Im Zuge der Globalisierung haben Unternehmen den ganzen Planeten zu ihrem Aktionsfeld gemacht. Im Kampf um Wettbewerbsfähigkeit und Profite haben sie in einem ungeahnten Maße ihre territoriale Basis verlassen. Diese „Deterritorialisierung“ wird verstärkt durch Deregulierungen in den unterschiedlichsten Wirtschaftsordnungen. Die Unternehmen nutzen natürlich auch diese Deterritorialisierung, um sich von ihrer ursprünglichen kulturellen und rechtlichen nationalen Basis zu lösen. Dadurch erhalten sie mehr unternehmerische Freiheiten. Einerseits kann sich das positiv auf die Kosten-Nutzen-Relation auswirken (z.B.: niedrige Löhne und Sozialstandards, geringe Steuerquote). Andererseits kann sich das aber auch sehr negativ auf die Anspruchsgruppen Mitarbeiter und Gesellschaft auswirken (z.B.: Verlust von Arbeitsplätzen im Ursprungsstandort, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen am neuen Standort).
Für die Unternehmenskultur bedeutet dies auch oft das Aufweichen bis dahin gegebener und gelebter ethischer Kultur, da in der globalisierten Welt einheitliche ethische Standards im wirtschaftlichen Agieren schwer zu finden sind. Infolgedessen ergeben sich Freiräume außerhalb nationaler Rechtsrahmen. Die Wirtschaftskriminalität kann sich in diesem „Freiraum“ mit großer Energie und noch größerer Wirkung nahezu ungehindert entwickeln.
Eine Konstante für integres Handeln
Daraus ergibt sich folgerichtig ein Schwerpunktthema für die Compliance. Wo nationale Regulatorik und dazu gehörige Aufsichtsorgane nicht mehr agieren können, verbleibt nur noch der gewissermaßen „innerbetriebliche“ Wächter über das ethische Verhalten des Unternehmens gegenüber der Gesellschaft und ihren Anspruchsgruppen, die Compliance. Deren Insistieren auf Einhaltung des Rechtsrahmens, das Nicht-Ausnutzen von Möglichkeiten zu Lasten Dritter sowie der selbstauferlegten Verpflichtungen eines Unternehmens, ist eine der wenigen Konstanten für integres Handeln des Unternehmens. Dies geschieht nicht nur zum Schutz der Gesellschaft und ihrer Anspruchsgruppen gegenüber dem Unternehmen, sondern auch zum Schutz des Unternehmens selbst.
Hier kommen wir zum zweiten Grund unseres komplett veränderten Wirtschaftslebens: dem Internet. Die Verfügbarkeit aller Informationen zu jeder Zeit an jedem Ort für jeden Smartphone- Nutzer macht die Globalisierung für die Wirtschaft auch so herausfordernd und auch so gefährlich. Jegliche echte oder vermeintliche Verfehlung eines Unternehmens ist sofort publik, millionenfach dupliziert und zu einem „shitstorm“ angewachsen, den man auch mit der ausgefeiltesten Kommunikationsstrategie nicht mehr heilen kann. Damit tritt das ein, was ein Unternehmen in unserer Mediengesellschaft am meisten fürchten muss: der Verlust an Reputation. Wie wir aktuell bei Volkswagen sehen können, kann betrügerisches Verhalten zur Erzielung eines materiellen Vorteils am Ende in einen gigantischen Reputationsverlust und damit verbunden zu immensen Kosten führen.
Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen
An dieser Stelle hat die Compliance Organisation die gewaltige Aufgabe, schon präventiv darauf hinzuwirken, dass unternehmerische Entscheidungen im Hinblick auf die Sicherung der Unternehmensreputation zu treffen sind. Dies bedeutet nicht nur, den rechtlichen Rahmen einzuhalten, vielmehr gilt es abzuwägen, ob eine unternehmerische Entscheidung nicht nur „legal“ ist, sondern ob sie auch „legitim“ ist.
Der Duden definiert legitim als „allgemein anerkannt, vertretbar, vernünftig; berechtigt, begründet; [moralisch] einwandfrei“. Letzteres stellt ein Unternehmen vor große Herausforderungen, denn so wie die Freiheiten unternehmerischen Handelns in einer globalisierten Welt zugenommen haben, so haben auch die Gefahren durch die Informationstransparenz des Internets exponentiell zugenommen. Damit einhergehend sind die Optionen und Einflussmöglichkeiten der Anspruchsgruppen ebenfalls extrem gewachsen: Nicht- Regierungsorganisationen (NGO) haben immens an Einfluss gewonnen, zum Beispiel über Ratingagenturen, die vor allem soziale und ökologische Aspekte eines Unternehmens analysieren und bewerten. Für viele Investoren und Kunden eines Unternehmens sind im Nachgang zur Finanzkrise diese Ratings glaubwürdiger und verlässlicher als die der klassischen Ratingagenturen.
In diesem Spannungsfeld kommt der Compliance eine unternehmerische Verantwortung zu, in welcher sie, aufgrund ihrer unbedingten Beachtung ethischer Werte, für Geschäftsentscheidungen mit einzubinden ist. Die Finanzierung eines Rüstungsgeschäftes, von der Bundesregierung ausdrücklich erlaubt, kann für das eigene Unternehmen trotzdem nicht umsetzbar sein, da es dem ethischen und gesellschaftspolitischen Überzeugungen des Unternehmens, niedergeschrieben in den veröffentlichten Verpflichtungen des Unternehmens, eindeutig widerspricht und somit auch die Reputation in Gefahr bringt.
Somit besteht die große Aufgabe der Compliance darin, nicht nur den aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen für die Unternehmenstätigkeit aufzuzeigen und für deren Einhaltung zu sorgen, sondern vielmehr auch geschäftspolitische Entscheidungen zu verhindern, die durch Missachtung ethischer Grundüberzeugungen die Reputation gefährden und somit die Existenz des Unternehmens in Frage stellen.
Hier muss jedes Unternehmen im eigenen Interesse eine effektive Compliance Organisation in seine Entscheidungsprozesse voll integrieren.