Er sagt, Machtspiele erschweren zwar die Nachhaltigkeit, sind aber unverzichtbar. Wir wollten mehr wissen und haben ihn zum Gespräch gebeten.
Herr Prof. Dr. Weidner, wie entsteht aggressives Verhalten und Kriminalität?
Wir alle bringen von Geburt an Aggressivität mit. Die Psychoanalyse spricht von Thanatos. Danach ist es eine Frage von Erziehung und Sozialisation, ob man der Anführer einer Bande wird oder lieber ein Autohaus leitet und Arbeitsplätze schafft. Aber die Grundenergie ist bei beiden gleich. Die einen setzen es nur destruktiv um, die anderen konstruktiv. Deswegen ist die Behandlung von Mehrfachgewalttätern etwas leichter als beispielsweise die bei Drogenabhängigen, weil Aggressive ihr Potenzial auch sehr gut gesellschaftlich positiv nutzen können.
Sie haben auch in den Gefängnissen Anti-Aggressivitäts-Trainings für Gewaltverbrecher durchgeführt. Haben Sie keine Angst, den Gewalttätern gegenüber zu treten, um sie durch Gespräch zu resozialisieren?
Die Angst ist berechtigt. Aber ich mache das nie alleine. Ich habe in der Regel zwei Co-Trainer dabei – ehemalige Gewalttäter, die erfolgreich behandelt wurden. Sie sind größer und stärker als ich, tragen selbst im Winter Muskelshirts und sind schlecht tätowiert. Wenn es dann zu einer Drohsituation kommt, dann stehen sie auf und sagen zum Gewalttäter: „Konzentrier Dich, wenn Weidner mit Dir spricht.“ Das ist schon so, dass die Machtfrage gegenüber gewalttätigen Menschen geklärt werden muss. Die Machtfrage ist ein Lieblingsthema von Aggressiven, weil sie mit ihrer Aggression Macht durchsetzen wollen.
Das bedeutet also, wenn man mit aggressiven Leuten umgeht, muss man solche Fragen, wer hier die Macht hat, schon im Vorfeld klären?
Ja, man muss klare Verhältnisse schaffen. Im Behandlungsprozess muss klar sein, wer das Sagen hat. Übrigens auch in Management-Prozessen. Bei allem Lean Management muss für alle eindeutig sein, wo Entscheidungen getroffen werden. Die sollten aber sinnvoll sein: wenn wir von Durchsetzungsstärke im Business sprechen, dann macht diese nur Sinn, wenn man interessante Projekte realisieren, sein Budget vergrößern oder etwas Innovatives umsetzen will. Bei solchen Vorhaben gibt es allerdings immer Gegenspieler, die die Durchsetzungs- und Machfrage stellen. Gegen diese versuche ich meine Ideen durchzusetzen. Dabei geht es nicht um die narzisstische Selbstbefriedigung im Sinne „ich will jetzt gewinnen, weil ich immer gewinnen will“, sondern ich will gewinnen wegen meiner guten Projekte. Nur kämpfen um des Kämpfens willen, nur Recht haben, weil man Recht haben will, ist kontraproduktiv. Davon bin ich überhaupt kein Fan.
Welchen Blick haben sie auf die Anforderungen, die an Menschen im Geschäftsleben gestellt werden?
Von modernen Frauen und Männern im Wettbewerb erwartet man ja, dass sie direkt im Job sind, auch partiell aggressiv, wenn es darum geht, ihre Ideen im Beruf durchzusetzen. Parallel sollen sie aber auch einfühlsam, verständnisvoll, nachgiebig sein gegenüber fairen Kollegen und vor allem im Privatleben. Zwei sehr unterschiedliche Rollen. Und man hat nur 30 Minuten Zeit auf dem Heimweg von der Firma nach Hause die Rollen zu wechseln. Viele Partnerschaften scheitern, weil Erfolgreiche diesen Rollen-Wechsel nicht hinbekommen und auch im Privaten wie im Job agieren.
Aber muss man wirklich im Geschäftsleben immer aggressiv sein?
Nein, muss man nicht. Ich selbst habe mich in meinem ganzen Berufsleben nur ungefähr 20 Mal richtig hart durchgesetzt. Das ist ja nicht viel. Aber da ging es immer um sehr viel: um Personal, Projekte, Budgets, Expansion. Ich bin absolut gegen den tumben Ellenbogen-Karrierismus der Egoisten. Aber Leute, die sich „durchpowern“, damit die Firma erfolgreicher wird, mehr Arbeitsplätze schafft und mehr Steuern zahlt, die finde ich super. Und auf der anderen Seite werden sie selbst damit natürlich auch erfolgreicher. Wettbewerb bedeutet dabei natürlich auch immer Unangenehmes, denn wenn ich zum Beispiel Forschungsgelder erhalte, bekommt sie jemand anders nicht. Dessen Begeisterung wird sich in Grenzen halten. Das heißt, man kann nicht in Schönheit und zur Freude aller gewinnen! Je besser Sie vernetzt sind, umso leichter lässt es sich übrigens siegen.
Muss man für die eigene Vernetzung dauernd nach der Arbeit mit irgendjemandem Bier trinken gehen?
Nein, so entsteht Netzwerk nicht. Netzwerke sollten aus statushohen Personen bestehen, die einem im Krisenfall den Arsch retten können oder die einem die Budgets öffnen. Um die muss man sich bemühen. Hilfreich sind auch kluge Leute außerhalb des eigenen Unternehmens, zu denen ich eine Vertrauensbasis habe und die ich anrufen kann, um mit ihnen gemeinsam nach Lösung meiner Probleme zu suchen. Die eigentlichen Gespräche, die entscheiden, ob man gewinnt oder verliert, dauern ja häufig gar nicht lange. Die strategische Vorbereitung darauf, die kostet Zeit. Und zu diesem Durchsetzungsvermögen will ich Erfolgsorientierte mit meinen Büchern und meinen Vorträgen ermutigen.
Übrigens haben gerade solche Berufsgruppen, die sehr fachlich, inhaltlich orientiert sind, wie zum Beispiel IT-Sicherheits-Manager oder Compliance Manager, eine gewisse „Netzwerkallergie“. Sie interessieren sich gar nicht dafür, wie im Unternehmen die unterschwelligen Strömungen laufen. Und wundern sich dann, dass sie mit ihren technisch brillanten Ideen nicht gehört werden. Wen Netzwerken also nervt, der muss zumindest Leute haben, die für sie das Feld freischaufeln.
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, zu wissen, was im Unternehmen läuft?
Man muss schauen, wer für mich ist, selbst wenn ich Fehler mache. Und auch, wer gegen mich ist, selbst wenn ich eine gute Performance abgeliefert habe. Und dann gibt es da noch die Neutralen, die zwar nett sind, aber mich im Regen stehen lassen, wenn es hart auf hart kommt. Und diese mikrosoziologischen Strukturen analysiere ich am besten mit der Diamantenanalyse (wie man das macht, sehen Sie in der Abbildung 1: Diamantenanalyse).
Wie wende ich dann die Ergebnisse dieser Diamantenanalyse an?
Wenn ich ein Projekt umsetzen will, spreche ich mit allen, die für mich sind. Aber ich stimme mich nicht mit denen ab und informiere diejenigen auch nicht darüber, die sowieso gegen mich arbeiten werden, weil sie zum Beispiel „Beschneidungsangst“ haben, dass ich Ihnen etwas wegnehmen könnte. Die halte ich auf Distanz, bleibe aber höflich. Und dann umwerben wir die Neutralen, dass sie nicht gegen uns arbeiten sollen, indem wir sie ein wenig hofieren, ihnen Komplimente machen, ihnen Status verleihen. Wenn das steht, dann bringe ich mein Projekt voran. Dann sagen plötzlich fast alle im Meeting, das sei eine super Idee und los geht’s.
Was ist, wenn mich der Vorgesetzte nicht ausstehen kann?
Dann können Sie keine Projekte voranbringen. Dann machen Sie Dienst nach Vorschrift und widmen sich in Ihrer Freizeit Ihren Hobbys.
Kehren wir zurück zu unseren Kriminellen: Warum begehen Mitarbeiter Straftaten in den Unternehmen?
Ein Grund ist die Gratifikation. Sich selbst belohnen für etwas, was sie nicht bekommen haben: Bereicherung durch Verkauf von Daten oder Unterschlagung von Geldern zählen dazu. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker hat ein Buch zur „Ökonomischen Erklärung menschlichen Verhaltens“ geschrieben. Dort hat er erklärt: die materiellen Menschen folgen ihrem ökonomischen Charakter und wollen Vorteile haben auf Kosten anderer. Sie wollen sich bereichern und erkennen auch Chancen dazu. Die, die betrügen, sind alles Mitarbeiter mit Einfluss. Denn man kann diese Art der Kriminalität nur aus einer guten Position heraus begehen. Diese Täter agieren bewusst, konzentriert und klug, auch weil sie an den Schaltstellen sitzen und wissen, wie der Laden läuft. Und eine Schaltstelle ist immer dort, wo ein großer Zugang zu Daten und Finanztransaktionen vorhanden ist. Hier sitzen die Gefährder.
Zum Beispiel Compliance Manager versuchen, gegen diesen „ökonomischen Charakter der Menschen“ vorzugehen. Bisher mit mäßigem Erfolg. Kann man da überhaupt etwas dagegen tun?
Kriminalität wächst ja mit. Die Strategien, die gegen Hacker entwickelt werden, nutzen wiederum die Hacker, um sich selbst weiterzuentwickeln. Das ist ein Spiel, das auch weitergehen wird. Nur: Je schlagkräftiger ein Unternehmen sich selbst hier aufstellt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass nichts passiert. Ich sehe jedoch in einem Punkt die Schwierigkeit der Berufsgruppen, die sich mit Sicherheit befassen, zum Beispiel die IT-Sicherheit: Die Probleme in ihrem Bereich sind so komplex, dass diejenigen, die im Unternehmen für solche Bereiche Geld freigeben müssen, diese Dinge überhaupt nicht verstehen. Und wenn dann mit dem freigegebenen Geld im IT erfolgreich gearbeitet wurde, passiert – nichts. Gefahren wurden ja abgewehrt. CEOs sagen sich dann: ich habe Unsummen ausgegeben für nichts. Da ist es für die IT-Sicherheit schwer ihren Erfolg überzeugend zu kommunizieren.
Deswegen haben solche Berufsgruppen eine doppelte Aufgabe: sie müssen so professionell auftreten, dass man an sie glaubt, obwohl man sie eigentlich nicht mag, weil sie ständig der Überbringer der schlechten Botschaft sind.
Wie soll man das Ihrer Meinung nach bewerkstelligen?
Indem man maßvoll vorgeht und indem man auf eine bestimmte Art kommuniziert, zum Beispiel „Wir haben da ein Problem, aber wir können es gemeinsam lösen“. Als Botschaft sollte hier ankommen, „wenn Sie mich machen lassen, werden wir das Problem los und Sie können ruhig schlafen.“ Solche Berufsgruppen müssen sich als Verkäufer und Experten einer sorgenfreien Zukunft positionieren.