Was denkt ein Techie und Querdenker über Sie?
Irina Jäkel: Herr Dueck, erst seit Ihrem Vortrag auf dem IT-GRC-Kongress des ISACA Germany Chapter im September habe ich verstanden, wie sich „schüchterne ITler fühlen“, die wir scherzhaft oft als „schwach autistisch“ bezeichnen. Sie waren nach eigenem Bekunden früher ja auch so.
Gunter Dueck: Die Menschen denken, der Schüchterne oder stark Introvertierte hätten gar keine Gefühle. Das ist eine falsche Vorstellung, dementsprechend behandeln sie sie auch falsch. Es ist mir ein Anliegen, dass die Menschen die stark Introvertierten verstehen. Es ist nicht einfach nur eine Störung, sondern ein gewisser Rückzug von der Welt, weil man die verbale Lautstärke wie Gewalttätigkeit empfindet und den Rummel „da draußen“ nicht so gut aushalten kann.
Man schaut den Leuten nicht einmal gerne in die Augen, weil man extrem starke und intensive Gefühle hat, von denen man sich überwältigt fühlt. Dann schimpfen einen die Leute „Autist“ wie „gefühllos“. Es ist aber andersherum. Die Gefühlloseren sind aber die „Normalen“, die dem Schüchternen immer „dünne Haut“ vorwerfen oder ihn „Sensibelchen“ nennen.
In Ihren Büchern schreiben Sie, worauf es in der Zukunft ankommt. Der Grundtenor ist: „Arbeite an Dir selbst, entwickle Dich selbst“. Sind Sie bisher Ihren beschriebenen Prinzipien selbst auch gefolgt?
Ein Drittel meiner Arbeitskraft verwende ich auf Fortbildung und Netzwerken. Mit diesem Thema habe ich erst angefangen, als mir diese Problematik in den 90er Jahre über den Weg lief.
Was hat Sie dazu bewogen, sich mit der Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen und an Ihrer Persönlichkeit zu arbeiten?
In den Anfangsjahren, vor allem als ich noch Professor war, war es noch kein Thema für mich, dass ich meine Persönlichkeit weiterentwickle. Damals habe ich einfach eine normale Karriere gemacht. Das ging so, bis ich ungefähr 40 Jahre alt wurde. Und dann musste ich plötzlich Menschen führen. Ich war Manager und habe eine kleine „Teil-Firma“ innerhalb von IBM gegründet. Nach einiger Zeit fing man an, meinen Führungsstil zu kritisieren. Ich sei zu wenig explizit bestimmend, aber gleichzeitig zu fordernd. Ich hatte meine Mannschaft dazu angetrieben, in bestimmten mathematischen Problemen Weltmeister zu werden. Ich wusste, dass das gehen würde, aber sie fanden den Anspruch übertrieben. Ich hatte damals einfach nicht verstanden, warum die anderen nicht dieselbe Leidenschaft für Mathematik haben, wie ich selbst.
Diese Kritik hat mich allerdings dazu bewogen, mich mit dem Thema Führen und Führungsstile zu beschäftigen. Da bin ich über diese ganzen Psychologietests gestolpert und habe auch den MBTI-Test (Myers-Briggs-Test) gemacht. Im Ergebnis gehörte ich zu den seltensten Typen „Mastermind“ (INTJ). Da stand drin, ich bin stigmatisiert und werde vermutlich nicht verstanden, wenn ich zu abstrakte Ideen habe. Das hat mir sehr zu denken gegeben, weil damals genau das die Diskussion um meinen Führungsstil bestimmt hat. Und es war ein Schnittpunkt, der mein Leben verändert hat.
Übrigens sind wir dann doch Weltmeister geworden – und eine ganz stolze Truppe.
Sie nennen Tätigkeiten, die bald automatisiert werden „Commodity“ und schreiben selbst in Ihren Büchern, es gehöre für Sie dazu, dass Sie ständig vor der „Commodity-Gefahr“ ausweichen. Könnten Sie erklären, was Sie damit meinen?
Alle Berufe haben einen einfachen Teil, das ist die Routinearbeit. Und dieser Teil wird zunehmend von den Computern übernommen. Das kann übrigens von so manchem Beruf sogar ein relativ hoher Anteil sein. In diesem Sinne halte ich zum Beispiel den Beruf Steuerprüfer für einen ganz „schlimmen“, denn diese ganze Rechnungsprüfung ist ja etwas, was man im Grunde nicht braucht. Zum Beispiel lassen sich auch viele Notariatsdienste maschinell erledigen, etwa Beglaubigungen, Übertragungen von Firmenanteilen oder Grundstücken. Am Horizont steht schon die Blockchain-Technologie, mit der beliebige Güter und Rechte „überwiesen“ werden können.
Es gibt also Dinge, die von der Arbeitstechnik her völlig überflüssig sind. In der Zukunft werden all diese Dinge so gehandhabt, wie man sie mit IT machen kann. Auch hochstehende Berufe werden einen ganz großen Teil ihrer Arbeit verlieren. Wenn man jeden Beruf durchgeht, dann findet man bei jedem ca. 30 bis 40 Prozent Routine, die im Grunde von den Maschinen oder durch die Ungelernten erledigen werden könnte.
Aber auf Selbstkritik alleine sollten wir nicht bei jedem setzen. Woran erkennt ein Mensch, ob er mit seinem professionellen Können der Zukunft entspricht oder sich noch verbessern muss?
Indem man sich selbst überlegt, worauf das hinaus läuft.
Was sind Ihre Gedanken zum Beruf der Compliance Officer? Da geht es sehr viel um Awareness und wie man das Ganze in den Kopf der Mitarbeiter bekommt.
Die Ethik sagt, dass man in der Mitte des gesunden Menschenverstandes bleiben sollte. Die Business-Leute gehen aber im Grunde an die Grenzen der Ethik. Zum Beispiel werden Autos so produziert, dass sie so viel Schadstoff in die Luft blasen, wie es gerade noch erlaubt ist. Man ist also quasi ständig einen Millimeter vor dem Gefängnis. Auch die Banken fahren Risiken so hoch, wie es gerade noch von der BaFin erlaubt ist. Genau deshalb braucht man nun Compliance, viel stärker, als wenn man in der Mitte gehen würde. In der Mitte ist eine kleine Abweichung egal, am Rande kann sie illegal sein.
Das Grenzgehen erfordert Grenzzieher und Wächter und kostet viel Geld – und macht Ärger! Und führt zu Komplexität und Fragilität! Aber die Ethik würde sagen, man soll von der Grenze fernbleiben. Sie sollen einfach anständige Autos bauen und unser Vermögen anständig anlegen. Und wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Dazu gehört mein tiefer Glaube, wenn man der Ethik folgt, dann ist es ökonomisch besser, als wenn ich grenzwertig bin und schachere und mir dauernd neue Prozesse einhandele.
Die Funktion der Ethik ist zusammen mit einer erfreuenden inhaltlichen Vision eine ganz wichtige Steuerungsfunktion, es gelingt damit, die Energien zu bündeln. Klagen denn nicht alle CEOs, dass es so schwerfällt, die ganzen PS ihres Unternehmens auf die Straße zu bringen? Weil eben alle grenzwertig optimieren…
Was wäre die wichtigste Aufgabe der Compliance Manager?
Sie müssen den Mitarbeitern beibringen, wie man „in der Mitte bleibt“. Compliance ist dann wie ein positiv gesehener Mahner, wie eine hochgeachtete Kirche im Staat mit einer gewissen Richtlinienkompetenz. Viele Unternehmen legen eigentlich keinen Wert auf Ethik. Sie müssen eben einen Ethik-Vice-President haben, der alles, was man irgendwie gut auslegen kann, in der Öffentlichkeit ausbreitet. „Tue Gutes und rede darüber“, heißt es. Das würde ja noch gehen, aber sie suchen nur etwas zufällig Gutes im Unternehmen und reden darüber.
Ethik müsste einklagbar sein – es müsste also Strafen von oben hageln, wenn jemand unethisch handelt… So hart wird es nie gesehen. Es geht bei allen Sonderfunktionen wie Compliance, Innovation, Gleichstellung oder Gesundheit immer darum, die Balance im Unternehmen zu halten. Genau diese Funktion hat ja Ethik. Ist das Unternehmen für die Aktionäre, die Mitarbeiter oder die Kunden da? Immer geht es um Balance. Unter anderem Compliance soll dafür sorgen, dass die nicht verloren geht. Das Erhalten von Balance ist das Schwierige im Unternehmen – keine Sorge, dass das ein Computer übernimmt!
Aber oft kann der Compliance Officer nicht richtig „an die Seelen seiner Gemeinde“ gehen …
Das liegt aber daran, dass ihnen keiner die Macht gibt. Und um ehrlich zu sein, in so manchem Fall kann es auch daran liegen, dass sie unter Umständen nicht die tollen Persönlichkeiten sind, auf die man hört. Ich meine das nicht als Beleidigung! Wer keine Macht hat und trotzdem Erfolg haben will, muss sehr viel persönliche Autorität im Unternehmen haben. Die Idee der Balance muss in dem Vorbild des Compliance Officers Ansehen genießen. Balance ist eine Kulturfrage, nicht unbedingt eine Abteilung.
Aber was können Ihrer Meinung nach die Compliance Officer selbst zur Verbesserung der Lage beitragen?
Sie sollten an einer guten Beziehung zu den Mitarbeitern arbeiten. Warum, kann man anhand der Vater-Sohn-Beziehung gut veranschaulichen. Wenn die Beziehung hier nicht stimmt, dann wird der Sohn nicht tun, was der Vater von ihm will. Als Konsequenz müsste der Vater auf strikte Kontrollen setzen. Das funktioniert also nur, wenn alle im Unternehmen finden, dass der Compliance Officer eine so starke persönliche Autorität hat, dass, wenn er „macht schon“ sagt, dann alle Mitarbeiter sagen „also gut, machen wir“.
Wenn sie das illegitim finden, dann würden sie antworten „nein, wir sorgen uns zuerst um das Quartalsergebnis“. Dann stimmt die Beziehung zur Idee der Balance nicht. Die Compliance Officer müssen sich dann Gedanken machen, wie sie diese gesund gestalten können.