…Weil sie an der Oberfläche kratzen und nicht eine echte mentale Veränderung schaffen. Die nächste Stufe, die Compliance Manager nehmen müssen, ist, eine echte Veränderung der Einsicht in ihren Unternehmen zu schaffen. Nur dann ist eine Compliance-Arbeit erfolgreich. Alles andere ist wenig sinnvoll.
Im März 2017 sitzen zwei Menschen auf der Tribüne der Compliance-Veranstaltung „Compliance Talks. Behind the Crime. When Good People do Wrong“ der New Yorker Fordham University und betreiben so etwas wie eine seelische Entblößung, indem sie über ihre wirtschaftskriminelle Vergangenheit erzählen. Sozusagen die rituelle Compliance-Reinigung. Der eine ist Richard Bistrong, ehemaliger Vertriebsleiter eines Sicherheits- und Verteidigungsunternehmens. Verurteilt wegen Verstoßes gegen FCPA. Er ist derzeit als reuiger Sünder in fast allen Compliance-Medien und auf vielen Compliance-Veranstaltungen präsent. Die Zweite im Kreise ist eine attraktive Frau, heißt Rashmi Airan, Juristin, war als Treuhänderin bei einem Verkaufsdeal einer in Florida gelegenen Apartment-Anlage beteiligt. Verurteilt für Verschwörung zum Bankbetrug. Die beiden erzählen auf dem Podium der Veranstaltung einem FBI-Angestellten und einer Staatsanwältin über ihre Missetaten und wie sie heute darüber denken: Die beiden waren sehr erfolgreich in ihren Berufen, stiegen die Karriereleiter nach oben, eine vielversprechende Zukunft in Aussicht. Zum Fehlverhalten sind beide nicht aus tiefer krimineller Überzeugung gekommen, sondern durch viele kleine Schritte, die dann im Ganzen zum Kriminellen führten. Caroline Pineda Martinez, die über diese Veranstaltung auf dem FCPA-Blog berichtete, schrieb: „At the critical moment, though, both lacked ethical guidance, internally and externally. Both disregarded the right path for the wrong one so they could achieve ‚success’.“ Bistrong selbst gibt öffentlich zu, dass das „Compliance-Volk“ für ihn nur ein „Bonus Prevention Department“ gewesen sei.
Die Geschichte zeigt, dass für die beiden Corporate Compliance kein unbekanntes Wesen war, es gab in ihren Organisationen also ein Compliance Management System (CMS). Genauso wie es das CMS bei VW oder der Deutschen Bank gegeben hat und bei vielen anderen Unternehmen, die heute in den Schlagzeilen stehen. VW hatte sogar ein öffentlich wirksam präsentiertes GRC-System. Und natürlich gab es dort auch Verhaltenskodizes, eine Unmenge an anderen Benimmregeln, Schulungen, Helplines und dergleichen. Selbstverständlich hatten diese Unternehmen juristisch einwandfrei ausformulierte, ja unangreifbare Compliance Policies. Hat es irgendetwas gebracht? Nichts.
Heute haben wir so eine Ahnung, was wohl gefehlt hat: eine echte mentale Veränderung bei den Mitarbeitern im Unternehmen, auf „Wirtschaftsdeutsch“ ist dieser Prozess unter dem Begriff „Change Management“ bekannt. Allerdings ist es nicht so, dass ein echter Veränderungsprozess in jedem Unternehmen stattfinden kann. Dazu muss eine Organisation erst einmal reif werden. „Es dauert unheimlich lang, bis ein Change im Unternehmen einsetzt. Aber es gibt Voraussetzungen, die diesen begünstigen: Positiv bei Veränderungsprozessen wirkt sich aus, wenn man eine offene Unternehmenskultur hat und diese auch gelebt wird. Wenn der Kommunikationsprozess im Unternehmen ständig da ist, eine gewisse Qualität hat und schnell ist. Wenn es im Unternehmen Werte gibt, die auch wirklich akzeptiert werden“, erklärt Peter Hetzel, Diplom-Psychologe und Führungskräfte-Coach. „Und zu den persönlichen Voraussetzungen, die einen Veränderungsprozess begünstigen, zählen Veränderungsbereitschaft, Achtsamkeit, Respekt, Offenheit gegenüber Neuem, Flexibilität, Ehrlichkeit und Zusammenarbeit im Team.“ Haben Sie Ihr Unternehmen und Ihre Mitarbeiter darin wiedererkannt?
Veränderungsdruck muss sein
Natürlich muss der Druck von oben ausgelöst werden. Dass die Unternehmensleitung eine wichtige Rolle bei Compliance und nicht nur bei ihr spielt, ist klar. „Die Geschäftsführung ist deswegen entscheidend, weil sie erstens eine Vorbildwirkung hat. Zweitens, weil sie in der Authentizität lebt. Drittens, weil sie unbewusste und bewusste Botschaften sendet, die sowohl sprachlich als auch nichtsprachlich sind. Die Mitarbeiter dürfen den Unterschied zwischen dem Verbalen und Nonverbalen nicht spüren. Die Change-Spritzen müssen von der Spitze kommen. Der Change-Virus muss von dem ansteckend wirken, der vorne steht“, so Jörg Wirtgen, Gründer und Geschäftsführer der Managementberatung WM-Consult.
Selbst wenn in Unternehmen ein gewisser Druck da ist, der förderlich für einen Veränderungsprozess ist, heißt es nicht, dass es zwangsläufig zu einer positiven Veränderung kommt. In der Regel werden auf die Schnelle irgendwelche Teams zusammengezimmert, es werden reihenweise Berater eingeladen, aber wer der Kopf hinter diesem Prozess ist, die Person, die dafür steht und damit auch das Gesicht des „Change“ ist, ist nicht klar. „Ein Veränderungsprozess geht nur, wenn man persönlich involviert ist, und nicht, wenn man es wie eine Käseglocke verordnet“, sagt Jörg Wirtgen. „Daher sage ich immer: ,Nehmen Sie Change persönlich.’ Denn wenn man sagt: ‚Mach mal Change’, wird es nicht funktionieren.“
Nun, ob es den Compliance Officern gefällt oder nicht: Compliance-Arbeit muss einen Veränderungsprozess in Gang setzen. Denn wir haben es mit Menschen im Unternehmen zu tun. Es reicht nicht, ihnen zu sagen, wo sie entsprechende Regeln finden, an die sie sich halten müssen. Die Mitarbeiter müssen vielmehr ihre Einstellung ändern. „Wir haben oft festgestellt, dass gerade im Bereich des mittleren Managements selbst dann, wenn der Tone from the Top stimmt, dieser Change-Prozess eine wirklich große Herausforderung darstellt. Mit den üblichen Mechanismen von Compliance-Vermittlung, also der Kommunikation von Regeln und Vorgaben, ist das nur schwer zu leisten“, sagt Hartwin Möhrle, geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Kommunikationsagentur A&B One. „Compliance-Abteilungen alleine können das nicht schaffen. Ihre Mittel sind zu limitiert und es wäre ja auch nicht glaubwürdig, wenn die Botschaft nur vom Compliance Officer käme. Erst wenn Führungsebene, Interne Kommunikation und HR mit im Boot sind, kann man es schaffen, den Mindset der Mitarbeiter im Unternehmen auf allen Ebenen nachhaltig zu verändern. Ein Thema wie Integrität ist keine Aufgabe einer Abteilung. Es ist die Aufgabe einer Managementkultur.“ Die Compliance Officer müssen also diese kommunikativen und marketingtechnischen Kompetenzen nicht selbst schon mitbringen (und können sie auch nicht), sie können sich aber mit den Mitarbeitern aus entsprechenden Abteilungen sinnvolle Teams bilden.
Compliance-Asketismus ist veraltet
Es galt in Compliance lange als chic, sich im vermeintlichen „Compliance-Asketismus“ zu üben, also schlichtweg die mentalen und ethischen Aspekte der Compliance-Arbeit zu leugnen und einem hardcore-rechtlichen Ansatz zu folgen. Das ist heute höchstens in der reinen Rechtsabteilung und vor Gericht angebracht. Aber nicht in Compliance. Denn Compliance-Arbeit ist reden, überzeugen, die Mitarbeiter zur Einsicht bringen. Es ist naiv zu glauben: Wenn man Regeln aufgestellt hat und die Hinweisschilder, wo man sie findet, dann ist „allet jut“. Das ist keine Herausforderung. „Wenn die Vertriebler die Grundhaltung haben, dass es für einen großen Auftrag auch ein großzügiges Geschenk braucht, dann werden die Compliance Officer diese Haltung nicht alleine durch Annual Meetings und Compliance-Newsletter und Workshops aufknacken. Dann muss man einen Prozess in Gang setzen, der plausibel vermittelt, warum die Regeln elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells sind und damit auch ein erfolgskritischer Bestandteil des gesamtgeschäftlichen Verhaltens sein müssen“, sagt Hartwin Möhrle. „Da reicht es eben nicht, nur feuilletonistische Forderungen nach Werteorientierung von sich zu geben. Das muss hart verknüpft werden mit dem Geschäftsmodell und der damit verbundenen nachhaltigen Erfolgsstrategie. In der professionellen Kommunikation gibt es dafür in der Tat eine ganze Reihe von Methoden, mit denen wir Führungskräfte in die Lage versetzen können, dieses Thema zu thematisieren und zu reflektieren.“
Wie beginnt Change Management?
Wie beginnt man also im Unternehmensalltag mit der Planung eines Veränderungsprozesses? Dr. Rebecca Koch ist als HR Director Central Europe bei Becton Dickinson unter anderem auf Change-Prozesse spezialisiert: „Zunächst stellt sich die Frage, wo wir überhaupt hinwollen. Das mag banal klingen, die richtige Zielformulierung ist jedoch entscheidend für den Erfolg. Erst danach können konkrete Ziele und Zieletappen formuliert werden. Ein ganz wichtiger Aspekt in einem Change-Prozess ist auch, dass man selbst kleine erreichte Ziele feiern und das auch kommunizieren muss.“
Doch bevor wir uns mit irgendeiner Change-Strategie auf das Unternehmen stürzen, müssen wir herausbekommen, welche Einstellung im Unternehmen eigentlich zum Thema Compliance herrscht. Natürlich werden die meisten Compliance Officer sagen, dass sie selbstverständlich Compliance-Umfragen unter den Mitarbeitern durchführen, um das Wissen herauszubekommen. Aber: „Es wird nicht wirklich festgestellt, wie die Haltung der Menschen im Unternehmen ist. Da werden Mitarbeiterbefragungen gemacht, indem fünf Fragen zu Compliance an eine allgemeine HR-Umfrage angehängt werden. Und daneben gibt es hier und da mal Einzelinterviews und Gespräche. Zu selten wird mit professionellen qualitativen Forschungsmethoden untersucht, was die Leute wirklich über die Regelkultur oder die vergangenen Regelverstöße im Unternehmen denken“, so Hartwin Möhrle. „Voraussetzung dafür ist, dass man weiß, auf welche Themen man seine Kommunikation fokussieren muss. Bei den psychologischen Gesprächen, die mit 30 bis 40 Menschen im Unternehmen geführt werden, geht es weniger darum, zu erfahren, was sie ausdrücklich zu Compliance sagen, sondern darum, herauszufinden, was die Leute wirklich denken.“ Und solange man das nicht weiß, stochert man nur im Nebel. Ganz davon abgesehen, dass bei den üblichen Compliance-Abfragen die Mitarbeiter eine „gesellschaftlich gewünschte Antwort“ geben können, die aber nicht ihre eigentliche Einstellung zum Thema wiedergeben muss. Das ist bei den psychologischen Tests schon seit langem bekannt. Die richtigen Fragen stellen, um zum Ziel zu kommen, ist gar nicht so einfach. Dabei ist genau dies für die Compliance-Arbeit sehr wichtig. „Wenn Sie nicht genau wissen, wie die Befindlichkeiten in der Organisation sind, dann kann man seine Kommunikationskampagnen und Workshops noch so strategisch ansetzen und trotzdem völlig danebenliegen, und man merkt es dann nicht einmal“, sagt Hartwin Möhrle. „Es geht darum, bestimmte Verhaltensmuster zu identifizieren, diese den Mitarbeitern widerzuspiegeln, sie dafür zu sensibilisieren und sie mit ganz pragmatischen Hilfen auszustatten, wie sie mit diesen Themen selbst so glaubwürdig wie möglich in ihrem Verantwortungsbereich und in ihrem Alltag umgehen können. Das ist eine große kommunikative Aufgabe und sie ist nicht ganz trivial. Sie findet in den bisherigen Compliance-Kampagnen viel zu wenig statt. Und weil sie vom Compliance Officer alleine nicht geleistet werden kann, brauchen Sie dazu im Unternehmen kommunikative Koalitionspartner.“
Wir sind nun als Compliance Officer überzeugt, dass wir zu den Kollegen von der Internen Kommunikation und von HR nett sein müssen, damit sie mit uns zusammenarbeiten. Jetzt geht es tiefer in die Ausarbeitung der Details – in Teams. „Nun werden im Team Initiativen entwickelt und diese sehr klar von Anfang an kommuniziert, und zwar auf allen Kommunikationsebenen und nicht nur per Mail. Dabei ist es sehr hilfreich, Mitarbeiter einzubeziehen, die die Initiativen in ihren Bereich weitertragen können. Bei einem Change-Prozess kann man eigentlich nicht zu viel kommunizieren“, so Dr. Rebecca Koch. Zu dieser Arbeit nach außen gehört auch eine interne Arbeit. „Wichtig ist, dass man immer wieder auch eine Analyse des eigenen Vorgehens vornimmt: Erreicht man die Ziele, die man erreichen wollte? Ist die Vision, die wir damals aufgestellt haben, noch die, die wir erreichen möchten, passt sie zu dem sich ändernden Umfeld?“, sagt Dr. Rebecca Koch. „Darüber hinaus kann man auch innerhalb eines Change-Prozesses mit speziell dafür definierten KPIs den Erfolg messen, zum Beispiel durch Mitarbeiterumfragen. Hier muss man allerdings die Fragen richtig stellen, um einen wirklichen mentalen Veränderungsprozess feststellen zu können.“ Da wären wir wieder bei der Kunst des Fragenstellens. Übrigens kann man von den Journalisten einiges über diese Kunst lernen. Wie sonst sollen sie an die Informationen, die sie interessieren, kommen?
Peter Hetzel schlägt eine weitere Methode vor, und zwar die Basisanalyse an den Anfang des Change-Projektes zu stellen: „Ich beginne immer zuerst mit einer Basisanalyse, am besten mit der Kraftfeldanalyse. Wir haben gute Erfahrungen mit der Analyse potenzieller Probleme gemacht, die die Frage in den Blick nimmt, mit welchen möglichen Problemen wir uns auseinandersetzen müssen. Dann sucht man nach Lösungsmöglichkeiten und arbeitet diese gleich in das Konzept ein. Das hat den Vorteil, dass man von vornherein einigen eventuellen Schwierigkeiten vorbaut.“ Das ist ein sehr sinnvolles Vorgehen, um nicht schon in der ersten Runde sein auf den ersten Blick als schön rund erscheinendes „Change-Konzept“ komplett begraben zu müssen und von vorne anzufangen.
Dann gibt es bei einem Change Management etwas, was uns auch im Compliance-Bereich begegnet: „In einem Change-Prozess muss man sich die im Unternehmen vorhandenen Strukturen und Prozesse anschauen und diese mit den gesetzten Zielen abgleichen. Denn es wird manchmal vergessen zu fragen: Welche Strukturen und Prozesse müssen wir ändern, weil sie unserer Zielerreichung im Wege stehen?“, sagt Dr. Rebecca Koch.
Beziehungspflege
Von allen Change-Beratern wird die Wichtigkeit der Einbeziehung und der Kommunikation betont. „Man muss viele Mitarbeiter einbinden, weil nur dann der Prozess funktioniert. Top down etwas durchzusetzen, ist sehr schwierig, weil die Dinge ja gelebt werden müssen. Meine jahrzehntelange Erfahrung ist, dass alle sehr genau wissen, worum es geht, und einiges dazu beitragen können“, sagt Peter Hetzel. Bei Veränderungsprozessen können Beziehungspflege, Kommunikation und Einbeziehung nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Die Beziehungspflege ist ein ganz entscheidender Faktor für den Erfolg oder Misserfolg eines Change-Prozesses. Kein Change-Prozess wird gelingen, wenn man nicht Kopf und Herz der Mitarbeiter einbindet. Dazu braucht es ein sichtbar gelebtes Commitment bzw. eine Positionierung der Unternehmensführung im Alltag“, so Dr. Heinrich Dürscheid, Gründer des Beratungsunternehmens Dr. Dürscheid + Partner. „Ein leicht veränderter Sinnspruch, der die Situation treffend beschreibt, lautet ‚Culture eats commitment for breakfast’, das bedeutet: Die Art und Weise, wie im Alltag gearbeitet wird, und die Kultur im Unternehmen sind immer stärker als alle Strategien und Blaupausen.“
Umgehen mit den Hierarchien
Im Compliance Management spielt die „Vorbildfunktion“ der Führungskräfte ja eine zentrale Rolle. So auch in Veränderungsprozessen. Allerdings hat man nicht das Gefühl, dass dieser Hebel von allen Compliance Officern gleichermaßen aktivierend genutzt wird. „Nur weil ich jemandem sage, er habe eine Vorbildfunktion, ist er noch lange nicht automatisch ein Vorbild. In einem Change-Prozess muss man immer sehr stark und viel kommunizieren. Und meiner Erfahrung nach müssen Mitarbeiter und Führungskräfte trainiert werden, damit sie die Kompetenzen entwickeln können, die sie von nun an benötigen“, sagt Dr. Rebecca Koch. „Darüber hinaus muss man bewusst nach bereits im Unternehmen vorhandenen passenden Vorbildern suchen, die den Mitarbeitern bestimmtes Verhalten vorleben.“ Und damit uns das gelingt, müssen wir wissen, wie und womit wir die Führungskräfte, einschließlich des Top Managements, überzeugen.
Wir stehen also vor der Herausforderung, uns auf unterschiedlichsten Hierarchieebenen mit Eleganz und überzeugenden Argumenten bewegen zu müssen. Hier muss man also ein gewisses Maß an Empathie mitbringen: „Die Compliance Manager müssen ein adäquates Rollenbewusstsein entwickeln. Auf welcher Funktion haben die Menschen welche Rolle und welche Aufgaben? Welche motivationalen Komponenten hat eine bestimmte Position? Wo muss ich was tun, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen?“, sagt Jörg Wirtgen. „Dieses Verständnis ist für die Ebene der Begründung, die kognitive Ebene, wichtig, weil die Compliance Officer den Verstand ansprechen müssen.“
Ein „Sich-Hineindenken“ ist tatsächlich wichtig in einem Veränderungsprozess. Seien Sie also nicht traurig, wenn Sie beim Vorstand zum Vorsprechen nur zehn Minuten bekommen. Wenn Sie es klug nutzen, wird mehr daraus. „Die Unternehmensleiter haben eine bestimmte Vorgehensweise, die zumeist technisch oder betriebswirtschaftlich geprägt ist und mit eher kausalem Denken einhergeht. Häufig liegen daher Dinge, die die Unternehmenskultur betreffen, nicht in ihrem Fokus“, so Dr. Heinrich Dürscheid. „Als Compliance Officer ist es für den Umsetzungserfolg der Compliance-Prozesse wichtig, den verantwortlichen Entscheider für die Bedeutung der Unternehmenskultur als strategischen Erfolgsfaktor zu sensibilisieren. Berührt das Thema den verantwortlichen Menschen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Veränderung stattfindet, hoch. Das trifft für die Entscheider wie auch für die einzubeziehenden Mitarbeiter zu. Werden sie nicht berührt, wird ihnen der Sinn der Veränderungen nicht vermittelt, dann bleibt es kalt. Dann hat der Unternehmensalltag mit seinen Notwendigkeiten eine viel größere Macht.“
Welche Vorgehensweise würden die Change-Berater selbst wählen, wenn sie Compliance Officer wären? „Als Erstes würde ich mir im Rahmen einer expliziten Auftragsklärung die Erlaubnis, das Commitment der Unternehmensleitung und auch die Verantwortung dafür abholen, zu schauen, wie es zum Thema Compliance derzeit im Unternehmen aussieht. Auf jeden Fall würde ich relevante Stakeholder in gemischten Gruppen – sogenannten Fokusgruppen – einladen und mit deren Hilfe reflektieren, wie es derzeit im Unternehmen um das Thema Compliance steht. Erarbeiten würde ich ihr Bild von Compliance im Unternehmen, ihre Einschätzung zu Umsetzungschancen und -risiken sowie ihre Empfehlungen. Mit der Unternehmensführung sind regelmäßige Feedbackprozesse zu gestalten“, erläutert Dr. Heinrich Dürscheid. „Compliance-Aktivitäten haben manchmal den Charakter von Unterweisungen juristischen Inhalts. Dabei bleibt das Gesamtverständnis für den Erfolg und die Zukunft des Unternehmens leicht auf der Strecke. Empfehlenswert sind ergebnisoffene und lösungsorientierte Aktivitäten. Natürlich wird es Setzungen und Rahmenbedingungen geben, die man den Mitarbeitern an die Hand geben muss. Dafür ist es wichtig, interaktive, dialogische Formen einzubauen, zu fragen, wie sie zum Gehörten stehen, was es bedarf und welche zusätzlichen Ideen sie haben, um selbstständig diese Vorgaben umsetzen zu können.“
In der Praxis
Wie ein Change-Prozess in der täglichen Compliance-Praxis aussehen kann, zeigt Alexander Ghazvinian, Chief Compliance Officer von APM Terminals: „Wir haben nicht immer strikte Vorschriften, die zum Beispiel die Höhe der Geschenk- und Bewirtungskosten oder die Höhe einer Kommission festsetzen. Harte Rahmen lösen keinen wirklichen Veränderungsprozess aus. Wir gehen so vor, dass wir den jeweiligen Fall mit den betreffenden Mitarbeitern erörtern. Das bedeutet, wenn sie zu uns mit einer Frage kommen, zum Beispiel welches der richtige Prozentsatz für eine Kommission ist oder was der richtige Wert für ein Geschenk ist, dann genehmigen wir nicht einfach einen Betrag. Wir diskutieren mit ihnen, was sie in diesem Fall für angemessen erachten, und erarbeiten mit ihnen die Lösung. Sie müssen selber überlegen und begründen, was in dieser Situation angemessen ist. Wir arbeiten uns mit unseren Mitarbeitern durch den Fall und erörtern, wo die Risiken und Chancen sind. Was sind Möglichkeiten, um die Risiken zu minimieren? Die Mitarbeiter werden damit zum Entscheider und nicht nur zum Ausführenden. Interessant ist, dass die Mitarbeiter oftmals zu restriktiveren Entscheidungen kommen als Compliance und die auch für kommunizierbar halten.“ Nun könnte so mancher Leser hier einwenden, dass ja das Werteverständnis bei jedem Individuum unterschiedlich sein könnte und sich das Unternehmen in den Möglichkeiten beschränke. „Genau deswegen brauchen wir ja ein Change Management, damit wir zu einem einheitlichen Werteverständnis kommen.
Das ist nichts, was wir von heute auf morgen erreichen, aber wenn der Mitarbeiter wirklich verstanden hat, welche Risiken und Chancen es gibt, präsentiert er beim nächsten Mal schon einen Lösungsvorschlag, den wir nur noch evaluieren. Das Wichtige daran ist, dass wir ihm nicht die Entscheidung abnehmen, am Ende ist es seine Entscheidung, die er auch vertritt. Wenn sich der Mitarbeiter dabei nicht wohl fühlt, helfen wir ihm, das Thema zu eskalieren, ohne dabei gegenüber seinem Vorgesetzten das Gesicht zu verlieren. Wir wollen eine offene Diskussion über solche Fragestellungen. Das ist auch Teil des Change-Prozesses“, so Alexander Ghazvinian. „Change Management erfordert eine innere Vertrauenskultur. Und es dauert seine Zeit, weil eine solche Veränderung eben nicht innerhalb weniger Monate erreicht werden kann. Wenn ich dabei auch noch ständig mit disziplinarischen Maßnahmen drohe oder den Eindruck erwecke, jede Beratung ist so, dass sie mich absichert, dann werde ich nicht das Vertrauen gewinnen und auch keine Veränderung erreichen.“
Sich selbst ebenfalls in den Blick nehmen
Wir haben bisher die Seite angeschaut, auf der ein Compliance Officer versucht, durch Einwirkung auf die Mitarbeiter zu einer Veränderung zu kommen. Wir nehmen jetzt auch die Compliance Officer selbst und ihre Rolle in den Blick. Denn ein Change-Management-Prozess erfordert auch eine gewisse Einstellung auf Seiten der Compliance Manager. „Den negativen Touch von Compliance und den Compliance Officern muss man umdrehen. Denn bisher ist Compliance ein Angst-Thema. Wenn man aber den Lernmechanismus Angst auf die Ebene ‚Compliance hilft mir, dass nichts passiert’ drehen kann, dann ist es ein Einsichts-Thema. Das geht nur, wenn die Compliance Officer selbst auch eine positive Absicht haben“, sagt Jörg Wirtgen. „Das bedeutet aber, dass die Compliance Officer die Mentalität ihrer Einstellung verändern müssen. Also sich selbst auch erst einmal umdrehen müssen.“
Doch bei sich selbst anzufangen, ist ja bekanntlich schwierig. Wie würde also ein Change-Experte bei einem persönlichen Change vorgehen? „Es ist dann ein Paradigmenwechsel. Die DNA der Compliance Manager muss geändert werden. Sie müssen nicht ‚gegen’ etwas sein, sondern ‚für’ etwas. Sie müssen sich an all die positiven Aspekte erinnern, wofür sie stehen und was für ihr Unternehmen wichtig ist. Sie müssen aber von ihrer Persönlichkeitsstruktur her auch eine positive Einstellung haben“, sagt Jörg Wirtgen. „Dann sollte dieses positive Image in der ganzen Firma verbreitet werden, zum Beispiel durch positive Marketing-Aspekte und Workshops. Und es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Compliance gut ist für die Mitarbeiter, für das Unternehmen und für jeden persönlich. Ich komme vom persönlichen Ansatz und bin überzeugt, dass es nur funktioniert, wenn man für sich selbst darin einen Nutzen sieht.“
Und das sehen übrigens nicht nur die Change-Berater so, sondern auch einige Compliance Officer selbst. „Wir Compliance Manager müssen uns immer fragen, ob wir ansprechbar sind und wie wir zum Business kommunizieren. Denn wenn das Business nicht zu einem kommt, dann hat man ein Problem“, so Ghazvinian. „Ein Compliance Officer muss sich für ein Gespräch Zeit nehmen. Ich persönlich investiere zwischen 40 und 60 Prozent meiner Arbeitszeit in intensive Gespräche mit den Mitarbeitern. Und wenn eine Anfrage per Mail kommt, dann antworte ich immer innerhalb von 24 Stunden. Dabei schreibe ich auch mal einfach nur ‚Ist in Ordnung, können Sie so machen’, denn formale E-Mails versteht keiner, liest keiner und sie sind auch nicht immer nötig.“ Zum Rollenverständnis gehört eben nicht nur, dass man helfen will. Dazu gehört auch eine bestimmte Haltung: „Ich will, dass meine Mitarbeiter das Richtige richtig tun, weil sie selbst davon überzeugt sind, dass das das Richtige ist. Sie folgen also den Werten. Und nicht weil es in einer Richtlinie steht oder weil sie Angst haben. Angst ist auch ein Treiber, aber kein guter Treiber für einen echten Veränderungsprozess“, so Alexander Ghazvinian.
Allerdings ist der Erfolg von Compliance-Arbeit und „Change Management“ selbst daran geknüpft, dass die Position des Compliance Officers eine gewisse Stärke oder Autorität besitzt. Wenn ein Compliance Officer vom Ansehen her in der Unternehmenshierarchie an letzter Stelle steht, wird es schwierig. „Veränderungen kann nur jemand bewirken, der wirklich die Autorität genießt“, sagt Peter Hetzel. „Wandel ist ein Projekt, und damit ist man immer im Bereich der strategischen Ausrichtung. Wenn also ein Compliance Manager einen Wandel im Unternehmen bewirken will, dann muss sein Veränderungsprojekt eingebettet sein in die Strategie des Unternehmens. Ansonsten kommt man gar nicht zur Veränderung.“
Was wirkt und was nicht
Für Spezialisten, die sich seit langem mit dem Change Management beschäftigen, kristallisiert sich irgendwann im Laufe der Zeit heraus, welche Kommunikationsmethoden wirken und welche nicht. „Was sich nicht bewährt hat, ist, nur auf ein Kommunikationsmedium zu setzen, zum Beispiel nur per Mail zu kommunizieren. Auch eine Mitarbeiterzeitung bringt in unserer digitalisierten Unternehmenswelt je nach Situation nur bedingt viel. Es ist der Mix, der in der Kommunikation viel ausmacht. Die Schulungen sind unabdingbar, aber sie alleine reichen nicht aus“, so Dr. Rebecca Koch. Wer also seine Compliance-Kommunikation bisher auf die Mitarbeiterzeitung konzentriert hat, hat nun die Anregung, umzudenken.
Unter den Compliance Officern ist es durchaus verbreitet, in Schulungen mit abschreckenden Beispielen zu arbeiten. Wussten Sie, dass sie nicht in jedem Fall wirken? „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass man Veränderungen gar nicht durch Abschreckungsbeispiele erzwingen kann. Die wirken nicht. Dazu der Begriff ‚Kognitive Dissonanz’ – wenn der Unterschied zwischen dem gewünschten Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten sehr groß ist, ist die Veränderung sehr unwahrscheinlich. Weil jeder zahllose Beispiele hat, warum er es nicht macht. Aber wenn der Unterschied relativ klein ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich verändert, recht groß. Genau das muss man schaffen“, sagt Peter Hetzel. Wir merken uns also, dass Plagen und Schrecknisse an die Wand zu malen nicht immer wirksam beim Umdenken ist.
Ein weiterer Punkt in unserer Liste „Alles, was nicht wirkt“ ist der Punkt, wie wir „Compliance-Events“ machen. Es kommt darauf an, wie diese „Events“ generell in die Compliance-Strategie eingebettet sind: „Event-Strohfeuer allein haben zumeist keine nachhaltige Wirkung. Wird ein Strohfeuer entzündet und danach kommt nichts mehr, wird Veränderungsenergie verbrannt. Ein Compliance-Event im Sinne eines Kick-offs bedarf lebendiger Interaktion und Kommunikation über Abteilungs- und Funktionsgrenzen hinweg. Ich erlebte bei einem großen Unternehmen eine Veranstaltung, auf der der Code of Conduct verkündet wurde“, erzählt Dr. Heinrich Dürscheid. „Die Fahnen mit allen Compliance-Begrifflichkeiten waren ausgehängt. Oben saß die Führung und die Mitarbeiter saßen unten im Plenum hintereinander. Es gab dynamische und teilweise richtig gute Vorträge, aber es fand keine Interaktion zwischen der Führungsebene und den Mitarbeitern statt. Am Ende schauten sich die Mitarbeiter an und sagten: ‚So was Ähnliches hatten wir ja schon mal, das geht vorbei.’“ Solch einseitige Kommunikation, sozusagen „vom Hierarchen zum Mitarbeiter“, funktioniert allein nicht bei gewünschten Veränderungen in der Unternehmenskultur und den Mindsets. „Damit ist die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit begrenzt. Erst wenn sichtbar ist, wer mit Herz, Kopf und Hand als Person für die notwendige Veränderung steht, wenn Aktivitäten unterstützt werden sowie Gelegenheit zum Austausch gegeben und kontinuierlich gesponsert wird“, so Dr. Heinrich Dürscheid, „dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Change-Projekt erfolgreich sein wird. Weitere Erfolgsfaktoren bestehen darin, aus Fehlern zu lernen und so eine offene Fehler- und Lernkultur zu fördern.“ Wenn man also sein Change-Konzept gut durchdenkt und ausführt, dann muss im Unternehmen eine bestimmte Situation erzeugt werden, ein gewisser Druck: „Diejenigen, die den Change nicht mitmachen, sollten das Gefühl haben, dass sie dann im Abseits stehen, werden also isoliert. Wir müssen es hinkriegen, dass der mentale Change genauso wirkt wie ein faktischer. Also von soft auf hart kommen. Wenn man dabei sein will, muss man sich ein Stück anpassen. Denn es ist schon seltsam, Compliance ist ja kein softes Thema, wird aber als solches behandelt“, sagt Jörg Wirtgen. Das ist der Trick dabei.
Wir haben diese Titelgeschichte bewusst mit dem Veranstaltungsbericht von Carolina Pineda Martinez über Richard Bistrong und Rashmi Airan angefangen. Als unsere Berichterstatterin so dasaß und den beiden zuhörte, kam ihr sozusagen eine Erleuchtung: „It became clear from listening to Airan and Bistrong and the two other panelists that organizations need to make consistent efforts to be closer to their employees. More personal, human-to-human concern and contact is what’s needed. Those in the field and in other high-pressure roles need to be seen by the compliance folks as colleagues who need support and encouragement.“ Genau darüber ging auch diese Geschichte. Es macht keinen Unterschied, ob ein Unternehmen 500 oder 500.000 Mitarbeiter hat – ohne persönliches Engagement und persönliche Zuwendung auf Seiten der Compliance Officer wird ein auch noch so durchdachtes CMS nicht funktionieren. Auf dem Weg zu einer echten mentalen Veränderung brauchen Menschen und Organisationen Zeit. „Man braucht Geduld und Gelassenheit sowie ein Verständnis dafür, dass Change letztlich eine Verhaltensveränderung auf der Grundlage veränderter Rahmenbedingungen bedeutet. Beziehe ich das ein, dann können Compliance-Prozesse gelingen. Ansonsten gilt: Das Gras wächst nicht schneller, wenn ich daran ziehe“, so Dr. Heinrich Dürscheid. „Etwas provokativ formuliert: Vielleicht reichen aber auch Absichtserklärungen, wohl formulierte Präsentationen und juristische Dokumente, welche die Bedürfnisse von Juristen und Compliance-Zertifizierern erfüllen, aus. Denn um die Unternehmensfassade herzurichten, bedarf es keiner Veränderungsschritte.“ Technisches Compliance-Können und Legal-Ansatz alleine bringen die Compliance Officer nicht weiter. Wenn ein Unternehmen mehr will als ein bloß öffentliches Bekunden „Wir können Compliance“, dann müssen wir umdenken.