nicht begangen werden. Die Vorwürfe sind absolut haltlos! Und so weiter und so weiter …“. In diversen Medien wird er noch mit dem Satz aus dem Blog zitiert: „Ich hätte mir nie träumen lassen, bei derartigen Ermittlungen als Beschuldigter zu gelten, zumal mir die Staatsanwaltschaft keine Beteiligung an diesen Straftaten vorwirft!“ Es finden sich leider immer und in jedem Unternehmen emsige Mitarbeiter, die solche Dinge mit tiefer Befriedigung und im Bewusstsein der eigenen Geltung an die Medien weitergeben (manche verkaufen interne Details den meist bietenden Journalisten. Die Märchenerzählerin hat so einen Verkaufsversuch selbst erlebt).
Wer hat Angst?
Nun, liebe Compliance Officer – läuft es Ihnen kalt den Rücken runter? Das Ganze ist in der Tat recht absurd und leider ist daran ein Richter vom BGH schuld, der am 17. Juli 2009 ein völlig irres Urteil fällte, wo er irgendetwas von Garantenpflicht faselte. Für alle Neuzugänge in der Zunft, Aktenzeichen dieses Kunstwerkes ist 5 StR 394/08. Es ist also endlich geschehen: Die Staatsanwälte waren erbost darüber, dass sie unter schwierigen Bedingungen ermitteln mussten, da hat einer aus dem staatsanwaltschaftlichen Team wohl das Garantenpflicht-Urteil in die Runde geworfen (wahrscheinlich konnte sich derjenige daran noch schemenhaft aus seiner Prüfung für das zweite Staatsexamen von vor drei Jahren erinnern…). Da haben sie gekichert und gesagt, „Kommt, wir beweisen es den Compliance Officern, dass sie es nicht bringen und wehrlos sind! Ha! Auch wenn der liebe Richter die wirklich Schuldigen, zum Beispiel die Geschäftsführung, dann wie üblich freispricht, bei dem wird er nicht Nein sagen können! Supi, uns ist der Erfolg garantiert!“. Jedenfalls stießen sie in der Nicht-Compliance-Officer-Öffentlichkeit, zum Beispiel bei den Vertriebsleuten, Geschäftsführern und ähnlichen „Compliance-begeisterten“ Berufsgruppen, auf viel Zuspruch und Genugtuung.
Kürzlich hat ein „sachverständiger“ Journalist eines Wirtschaftsmediums, einer gewissen Zeitung mit dem Namen „Handelsblatt“, einen recht hämischen Bericht über die Vernehmung von Dr. K. als Zeugen in einem anderen Strafverfahren vor dem Landgericht Bochum hinsichtlich des Schienenkartells geschrieben. Viel Informatives war seinem Bericht über Dr. K’s Zeugenvernehmung nicht zu entnehmen, dafür aber viel Wertung und jetzt wissen wir auch, was Dr. K so an diesem Tag anhatte. Und dass Dr. K. am Anfang noch lächelte, dann sei ihm aber das Lachen vergangen! Ein echter Höhepunkt des investigativen Journalismus, was wir da also vorfinden. Und da der Berichterstatter so gut aufgepasst und die wirklich interessanten Stellen aufgeschrieben hat, wissen wir jetzt überhaupt nichts darüber, was Dr. K. denn nun konkret zur Sache ausgesagt hat. Dafür steht aber dieser völlig bescheuerte Satz im Bericht des Handelsblatts vom 10. Mai 2016 da, den der Handelsblatt-Autor wohl für besonders erwähnenswert hielt: „Kremer selbst war an dem Kartell nicht beteiligt.“ – nicht doch, wirklich?! Wenn er sich daran beteiligt hätte, dann würde er doch jetzt nicht als Zeuge aussagen. Und dann, wie soll das auch im Fall eines Compliance Officers aussehen? So vielleicht: Der Vertrieb kommt zum Compliance Officer und sagt: „Pass auf, wir wollen mit anderen Brüdern einen Kartell schmieden. Findest Du das auch gut? Außerdem, wir wollen nicht, dass Du es später als Letzter von den Staatsanwälten erfährst.“ Und der Compliance Officer sagt: „Vielen Dank! Das ist zwar verboten, Ihr wisst ja, meine Anti-Kartellrechtschulung vom letzten Jahr. Aber ich würde mich gerne daran beteiligen! Finde ich gut, dass Ihr mich mit ins Boot holt!“ Klingt doch irgendwie absurd, oder?
Sind wir jetzt alle in Gefahr?
Liebe Compliance Officer, ist die Angst Ihrer Zunft-Kollegen, Dr. K. könnte in diesem Verfahren verurteilt werden und dann würde es Konsequenzen für alle Compliance Officer Deutschlands geben, wirklich berechtigt? In diesem Einzelfall wissen wir noch zu wenig. Aber lassen Sie uns an die wenigen bekannten Fakten halten, die dennoch völlig ausreichend sind: In den Medien wird behauptet, 2007 habe es ein Treffen der Compliance Manager sowohl von ThyssenKrupp als auch von Airbus bei Atlas Elektronik gegeben. Dort wurden sie von externen Rechtsanwälten auf seltsame Beraterhonorare im Zusammenhang mit dem Verkauf von Rüstungsgütern in die Türkei aufmerksam gemacht. Man wusste also Bescheid, es sei aber nichts unternommen worden. Soweit also die Berichterstattungen. Wenn dem so gewesen war, dann kann man dieses BGH-Garantenpflicht-Urteil im Fall von Dr. K. durchaus verwenden. Denn dem damals angeklagten Leiter der Rechtsabteilung der Berliner Stadtreinigung (BSR), dem bis Ende 2002 auch die Innenrevision unterstellt war, konnte Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen nachgewiesen werden: Der Angeklagte wusste von dem Berechnungsfehler, informierte aber weder den Vorstand noch wurde der Fehler bei der Umlage der Straßenreinigungskosten korrigiert. Wenn aber Dr. K. gar nicht nachgewiesen werden kann, dass er informiert gewesen war und dann sehenden Auges nichts unternommen hat, dann kann sich der Richter an diesem Urteil gar nicht orientieren.
Außerdem handelt es sich bei der Atlas Elektronik doch um ein Gemeinschaftsunternehmen. Wie der Name schon sagt, hat ein solches mindestens zwei „Herren“. Wenn dem so ist, dann kann der Unternehmensvertreter eines der vielen „Herren“ in einem Gemeinschaftsunternehmen nicht einfach so durchregieren, wie er das bei einer hundertprozentigen Tochter durchaus tun könnte. Wenn die eine Seite aber nicht eine absolute Handlungsfreiheit hat, auf welcher Rechtsgrundlage sollte man dann ausgerechnet Dr. K. verurteilen?
Allerdings hat die Sache einen Unsicherheitsfaktor: den Richter selbst. In der Welt der Wirtschaft wimmelt es nur so von absurden und weltfremden Urteilen, auf ein weiteres käme es da wohl auch nicht mehr an. Allerdings: Wenn der Richter Dr. K. tatsächlich in so einem Fall verurteilt – dann gibt es Konsequenzen: der Berufszweig der Compliance Officer wird aussterben. Also, wir werden sehen.
Spannend wird es aber zunächst, wenn im Fall des Schienenkartells der Richter beim Landgericht Bochum ein Urteil über die angeklagten Ex-Bereichsvorstände von ThyssenKrupp Uwe Sehlbach und Reinhard Quint fällt. Immerhin musste Dr. K. dort ja als Zeuge aussagen, weil der Verteidiger von Herrn Sehlbach ein „interessantes“ Argument ins Feld führte: sein Mandant sei überhaupt an nichts schuld, vielmehr habe das Compliance-System systemisch versagt. Wie soll man das verstehen? Hätte das CMS funktioniert, dann säße er jetzt nicht auf der Anklagebank, weil das CMS ihn vor sich selbst geschützt hätte? Ein Argument à la „Eltern haften für ihre Kinder“, weil die lieben „Kinderchen“ Recht von Unrecht nicht unterscheiden können? Spannend wird es auch deswegen sein, weil wir in der Urteilsbegründung lesen werden, wie der Richter beurteilen will, wann ein CMS systemisch versagt. Solche Kriterien wären ja wirklich nützlich, damit wir zukünftig Bescheid wissen.
Wo beginnt also die Verantwortung der Compliance Officer und wo endet sie? Darum wird es in diesen beiden Fällen gehen.
Liebe Compliance Officer Deutschlands – bleibt dennoch cool, aber lernt daraus. Vor allem sollte man aus dem Folgenden lernen: Als Zeuge im Fall des Schienenkartells hat Dr. K. Anfang Mai 2016 vor dem Landgericht Bochum ausgesagt, dass man Tausende von Mitarbeitern geschult hätte. Und Dr. K. selbst gab vor Gericht zu (soweit man dem Bericht hier glauben darf), es helfe alles Schönreden nicht, denn offensichtlich habe es nicht gereicht. Das ist ein interessanter Punkt und ein Fakt, den Sie nicht wegdiskutieren können. Deswegen möchte ich von Ihnen bei unserer nächsten Unterhaltung auf die Frage „Was unternehmen Sie, um eine Compliance-Kultur zu schaffen?“ als Antwort nicht hören: „Wir haben Richtlinien und schulen, mehr kann man wohl nicht machen.“ Genau diese Antwort höre ich immer. Sie ist falsch.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!