Seien Sie beruflich nachtragend!

Interview

Herr Professor Weidner, Sie haben lange Gewalttäter therapiert und forschen zum Thema Aggressionen. Was haben Aggressionen mit dem Thema Compliance zu tun?

White-collar-crime-Akteure wenden häufig eine hohe Energie auf, um ihre Betrügereien zu inszenieren. Diese Energie speist sich – psychoanalytisch gesprochen – aus aggressiver Energie, die sich ohne Rücksicht auf das fairplay im Unternehmen, entfaltet. Während Gewalttäter schlicht zuschlagen, agieren Betrüger subtiler. Beide haben aber das Ziel, Ihr gegenüber zu schädigen. Und beide Gruppen stellen ihr delinquentes Handeln in ein gutes Licht. Sie sind Weltmeister im Rechtfertigen ihres Fehlverhaltens.

Müssen Compliance Manager Ihrer Meinung nach aggressiv sein, um ihre Arbeit gut zu machen? Was vermissen Sie bei dieser Berufsgruppe?

Compliance Manager müssen nicht aggressiv sein, um gute Arbeit zu leisten. Aber sie müssen in der Lage sein, mit offenen und versteckten Aggressionen umzugehen. Je mehr sie jemandem auf die Schliche kommen, desto bissiger, raffinierter und hinterhältiger wird der Täter agieren. Für einen Compliance Manager geht es bei der Aufdeckung eines Falles ‚nur‘ um ein Vergehen, für den Täter geht es häufig um die Existenz, um die Frage von Wohlstand (durch Delinquenz) oder Arbeitslosigkeit und Strafverfolgung. Das Gefälle ist gewaltig. Das macht in die Enge getriebene Menschen unberechenbar, zum Teil auch gefährlich.

Welches Persönlichkeitsprofil sollten Compliance-Manager haben/entwickeln, um in ihrem Beruf erfolgreich sein?

Zentral ist: Compliance Manager dürfen nicht geliebt werden wollen. Sie müssen wissen: Kaum einer mag sie. Nicht einmal der Vorstand. Aus Sicht des Vorstandes sind Compliance Manager Spaß-Bremsen, die mit Regelwerken nerven und Untergangs-Szenarien kreieren. Sie sind Statusschwächer und trotzdem ist der CEO gezwungen auf sie zu hören, weil sie sich zu einem Fehler-Seismographen entwickelt haben. Ich kenne keinen Manger, der sich über Compliance-Experten freut, wenn die sich zum Gespräch anmelden.

Welche Ergebnisse Ihrer Forschung, können Compliance Manager für Ihre tägliche Arbeit nutzen?

Nutzen Sie Ihre positive Aggression, wie in der Peperoni-Strategie empfohlen, um die Unternehmensziele durchzusetzen – auch gegen den Widerstand der Mitspieler. Durchschauen Sie Machtspiele in Unternehmen, um nicht selbst unter die Räder zu geraten. Compliance Manager meinen häufig die Guten zu sein. Das nervt viele. Und sie sind neu: vor Jahren gab es dieses Berufsbild kaum. Das heißt, die ‚alte Macht‘ fühlt sich durch die neuen Compliance-Mitspieler herausgefordert, zum Teil sogar provoziert, weil Compliance einen zwingt vernünftig, nicht lustvoll zu agieren – und einfach die sehr teuren Champions-League Business Plätze als Geschenk anzunehmen.

Der Satz „One evil action every day, keeps the psychiatrist away“ ist für Sie ein Leitspruch. Warum und was bedeutet Ihnen dieser Satz?

Ich bin gelernter Pfadfinder und bemühe mich, jeden Tag eine gute Tat zu tun. Mein Umgang im Berufsleben ist von Fairness geprägt. Wer mich oder mein Unternehmen aber übervorteilt oder dieses versucht, der bekommt die volle Schönheit dieses Satzes zu spüren. Der Satz empfiehlt: seien Sie beruflich nachtragend. Schlucken Sie Gemeines nicht runter, sonst werden sie autoaggressiv und quälen mit ihrer Gereiztheit am Ende noch ihre Familie (und die hat das nicht verdient). Ich vergesse also nie und warte voller Geduld auf eine zweite Begegnung. Das hält gesund und schützt vor dem burn out – und trifft am Ende den Richtigen. Ein bisschen ‚evil‘ gehört, gerade in unseren Jobs, dazu!

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