Irina Jäkel: Herr Walke, welche Stimmung nehmen Sie gerade in der Compliance-Gemeinde wahr?
Markus Walke: Kollegen aus anderen Unternehmen berichten gerade von viel Stress, die Arbeit ist mehr geworden. Vielleicht ist das die Folge einer logischen Entwicklung. Denn in vielen Unternehmen ist die Compliance-Funktion immer noch eine typische One-Man-Show. Jedes Unternehmen definiert Compliance ja immer noch für sich selbst individuell. So kommt es, dass Compliance Manager zusätzlich noch die Verantwortung für den Datenschutz, die Exportkontrolle oder gar für die Umweltfragen haben. Oder umgekehrter Fall, ein General Counsel hat nebenher die Verantwortung für den Compliance-Bereich. Der Begriff Compliance ist sehr breit gefächert. Die Begriffe Compliance Manager, Compliance Beauftragter oder Compliance Officer sind mittlerweile als Berufstitulierung in der Welt angekommen, aber die Definition, was zu Compliance gehört und was eigentlich ein Compliance Manager ist, ist noch nicht klar und auch nicht einheitlich. Es gibt keine klare Berufs-Beschreibung. Es gibt keine klare Ausbildung, wie es sie zum Beispiel in den Berufen Polizist oder Bäcker gibt. Die Compliance Officer kriegen heute alles Mögliche auf ihren Schreibtisch, weil ihrem Bereich sozusagen alles „zusortiert“ werden kann. Dann heißt es in etwa, „einen Umweltbeauftragten haben wir nicht. Wer macht das? Der Compliance Manager!“
IJ: Ich verstehe, der Beruf des Compliance Managers degradiert derzeit zu einer „Mülleimer-Funktion“. Aber als Verband kann man bis zu einem gewissen Grad dieser Entwicklung entgegenwirken. Was sind Ihre Ideen dazu?
MW: Das ist ein wichtiges Thema für uns, auf das wir uns derzeit noch stärker fokussieren. Weil es eben keine klar vorgeschriebene Ausbildung gibt, steht im ersten Schritt die Schaffung einer Stellenbeschreibung des Compliance Officers im Mittelpunkt.
Derzeit versuchen wir über unsere Regionalgruppen und über unsere Veranstaltungsreihe „BCM-vor Ort“ eine Botschaft nach vorne zu bringen: Wir sind ein Berufsverband, der die Personengruppen vertritt. Das heißt, wir müssen uns um die Themen dieser Personengruppen kümmern. Aber: Ich höre immer mehr, dass die Kollegen gerne bei uns aktiver sein möchten, doch fehlt ihnen dazu einfach die Zeit. Und das sind nicht einzelne Leute, die das so wahrnehmen, sondern mittlerweile sagen es sehr viele, sogar aus meinem direkten Umfeld. Andere profitieren von Beratern in ihren Verbänden, die diese Situation für ihre Positionierung nutzen und sich aktiv einbringen. Allerdings entsteht dann eben nicht das Bild des Compliance Officers oder dessen Meinung, sondern das, was Dritte aus mehr oder weniger objektiven Gründen gerne als Bild prägen möchten.
Aber gerade jetzt wäre es doch umso wichtiger, alle Kräfte zusammenzunehmen und fokussierter am Thema Job-Description zu arbeiten, zu definieren und zu überlegen, was machbar ist! Was ist die Rolle des Compliance Managers wirklich? Ist er ein Koordinator, ein Entscheider oder nur ein Berater? Damit müssen wir uns als Berufsträger im Verband beschäftigen und dieses Feld nicht Dritten überlassen.
IJ: War diese Entwicklung am Markt der Grund, warum Sie nun verstärkt mit dem Konzept BCM-vor-Ort arbeiten?
MW: Ja. Zum Beispiel gründen wir derzeit in der Schweiz keine Regionalgruppe, sondern gehen ins Land mit einer Gruppe BCM-vor-Ort – damit erweitern wir unser Netzwerk und bleiben nah am Mitglied.
Wir arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung unserer Arbeit zum Beispiel gründen wir aus den Mitgliedern der Regional- und Fachgruppen eine oder mehrere Best-Practice-Gruppe(n) von sechs bis sieben Senior-Compliance-Officern, die an Einzelprojekten mit einem klaren Arbeitsziel und für einen begrenzten Zeitrahmen arbeiten. Insbesondere junge Kollegen in kleineren Unternehmen, aber auch KMU-Kollegen mit breitem Aufgabenspektrum werden von den Arbeitsergebnissen profitieren. Aber die Best-Practice-Gruppe wird auch an vielen anderen Stellen ihr Experten-Wissen einbringen und erfahrene Compliance-Officer werden gezielter miteinander vernetzt werden.
Das heißt, wir werden noch mehr Geschwindigkeit aufnehmen müssen, um genau in diese Richtung auf die Personen zuzugehen. Wir wollen damit der Erwartungshaltung gerecht werden. Aber das ist nicht nur eine Sache des BCM-Präsidiums oder dieser Best-Practice-Gruppe, sondern aller BCM-Mitglieder. Denn Probleme zu benennen, das ist schnell getan. Aber was wäre der mögliche Weg, diese Probleme zu lösen?
IJ: Oft wird argumentiert, die Unternehmen seien zu unterschiedlich, als dass man zum Beispiel zu einer einheitlichen Definition des Berufes oder des CMS kommen könnte. Aber die Compliance Officer brauchen schnellere Hilfe und einen Halt…
MW: … Und genau darauf zielen wir mit der Schaffung unserer Best-Practice-Gruppe ab. Wir haben uns jetzt aus den Fach- und Regionalgruppen erfahrene Compliance Manager herausgesucht, die wissen, an welchen Stellen was getan werden muss. Die Mitglieder dieser Gruppe sind verpflichtet, die Themen in die breite Masse zu tragen und sie dort zu vertreten und die Mitglieder mitzunehmen. Wir haben im Verband eine hervorragende Basis, um strategisch die Veränderungen auf dem Markt zu reflektieren, aufzufangen und in Arbeitshilfen zu transferieren. Aber dazu brauchen wir dringend aktive Mitarbeit.
IJ: Wie erleben Sie denn selbst die Mitarbeit im Verband?
MW: Ich erlebe viele Verbandssitzungen so, dass meistens einer aktiv wird und die anderen Teilnehmer passiv konsumieren. Lassen Sie uns das offen ansprechen: Hier sehe ich eine Diskrepanz zwischen berechtigten Forderungen, die die Mitglieder von Regional- und Fachgruppen auf der einen Seite stellen, und ihrer mangelhaften Mitarbeit und Initiative auf der anderen Seite.
Ist zum Beispiel wirklich der Sinn eines Regionalgruppentreffens, da zu sitzen und einen Vortrag anzuhören, um danach nach Hause zu gehen? Ist das Informationsweitergabe oder Austausch? Ich merke den Kollegen oft den Hemmschuh an, dass sie über Herausforderungen nicht sprechen wollen, weil es ja ihr Betrieb ist. Und sie denken, wenn sie diese ansprechen, dann fällt das auf sie zurück, dann denken die anderen, sie hätten die Dinge nicht im Griff. Abstrakt über Problemstellungen zu reden scheint vielen schwerzufallen – da aber nur Compliance-Inhouse-Kollegen teilnehmen ist diese Wahrnehmung gerade falsch, denn alle haben ähnliche Herausforderungen und können eben gerade von diesem Erfahrungsaustausch profitieren.
Die Mitgliedschaft sollte nicht nur dem Zweck dienen Vorteile zu nutzen, sondern sich auch in einer gestaltenden Rolle zu sehen. Aktiv und produktiv sein – etwas Bleibendes schaffen. Ich bin zum Beispiel Betriebswirt. Daher sage ich, wir müssen Ziele und Meilensteine definieren, so dass wir nach einer gewissen Zeit abschätzen können, ob wir unsere Ziele erreicht haben oder nicht, gibt es eine Weiterentwicklung oder nicht? Das ist doch eine einfache Sache, ein Dynamikzyklus: wir müssen arbeiten, uns korrigieren, wir müssen aber auch nachhaltig sein.
Auch der Verband hat das Recht und die Pflicht zu fordern und nicht bloß zu fragen, was die Mitglieder wollen. Wenn wir stark sein wollen, müssen wir auch fordern. Denn ein starker Verband muss auch liefern. Ich fordere die Mitglieder daher nachdrücklich auf sich zu engagieren und einzubringen!