Nicht nur in Deutschland ist die Vorstandsvergütung ein immer wieder aufs Neue intensiv diskutiertes Thema. Während der Blickwinkel der breiten Öffentlichkeit dabei vor allem durch Neugier bestimmt wird, ist die hohe Aufmerksamkeit aus Sicht von Corporate Governance Experten und Investoren der Tatsache geschuldet, dass die Art und Weise der Incentivierung des Top-Managements in direktem Zusammenhang mit dem Erfolg des Unternehmens steht und – idealerweise – dessen strategische Ausrichtung widerspiegelt.
Speziell die Diskussion in Fachkreisen war zuletzt stark durch die Erweiterung der Aktionärsrechte sowie den Ausbau von Transparenz in der Organvergütung börsennotierter Gesellschaften geprägt. In diesen beiden Themenfeldern haben der Gesetzgeber mit der Umsetzung der zweiten Europäischen Aktionärsrechterichtlinie durch das ARUG II3 sowie die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex mit der Neufassung des Kodex4 entscheidende Weichen gestellt.
„Speziell die Diskussion in Fachkreisen war zuletzt stark durch die Erweiterung der Aktionärsrechte sowie den Ausbau von Transparenz in der Organvergütung börsennotierter Gesellschaften geprägt.“
Deren in 2022 in aller Breite erkennbare Auswirkungen zeigen allerdings, dass die Vergleichbarkeit von individuellen Vergütungsinformationen der Unternehmen deutlich zurückgegangen ist und Deutschland damit seinen Vorreiterstatus in der Vergütungspublizität verloren hat. So veröffentlichen Unternehmen in ihren Vergütungsberichten zwar vorgabenkonform in der Regel deutlich mehr individuelle Details zur Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat, diese sind aber mangels entsprechender Standardisierung sehr gesellschaftsspezifisch dargestellt und daher unternehmensübergreifend nur schwer zu vergleichen. Ein heterogenes Bild zeigt sich dementsprechend auch bei den erstmals auf Basis des
ARUG II erfolgten Abstimmungen über den Vergütungsbericht auf der Hauptversammlung, die Investoren teilweise auch für Kritik nutzen, die thematisch nicht mit dem eigentlichen Vergütungsbericht zusammenhängt.
Im Zuge der genannten Neuregelungen ist darüber hinaus auch die Debatte über die Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Vorstandsvergütung in Form von ESG (Environment, Social, Governance)-Kriterien, sprich Umwelt-, sozialen und Governance-Aspekten, in vollem Gange. Dies hat auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zum Anlass genommen, eine erneut überarbeitete Fassung des DCGK zu veröffentlichen5.
Institutionelle Investoren als Treiber von Nachhaltigkeit
Die Aktionärsstruktur börsennotierter Unternehmen in Deutschland ist überwiegend von institutionellen Investoren geprägt, wobei Gesellschaften aus den USA und dem Vereinigten Königreich dominieren. Die großen deutschen institutionellen Investoren wie Allianz Global Investors, Deka Investment, DWS und Union Investment halten zusammen etwa 8,5 % an DAX-Unternehmen, internationale Kapitalanlagegesellschaften dagegen zusammen rund 60 %.6
Im Zuge diverser Unternehmensskandale – von Philipp Holzmann, über Enron und Worldcom bis hin zu BP, Olympus oder dem Diesel-Skandal und zuletzt Wirecard – sind die Themen Good Governance und Compliance immer stärker in das Blickfeld von Investoren gerückt. Dies gilt auch für die Bedeutung von Nachhaltigkeit: Hätte etwa BP als Betreiber der Ölplattform Deepwater Horizon mehr in technische Compliance, Instandhaltung und Wartung investiert, wäre das jährliche Betriebsergebnis zwar zunächst niedriger ausgefallen, dafür aber eine Umweltkatastrophe verhindert worden. Die Ölplattform würde vermutlich noch heute gewinnbringend betrieben und der extreme Kurssturz der Aktie hätte vermieden werden können.
„Im Zuge diverser Unternehmensskandale – von Philipp Holzmann, über Enron und Worldcom bis hin zu BP, Olympus oder dem Diesel-Skandal und zuletzt Wirecard – sind die Themen Good Governance und Compliance immer stärker in das Blickfeld von Investoren gerückt.“
Letztlich zeigt sich: Für Investoren werden auch Compliance und Umweltschutz zu einem wesentlichen Faktor im Investitionsschutz. Ohne aktives Umweltmanagement riskieren Unternehmen nicht nur Reputationsschäden, sondern insbesondere auch Umsatzverluste infolge von Sanktionen oder Einbußen durch spätere Mehrkosten. In diesem Sinnen betrachten Unternehmen zunehmend auch mitarbeiterbezogene Aspekte, die der Social-Dimension von ESG zugerechnet werden. Unter dem Schlagwort Human Capital Management sehen sie die Berücksichtigung der Belange von Beschäftigten als materiellen Bestandteil nachhaltiger Unternehmensentwicklung – zum einen zur Risikomitigierung, zum anderen zur Wertschaffung – und stellen entsprechende Anforderungen an ihre Portfoliounternehmen.7
Nachhaltigkeit versus Total Shareholder Return
Im Jahr 1970 formulierte der Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, dass das Unternehmenswirken auf die Steigerung des Shareholder Value auszurichten sei. Schon damals betonte er jedoch, dass dies den Schutz aller relevanten Interessensgruppen einschließlich Mitarbeiter, Kreditgeber, Lieferanten oder auch der Gesellschaft und Natur voraussetzt. Wurde diese wichtige Grundvoraussetzung von den Apologeten des reinen Shareholder Value gern ignoriert, wird sie nun – 60 Jahre später – Realität: So stellen die Generationen Y und Z sowohl als Arbeitskräfte als auch Kunden wesentlich höhere Anforderungen an Unternehmen hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Daseinsberechtigung, der von ihnen vertretenen Werte, aber auch und gerade in puncto Nachhaltigkeit.
Studien zeigen, dass die Ausrichtung der Unternehmensstrategie auf eine nachhaltige Entwicklung unter Berücksichtigung relevanter Stakeholder einen positiven Einfluss auf die langfristige Performance des Unternehmens haben kann.9 Dabei sollte Nachhaltigkeit keinesfalls als „Add-on“ zur Unternehmensstrategie verstanden werden. Vielmehr ist eine ganzheitliche Ausrichtung der Strategie hin zu einem integrierten, materielle ESG-Aspekte einbeziehenden Konzept erforderlich. In der Konsequenz können Unternehmen von einer erhöhten Nachfrage, niedrigeren Kapitalkosten sowie einer höheren Unternehmensbewertung profitieren. In dieser Wechselwirkung bildet die Umsetzung einer holistischen und nachhaltigen Strategie die Basis für eine positive Entwicklung des Total Shareholder Returns.10
§ 120a Abs. 1 AktG verpflichtet börsennotierte Unternehmen dazu, ihr nach § 87a AktG vom Aufsichtsrat zu erstellendes Vergütungssystem bei jeder wesentlichen Änderung, mindestens jedoch alle vier Jahre der Hauptversammlung zur konsultativen Abstimmung vorzulegen
Spiegel dieser ganzheitlichen Sicht ist die Incentivierung des Top Managements eines Unternehmens. Konsequenterweise finden sich vermehrt ESG-Ziele in den Vergütungssystemen für den Vorstand wieder. Investoren können ihre diesbezüglichen Anforderungen seit der Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie noch deutlicher auf den Hauptversammlungen artikulieren. Der durch das ARUG II neu eingeführte § 120a Abs. 1 AktG verpflichtet börsennotierte Unternehmen dazu, ihr nach § 87a AktG vom Aufsichtsrat zu erstellendes Vergütungssystem bei jeder wesentlichen Änderung, mindestens jedoch alle vier Jahre der Hauptversammlung zur konsultativen Abstimmung vorzulegen.
Damit kann die konkrete Incentivierung des Vorstands nur noch im Einklang mit einem der Hauptversammlung vorgelegten Vergütungssystem erfolgen. Investoren nutzen dabei immer stärker den in diesem Rahmen entstehenden Dialog, um beispielsweise auf eine fehlende oder nicht hinreichende Verankerung von ESG-Zielen in der variablen Vorstandsvergütung hinzuweisen.11 Wesentliche Prüfsteine sind dabei die Relevanz, Materialität, Messbarkeit und sowie die strategische Passung der verwendeten ESG-Ziele.
ESG-Kriterien in der Anwendung – Einblick in die aktuelle Marktpraxis
Mittlerweile sehen nach unseren Analysen über die Hälfte der DAX-Unternehmen neben kurzfristigen Komponenten eine Verankerung von ESG-Zielen in der langfristigen variablen Vergütung vor. Üblich ist dabei die Festlegung eines Katalogs von ESG-Zielen, aus welchem Aufsichtsrat die konkreten Vorgaben für das jeweilige Geschäftsjahr bzw. – im Falle der langfristigen variablen Vergütung – für den jeweiligen Performance-Zeitraum auswählt.12 Solche Kataloge enthalten Umweltziele wie die Reduktion der CO2-Emmissionen oder des Energieverbrauchs oder auch die Verringerung von Abfall. Des Weiteren zählen dazu auch soziale Ziele, welche häufig mitarbeiter- oder kundenspezifische Belange adressieren, also zum Beispiel Mitarbeiterzufriedenheit oder Kundenbindung messen. Governance-Ziele werden indes weniger häufig berücksichtigt. Wenn doch, stellen diese häufig auf Compliance-Aspekte oder Diversity-Themen ab.
Werden ESG-Ziele in der kurzfristigen variablen Vergütung verankert, erfolgt dies bislang seltener als eigenständiges, additives Ziel, sondern überwiegend in Gestalt eines durch den Aufsichtsrat festzusetzenden Zu- oder Abschlags auf die Jahrestantieme.13 Soweit solche Modifier verwendet werden, haben diese zumeist einem Einfluss von bis zu +/- 20 % auf die sich aus den finanziellen Zielsetzungen ergebende Zielerreichung. Als eigenständig berücksichtigte und additiv verbundene Vorgaben haben ESG-Ziele meist eine Gewichtung zwischen 20 % und 30 % in der kurzfristigen variablen Vergütung.
Soweit ESG-Ziele in der langfristigen variablen Vergütung verankert werden, geschieht dies stets in Form eines kollektives Ziels für den Gesamtvorstand. Die Verankerung erfolgt ganz überwiegend als eigenständige zusätzliche Vorgabe im Rahmen des Long Term Incentive, die mit den anderen Zielen additiv verknüpft ist. Dabei berücksichtigt die Mehrheit der DAX-Unternehmen mehrere ESG-Ziele in der langfristigen variablen Vergütung, auch hier in der Regel mit einer Gewichtung von 20 % bis 30 %. Die Berücksichtigung über einen Modifier in der langfristigen variablen Vergütung ist dabei weit weniger als in der kurzfristigen variablen verbreitet.
Aber wie auch dort sind solche Ziele am gängigsten, die die E-Dimension von ESG adressieren, gefolgt von S-Zielen. G-Ziele finden sich hingegen kaum in der langfristigen variablen Vergütung. Zunehmende Verbreitung finden zudem Vorgaben, die mehr als eine Dimension von ESG adressieren, wie etwa der Anteil nachhaltiger Produkte am Angebot oder die Schaffung nachhaltiger Wertschöpfungsketten.
Während die Mehrheit der DAX-Unternehmen inzwischen hinsichtlich der Verankerung von ESG in der Vorstandsvergütung bereits weit fortgeschritten sind, haben insbesondere kleinere börsennotierte Unternehmen, die weniger stark im Fokus institutioneller Investoren stehen und nicht über entsprechende interne Ressourcen zur Behandlung von Nachhaltigkeitsthemen verfügen, teilweise noch Nachholbedarf bei der Verknüpfung von ESG mit der Vorstandsvergütung.
Compliance in der Vorstandsvergütung
„Soweit Compliance die Einhaltung unternehmensautonom vorgegebener Richtlinien betrifft, folgt ihre Verbindlichkeit in der Regel aus der durch den Vorstand selbst“
Elementarer Bestandteil guter Corporate Governance ist der Aspekt der Compliance. Soweit es um die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen geht, ist sie damit ein Ausfluss der Legalitätspflicht des Vorstands, die bei der Leitung der Gesellschaft zu beachten ist. Soweit Compliance die Einhaltung unternehmensautonom vorgegebener Richtlinien betrifft, folgt ihre Verbindlichkeit in der Regel aus der durch den Vorstand selbst oder den Aufsichtsrat erlassenen Geschäftsordnung für den Vorstand sowie vor allem aus entsprechenden Regelungen in den Vorstandsdienstverträgen, welche das Vorstandsmitglied auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sowie der unternehmensinternen Richtlinien verpflichten.
Compliance kann in der Vorstandsvergütung auf mehrfache Weise verankert werden:
Als Teil des „G“ in der ESG-Zielmatrix kann Compliance im Rahmen der variablen Vergütung als Ziel vorgegeben werden. Allerdings wird Compliance dann üblicherweise als Knock-out-Kriterium vereinbart. In der Konsequenz führen Compliance-Verstöße zu einer Kürzung oder zum vollständigen Entfall des entsprechenden variablen Vergütungselements. Compliance wird damit als selbstverständlich einzuhaltende Zielvorgabe im Sinne einer license to operate behandelt. Dies ist insofern angebracht, als Compliance grundsätzlich nicht zu einer Ziel-Übererfüllung führen sollte.
Hiervon unabhängig werden inzwischen in sogenannten Malus-/Clawback-Klauseln in Vorstandsdienstverträgen Regelungen vereinbart, welche im Falle schwerwiegender Compliance-Verstöße die Reduzierung bzw. den vollständigen Verfall ausstehender oder die Rückforderung bereits ausbezahlter variabler Vergütung vorsehen. Unterhalb der Schwelle schwerwiegender Verstöße kann dem Aufsichtsrat ein Recht zum diskretionären Eingriff in die variable Vergütung, etwa im Rahmen eines Modifiers, eingeräumt werden.
Damit hat das Thema Compliance inzwischen insgesamt eine deutlich größere Bedeutung für die Vorstandsvergütung erhalten. Der Fokus liegt dabei aber weniger auf der Sanktionierung etwaiger Verstöße, sondern vielmehr auf ihrer Vermeidung durch eine entsprechende Gestaltung der Vergütungssysteme und Vorstands-Dienstverträge.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DCGK: DEUTSCHER CORPORATE GOVERNACE KODEX. Das Heft können Sie hier bestellen.