Fast jedem von uns ist es schon einmal passiert. Man liest eine E-Mail – von einem Journalisten, einem Vorgesetzten, einem Kunden oder vielleicht gar seiner Agentur – schüttelt den Kopf, ist nicht einverstanden und lässt sich zu einer hämischen Replik hinreißen.
Dumm nur, dass man auf die falsche Taste gedrückt und allen Adressaten geantwortet hat. Zurückholen kann man die E-Mail nicht – und wer die Rückholfunktion nutzt, watet noch tiefer ins Verderben. Nun stellen Sie sich vor, dass alle Ihre E-Mails und Dokumente, die zunächst ausschließlich die richtigen Adressaten erreicht haben, plötzlich für die Öffentlichkeit lesbar sind. Genau das ist in diesem Jahr Sony Music passiert. Die Aktivisten von WikiLeaks stellten im April 173.132 E-Mails und 30.287 Dokumente des Unternehmens online, inklusive einer sehr bequemen Suchfunktion.
Die Dokumente waren zuvor von Unbekannten gehackt worden. US-Behörden mutmaßten, dies sei im Auftrag Nordkoreas geschehen, als Retourkutsche für die Veröffentlichung des Films „The Interview“. Für WikiLeaks-Chef Julian Assange war die Veröffentlichung ein Coup, den er entsprechend feierte und damit begründete, dass ein öffentliches Interesse daran bestehe, die internen Vorgänge eines globalen Unternehmens zu beleuchten. Für Sony Music eine Katastrophe, die auch zur Entlassung einer Managerin führte, die sich in internen E-Mails wenig sorgfältig geäußert hatte.
Auf die juristischen und moralischen Fragestellungen, die dieser Fall aufwirft, möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen – außer festzustellen, dass ich das Verhalten von Assange und Co. verwerflich finde, weil in zahlreichen Fällen auch die Privatsphäre einzelner Mitarbeiter verletzt wird. Aber was hilft es? Eines wird einem klarer denn je: Alles, was schriftlich dokumentiert wird, kann irgendwann publik werden.
Dabei gehört die Schriftform zu einer der definierenden Instanzen unserer Arbeitswelt, vor allem in großen Konzernen. Ohne die ganzen Protokolle, Präsentationen, Memos und E-Mails wäre den meisten von uns (und nicht nur den Kommunikatoren) nicht klar, womit wir den Tag verbringen sollen. Wichtiger als die vielen Dokumente, die täglich über unsere Server gejagt werden, sind nur noch die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen.
So schlecht waren die alten Gatekeeper nicht
Es ist ja nicht so, dass Leaks neu sind. Zu unserem Alltag als Kommunikatoren gehört, mit Dokumenten konfrontiert zu werden, die Journalisten vertraulich zugespielt bekommen haben. Schwierig genug, hierauf zu reagieren, denn oft weiß man nicht, ob diese Dokumente nur die Spitze des Eisbergs sind. Die alte Welt hatte aber einen Vorteil: Die meisten Journalisten agierten als Gatekeeper. Sie nutzten die Informationen für Exklusiv-Stories, so manches private Detail wie die Identität mancher Personen wurde aber respektiert. Und wenn offensichtlich war, dass die Dokumente auf nicht ganz legalem Wege beschafft worden waren, half auch ein Anruf bei der Rechtsabteilung.
Doch die Zeiten der exklusiven Gatekeeper sind vorbei. Die modernen technischen Möglichkeiten der Hacker, die Verwundbarkeit der eigenen Server und der messianische Züge tragende Transparenzwahn von Organisationen wie WikiLeaks machen schlaglichtartig klar: Kein Dokument ist mehr vertraulich.
Wie schütze ich mein Unternehmen vor Leaks?
Als Kommunikatoren tragen wir eine besondere Verantwortung beim Thema Leaks. Zwar können wir Indiskretionen letztendlich nicht verhindern – es liegt aber an uns, unternehmensintern die Sensorien zu schärfen. Alleine schon aus Eigeninteresse, denn die Konsequenzen eines Leaks spürt zuallererst die Öffentlichkeitsarbeit. Gerade als Kommunikationsabteilung kann man Vorsorge treffen, wenn man einige Punkte im Auge behält:
1. Verschwiegenheit ist keine Option
Ein Unternehmen ohne E-Mails, ohne Memos, ohne Powerpoint-Schlachten? Das hat zugegebenermaßen einen gewissen Charme. Entbürokratisierung, so wichtig sie auch ist, ist aber heute nicht das Thema. Wir müssen uns einer Sache klar sein: Es ist weiterhin eine Qualität, gut und viel zu kommunizieren. Verschwiegenheit, gerade in der internen Kommunikation, wird eine Gegenreaktion von Mitarbeiterseite provozieren. Wer aus Angst vor Leaks eine negative Kommunikationskultur etabliert, erhöht das Risiko, denn Sie provozieren dadurch Gerüchte und informelle Kommunikation und geben letzten Endes die Kommunikationshoheit auf.
2. Sprachliche Disziplin: Alles kann geleaked werden
Bei aller Offenheit: Wir müssen bei jedem Memo und jeder E-Mail im Blick haben, dass die Öffentlichkeit sie irgendwann mitlesen kann. Jedes Dokument muss „leakable“ sein. Vor allem Kommunikationsstrategien müssen auf ein mögliches Skandalisierungspotenzial abgeklopft werden. Für manche Medien bieten gerade Kommunikationsstrategien gute Aufhänger für Berichterstattung. Zuweilen werden Praktiken angeprangert, die völlig selbstverständlich sind und zur guten Kommunikation gehören. Die Berichterstattung rund um das im vergangenen Jahr geleakte Kommunikationskonzept, das die Agentur Edelman für das kanadische Energieunternehmen TransCanada im Rahmen eines Pipeline-Projekts schrieb, zeigt deutlich die Gefahr.
Doch was ist sprachliche Disziplin? Mir geht es hierbei nicht darum, dass Sie mit Euphemismen um sich schmeißen und Konzepte bis zur Unkenntlichkeit redigieren. Es geht um einen ehrlichen Umgang damit, welche Entscheidungen man fällt. Für jedes Strategiepapier und jedes Kommunikationskonzept gilt: In diese Dokumente gehören ausschließlich Aktivitäten, die Sie glaubhaft und mit Überzeugung in der Öffentlichkeit und Ihren Mitarbeitern gegenüber vertreten können.
Eine besondere Rolle kommt E-Mails zu. Sie haben grundsätzlich eine formale Funktion, werden aber dennoch stark für informelle Kommunikation genutzt. Hier liegt eine wesentliche Gefahrenquelle: Ein flapsiger Spruch kann schnell die falsche Tonlage treffen – oder zumindest Interpretationsspielräume offenlassen. Natürlich werden Sie den E-Mailverkehr nie kontrollieren können. Hier ist das Management gefragt: mit einer klaren Haltung und einer gut kommunizierten E-Mail-Etiquette für das Unternehmen.
3. Im Fokus: Die Stabsfunktionen und das Management
Seien wir ehrlich. Das, was durch die Postfächer von uns Kommunikatoren geht, ist für Hacker nicht immer das Interessanteste – vor allem wenn wir wie oben dargelegt auf sprachliche Disziplin achten. Viel spannender ist, was nicht nur der Vorstand, sondern das – auch mittlere – Management so alles für Dokumente produziert. Das gilt natürlich auch für die verschiedenen Stabsfunktionen wie die Unternehmensstrategie, die allesamt Interessantes zu sagen haben.
Hier muss die Kommunikationsabteilung eine aktive Rolle spielen. Management und Stabsabteilungen müssen dafür sensibilisiert werden, dass ihr Kommunikationsverhalten stets unter die Lupe genommen werden kann. Idealerweise sollte dies in bestehende Krisentrainings eingebaut werden. Das Mindeste ist aber eine Schulung, die auf die Gefahren hinweist.
4. Haltung leben und kommunizieren
Das Schöne an unserem Beruf ist, dass man stets neue Ideen entwickelt und Spaß an Veränderungen hat. Der Blick auf Risiken darf nicht dazu führen, dass jegliche Kreativität im Keim erstickt wird. Die wichtigste Voraussetzung dafür, Spaß bei der Arbeit zu behalten und Kreativität zu fördern, ist die richtige Haltung zur Kommunikation.
Ein Beispiel: Es wird geleakt und angeprangert, dass Ihr Unternehmen eine aggressive Akquisitonsstrategie verfolgt, die Marktanteile zum Nachteil eines Konkurrenten sichern soll. Wenn Sie zu 100 Prozent hinter dieser Strategie stehen, gibt es keinen Grund, nicht mit vollem Selbstbewusstsein zu kontern. Wer sich seiner Strategie und seiner Aktionen sicher ist – also Haltung zeigt –, den werden kleinere Indiskretionen nicht aus der Bahn werfen. Vorausgesetzt natürlich, dass man vorher darauf geachtet hat, dass die sprachliche Artikulation der Strategie mit der tatsächlichen Praxis übereinstimmt.