Das BaFin Naming and Shaming

Compliance Management

Lange Zeit konnten die einzelnen Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob und wie sie die Nicht-Einhaltung von Publizitätspflichten sowie den Insiderhandel und die Marktmanipulation bestrafen. Dies hat sich geändert. Die Marktmissbrauchsrichtlinie 2014/57/EU und die EU-Marktmissbrauchsverordnung (Nr. 596/2014 – Market Abuse Regulation, kurz: MAR) bewirkten eine Harmonisierung innerhalb der Mitgliedsstaaten. Die Folgen sind ebenso gravierend wie weitreichend. Sie zwingen den Betrachter zu einer Vielzahl von wichtigen juristischen Fragestellungen: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Persönlichkeitsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG? Welche Rolle spielt der Resozialisierungsgedanke?

Ist das „Naming and Shaming“ ein sinnvolles Instrumentarium, um der Wirtschaftskriminalität zu begegnen? Handelt es sich um effektives Präventionsinstrumentarium? Ist es als Sanktionsinstrumentarium geeignet? Um diese Fragen zu beantworten, werden wir zunächst das Instrumentarium mit Blick auf die soziologischen Grundlagen untersuchen und anschließend im Hinblick auf die Strafzwecktheorien überprüfen.

Zum Schluss werden wir die positiven und negativen Aspekte gegenüber stellen, zum Vergleich die Entscheidungen zum Persönlichkeitsschutz heranziehen und Verbesserungsvorschläge präsentieren.

Shaming

Shaming ist das Hervorrufen von Scham bei der Person, die zumindest Mitverantwortung für aufgetretenes deviantes Verhalten trägt. Der Begriff wurde kriminologisch von Braithwaite  geprägt und beinhaltet zwei Subkategorien: Das desintegrative Shaming  intendiert und bewirkt eine Stigmatisierung des Delinquenten. Er soll aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Die Folge ist eine sekundäre Devianz. Die Ursachen sind in der einseitigen Radikalität dieses Ansatzes begründet. Der Delinquent wird dermaßen stigmatisiert, dass eine Rückkehr in den Kreis der Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Die Theorie basiert ursprünglich auf einer soziologischen Betrachtung, weshalb vor allem der gesellschaftliche Ausschluss thematisiert wird. Auf den Wirtschaftsverkehr bezogen wäre aber etwa ein Ausschluss von geschäftlichen Kontakten denkbar, z.B. weil jegliche Geschäftsbeziehung mit Reputationsschäden für den Geschäftspartner verbunden wäre.

Die Problematik dieses Ansatzes liegt auf der Hand: Nachdem der Delinquent für sein Verhalten „bestraft“ wurde, wird er alleine gelassen. Er muss sich alleine den Weg zurück in das Wirtschaftsleben erarbeiten. Dabei steht er vor dem Problem, dass ihm die Möglichkeiten zur Rückkehr verbaut wurden: Als Persona non grata ist es ihm nicht möglich, legale Kontakte zu knüpfen, da die Mehrheit versucht sein wird, größtmögliche Distanz zu wahren und auch nach außen zu zeigen. Übrig bleibt nur eine kleine Gemeinschaft der „Ausgestoßenen“, die mangels Alternativen die wirtschaftliche Nähe zueinander suchen. Dies bewirkt das Gegenteil dessen, was intendiert ist: das Aufbrechen delinquenter Strukturen. Vielmehr werden diese verfestigt, da den Delinquenten die legalen Handlungsalternativen genommen werden.

Im Gegensatz hierzu beinhaltet das reintegrative Shaming einen dualen Charakter: Die Verurteilung des Delinquenten geht Hand in Hand mit der Vergebung und dem beinahe zelebrierten Bau einer „Brücke“ zur Rückkehr in die Gemeinschaft.  Der Delinquent wird ebenfalls an den Pranger gestellt, ihm wird jedoch die Möglichkeit zur Resozialisierung nicht verbaut.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Nach der Bestrafung wird dem Delinquenten eine „goldene Brücke“ zurück in die Legalität angeboten. Bestenfalls dient die Strafe selbst der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Hierbei sind die Besonderheiten des Wirtschaftsstrafrechts (white collar crime) zu beachten: Im Gegensatz zum blue collar crime steht bei der Resozialisierung nicht die formale Berufsbildung des Delinquenten im Vordergrund. Schließlich handelt es sich häufig um eine gut gebildete Klientel. Vielmehr sollte eine ethische Bildung im Vordergrund stehen. Da davon auszugehen ist, dass der Delinquent weiterhin am Wirtschaftsleben teilnehmen will, sollte eine solche ethische Bildung zumindest die Möglichkeit enthalten, die Schuld zu tilgen und ohne Makel neu zu starten.

Theoretische Grundlagen

Die theoretischen Grundlagen liegen in den Kontrolltheorien und dem Labeling-Ansatz begründet.

Kontrolltheorie

Die Kontrolltheorie befasst sich mit den Ursachen von Delinquenz.  Eine Besonderheit der Kontrolltheorie ist, dass sie nicht deviantes, sondern rechtskonformes Verhalten erklärt. Grundlage hierfür ist die Annahme, dass jeder Mensch zu deviantem Verhalten neigt, unabhängig davon, welchen sozialen oder persönlichen Hintergrund er hat. Rechtskonformes Verhalten wird folglich nur durch verschiedenartige Kontrollen sichergestellt. Verantwortlich für diese Kontrollen sind die gesellschaftlichen Institutionen: Familie, Bekannte, Schulen/Universitäten, Arbeitgeber usw. stellen durch soziale Kontrolle sicher, dass deviantes Verhalten unterbleibt.  Eine stärkere Bindung an diese Institutionen bewirkt folglich auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass rechtskonformes Verhalten überwiegt. 

Hirschi widmet sich in der Social Bonds Theory vorwiegend der psychologischen Kontrolle, welche indirekt und präventiv gegen deviantes Verhalten wirkt. Die direkte Kontrolle wird von Gottfredson und Hirschi in der General Theory of Crime  thematisiert.

Die Social Bonds Theory beinhaltet vier verschiedene Variablen (attachment, belief, involvement & commitment), dagegen beschränkt sich die General Theory of Crime auf den Aspekt der Selbstkontrolle.

Labeling-Theorien (Überblick)

Der Labeling-Ansatz (Etikettierungsansatz)  beschäftigt sich mit Delinquenz in Form von Interaktion und den Institutionen, die Delinquenz definieren.  Seine Anfänge gehen auf die Schule des symbolischen Interaktionismus zurück.  Im Fokus steht folglich nicht die Frage, wie Delinquenz entsteht, sondern die Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen (Makro-Ebene). Bedeutsam für die Bearbeitung ist indes die Mikro-Ebene. Hier wird der Frage nachgegangen, ob die an bestimmte Gruppen vergebenen Etikettierungen (z.B. „Wirtschaftskriminell“ oder „Delinquent“) von diesen übernommen und in das Verhalten integriert werden. Die Bestrafung wirkt paradox, da sie eben jenes Verhalten fördert, das sie zu unterbinden sucht.

Die Ursprünge der Labeling-Theorie gehen indes auf Frank Tannenbaum zurück. Das Werk „Crime and the Community“ (1938) erklärt, wie durch Definition, Identifikation, Benennung und Betonung bestimmter Zuschreibungen eben jene hervorgerufen oder zumindest verstärkt werden.

Naming and Shaming durch die BaFin

Qualifizierung als Strafe
Es stellt sich die Frage, ob § 40c WpHG als Strafnorm einzuordnen ist. In Frage käme auch eine Präventivfunktion. Für die Straffunktion spricht eine systematische Auslegung.  Die Norm findet sich unter dem Abschnitt „Straf- und Bußgeldvorschriften“. Des Weiteren sieht die Norm die Nennung der Identität des Delinquenten vor. Eine generalpräventive Abschreckung wäre jedoch auch ohne Namensnennung möglich. Daher erscheint allenfalls eine spezialpräventive Absicht plausibel. Einer solchen ist jedoch der Repressionsaspekt immanent. Daher überzeugt die Einordnung als Strafe.

Schließlich sind die gravierenden Folgen zu beachten: Mit dem „Shaming“ ist nicht nur ein Imageschaden, sondern jedenfalls mittelfristig auch ein wirtschaftlicher Schaden verbunden und intendiert. Folglich ist von einem repressiven Charakter auszugehen, wenngleich auch präventive Gesichtspunkte eine Rolle spielen.

Sinn und Zweck von Strafe

Das Strafrecht ahndet sozialethisch und rechtlich missbilligte Verhaltensweisen eines Täters mit Strafen. Diese stellen schwere Eingriffe in die Rechtsgüter des Täters dar und bedürfen ein entsprechend hohes Maß an Rechtfertigung. Welchen Zweck die Strafe haben soll und wie dieser Zweck die Strafe legitimiert, ist Gegenstand der sogenannten Strafzwecktheorien. Hierbei unterscheidet man zwischen absoluten und relativen Strafzwecktheorien.

Absolute Straftheorien

Die absoluten Strafzwecktheorien sehen in der Strafe selbst eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit.  Tatsächliche Auswirkungen der Strafe auf die Gesellschaft (z.B. Verhinderung zukünftiger Kriminalität) bleiben dabei unbeachtlich. Die wohl bedeutendste absolute Strafzwecktheorie stellt die Vergeltungstheorie dar, die u.a. von Philosophen wie Immanuel Kant oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertreten wurde.  Nach dieser Theorie kann ein begangenes Unrecht nur durch eine Strafe gleicher Höhe ausgeglichen werden. Kant forderte dabei, dass die Strafe auch nach der Art gleich ist (Talionsprinzip ), während nach Hegel nur der Wert gleich sein muss.

Vor dem Hintergrund der absoluten Strafzwecktheorien überzeugt das „Naming and Shaming“ nicht. Das öffentliche Bloßstellen des Delinquenten stellt keine Bestrafung im Sinne des Talionsprinzips dar. Vielmehr stellt es eine neue Komponente (Reputationsverlust) dar, welche kaum mit der begangenen Tat vergleichbar und individuell unterschiedlich einschneidend ist.

Darüber hinaus sind absolute Straftheorien auch dem Grunde nach abzulehnen. Die damit einhergehende Spaltung der Gesellschaft ist einem konsensualen gesellschaftlichen Zusammenleben abträglich.

Relative Straftheorien

Die relativen Strafzwecktheorien intendieren hingegen vorwiegend die Prävention. Sie werden in Generalpräventation  und Individualpräventation unterschieden.

Auf Grundlage der Generalprävention liegt der Zweck der Strafe positiv in der Bestärkung des Rechtsbewusstseins der Gesellschaft und negativ in der Abschreckung potenzieller Delinquenten. Hinsichtlich der Stärkung des Rechtsbewusstseins ist die Intention nachvollziehbar. Durch die Veröffentlichung der Daten der Delinquenten wird allen Schichten der Gesellschaft verdeutlicht, dass auch die vermeintlich bessergestellten Delinquenten aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts sanktioniert werden. Potenzielle Delinquenten hingegen werden mit der Erfahrung konfrontiert, dass sich „Straftaten nicht lohnen“, da sie erhebliche direkte und indirekte Folgen haben.

Die Individualprävention (Spezialprävention) setzt den Fokus auf den einzelnen Delinquenten.  Positiv wird die Resozialisierung des Delinquenten, negativ der Schutz der Bevölkerung vor dem Täter intendiert. Zum Schutz der Bevölkerung werden die Delinquentendaten veröffentlicht. Gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts, welches häufig durch die Ausnutzung eines bestehenden (fälschlichen) Vertrauens in den Delinquenten erst möglich wird, kann die Veröffentlichung von Informationen zum verbesserten Schutz führen.

Hinsichtlich der Resozialisierung des Täters stellen sich aber wichtige Fragen.  Sind die Informationen erst einmal veröffentlicht, ist davon auszugehen, dass sie sich in das Gedächtnis des Betrachters eingeprägt haben und an anderer Stelle im Internet wieder auftauchen. Dies widerspricht dem Resozialisierungsgedanken. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Straftäter einen Anspruch auf Löschung ihrer Daten in Online-Archiven haben, um den Weg zurück in die Gesellschaft abschließen zu können. Es ist umstritten, ob die Entscheidung, ob und inwieweit Löschungspflichten bestehen, von der Breitenwirkung der Veröffentlichung  oder von der Abwägung, wie lange die Tat zurückliegt, abhängt.  Das grundsätzliche Recht auf Resozialisierung ist jedoch unumstritten. Warum bezüglich Online-Archiven aber etwas anderes gelten soll als bezüglich der Veröffentlichung durch die BaFin, ist nicht ersichtlich.

Nun könnte angenommen werden, dass diese Aspekte bereits hinlänglich untersucht und bewertet wurden. Schließlich verweist die BaFin auf ihrer Website auf eine einschlägige Entscheidung des OLG Düsseldorf, wonach Veröffentlichungen von Bußgeldverfahren gegen Unternehmen rechtmäßig sind, soweit sie verhältnismäßig sind.  Die Entscheidung richtet den Fokus jedoch auf Unternehmenspersönlichkeitsrechte.  Auf die Persönlichkeitsrechte der verantwortlichen Person im Sinne des Art. 34 Abs. 1 der EU-Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 sowie auf das Recht auf Resozialisierung ist die Entscheidung nicht übertragbar.

Soweit der Art. 34 EU-Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 im Übrigen die Möglichkeit bietet, die Folgen für die sanktionierten Personen zu mildern, etwa indem Aufschubmöglichkeiten , Anonymisierungen  oder das grundsätzliche Absehen von Veröffentlichungen verankert werden, dient dies zweifelsohne der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Ein grundsätzliches Recht auf Resozialisierung wird dadurch jedoch weder manifestiert noch anerkannt.

Auch die Begrenzung der Veröffentlichungsdauer im Einklang mit nationalen Datenschutzvorschriften implementiert ein grundsätzliches Recht auf Löschung für jedermann, ohne dem besonderen und spezifischen Bedürfnis nach Löschung unter Resozialisierungsgesichtspunkten Rechnung zu tragen.

Nachvollziehbar

Die Intention des „Naming and Shaming“ durch die BaFin ist ebenso nachvollziehbar wie überzeugend. Um dem Wirtschaftsstrafrecht zu begegnen, sind neue, innovative Ansätze erforderlich. Wie dieser Artikel verdeutlicht hat, bewirkt das „Naming and Shaming“ bedeutende Optionen in den Bereichen der Generalprävention (Bestärkung des Rechtsbewusstseins und Abschreckung potenzieller Delinquenten) als auch der Individualprävention (Schutz der Bevölkerung).

Dies geschieht jedoch zu Lasten der Resozialisierung. Dabei steht das „Naming and Shaming“ nicht per se dem Resozialisierungsgedanken entgegen. Die derzeitige Konzeption erscheint aber zu starr. Das Konzept, das eine endgültige Löschung der Delinquentendaten unter Berücksichtigung des Rechts auf Resozialisierung vorsieht, wäre daher vorzuziehen. Es erscheint nicht plausibel, warum Delinquenten im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ein Recht vorenthalten werden soll, welches anderen Delinquenten seit Jahrzehnten zugesprochen wird.

Literaturverzeichnis

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  • Tannenbaum, Frank, Crime and the community, Boston 1938.

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