Am 1. April 2017 ist die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) in Kraft getreten. Dadurch gestaltet sich der Personaleinsatz im Wege der Arbeitnehmerüberlassung wesentlich komplizierter und unflexibler. Deshalb nun vermehrt auf Werk- beziehungsweise Dienstverträge zurückzugreifen, birgt jedoch enorme Strafbarkeitsrisiken. Der Gesetzgeber hat nicht wie zunächst erhofft klargestellt, was einen selbständigen Werk-/ Dienstvertrag von einem unselbständigen Arbeits-/ Arbeitnehmerüberlassungsvertrag unterscheidet. Zudem hat der Gesetzgeber die von den Arbeits- und Sozialgerichten bislang akzeptierte sogenannte Fallschirmlösung abgeschafft, wonach ein risikobehafteter Werk-/ Dienstvertrag mit einer vorsorglichen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Auftragnehmers abgeschirmt werden konnte. Anlass genug die Prozesse zur rechtssicheren Beauftragung von Werk-/Dienstverträgen im Unternehmen grundlegend zu prüfen und falls nötig rechtssicher umzustellen.
1. Risiko der fehlerhaften Vertragsabgrenzung
Ein Scheinwerkvertrag, das heißt der Einsatz von Mitarbeitern des Auftragnehmers auf Grundlage eines „gewollten“ Werkvertrages mit hoher Personalintegration in den Betrieb des Auftraggebers, birgt ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko für die Geschäftsleitung des Auftraggebers. Denn nicht nur wird der Auftraggeber zum ungewollten Arbeitgeber der vom Auftragnehmer eingesetzten Mitarbeiter, sondern auch zum Schuldner der auf diesen Einsatz entfallenden Sozialversicherungsbeiträge. Werden diese vom Auftraggeber nicht abgeführt, besteht das Risiko einer Straftat nach § 266a StGB („Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen“), für welche die Organe des Unternehmens einzustehen haben. Für die Strafbarkeit ist keine Schädigungs- und/ oder Bereicherungsabsicht erforderlich. Es genügt, dass die tatsächlichen Umstände des Fremdpersonaleinsatzes bekannt sind. Um die Organe der Gesellschaft von dem Risiko einer Strafverfolgung abzuschirmen, muss eine Prozess zur rechtssicheren Beauftragung von Werk-/ Dienstverträgen im Unternehmen implementiert und dessen Einhaltung revisionsfest kontrolliert werden. Hierfür sind die folgenden Umsetzungsschritte erforderlich:
2. Zukunftsbetrachtung: Rechtssichere Beauftragung von Werk-/ Dienstverträgen
Die Implementierung eines Prozesses zur zukünftig rechtssicheren Beauftragung erfordert zunächst die Risikoeigner, das heißt die Personen zu identifizieren, die im Unternehmen regelmäßig Fremdpersonal beauftragen. An die Risikoeigner sollte eine „Beauftragungs-Richtlinie Fremdpersonal“ herausgegeben werden. Ziel einer solchen Beauftragungsrichtlinie ist, die Risikoeigner erstmals zu sensibilisieren und insbesondere die Risiken aufzuzeigen, die mit einer Fehlabgrenzung von Werk-/ Dienstverträgen einerseits und Arbeitnehmerüberlassungsverträgen andererseits einhergehen. An dieser Stelle werden bereits Bereiche im Unternehmen erstmals sichtbar, aus denen heraus in der Vergangenheit risikogeneigte Werk-/Dienstverträge beauftragt wurden. In der Regel führt die Einführung einer verbindlichen Beauftragungsrichtlinie dazu, dass die Beauftrager aus Angst einen womöglich strafbewehrten Rechtsverstoß zu begehen, erst einmal jegliche Beauftragung von Werk-/Dienstverträgen stoppen. Diese potenzielle Beauftragungsblockade kann und sollte dadurch überwunden werden, dass mit Ausgabe der Beauftragungsrichtlinie eine Task-Force – zum Beispiel in der Rechts- oder Compliance-Abteilung – eingerichtet wird, welche die Beauftrager entweder dahingehend berät, welcher Vertrag für den beabsichtigten Fremdpersonaleinsatz der Richtige ist, oder wie ein Fremdpersonaleinsatz operativ umgestaltet werden kann, damit dieser „werkvertragsfähig“ ist.
Der zweite notwendige Schritt der Implementierung des Beauftragungsprozesses ist die verpflichtende, revolvierende Schulung aller Risikoeigner in Bezug auf die Abgrenzungskritierien von Werk-/ Dienstverträgen einerseits und Arbeitnehmerüberlassungsverträgen andererseits. Diese Schulungen sollten dadurch flankiert werden, dass den Beauftragern Prüfhilfen (Checkliste zur Prüfung des Einzelfalls) und Arbeitshilfen (Musterverträge, Beauftragungsvorlagen etc.) zur Verfügung gestellt werden.
An dieser Stelle muss entschieden werden, ob die Enthaftung der Geschäftsführung für fehlerhafte Werk-/ Dienstverträge durch eine „Übertragung von Unternehmerpflichten“ oder durch ein dauerhaftes juristisches Monitoring jedes Fremdpersonaleinsatzes sichergestellt werden soll. Bei der „Übertragung der Unternehmerpflichten“ werden die Pflichten zur rechtskonformen Beauftragung von Fremdpersonal ausdrücklich an die Beauftrager delegiert, die somit straf- und bußrechtlich für fehlerhafte Beauftragungen haften können. Durch diese Delegationen der Unternehmerpflichten würde die Geschäftsführung des Unternehmens nur noch in Form einer sekundären Verantwortung für fehlerhafte Beauftragungen haften. Eine solche Haftung der Geschäftsführung kann dadurch vermieden werden, dass sie sich in Folge der Delegation revisionsfest davon überzeugt, ob der Beauftragungsprozess eingehalten wird.
Beim alternativen Compliance-Konzept, dem juristischen Monitoring der Fremdpersonaleinsätze, muss in einer von den jeweiligen Beauftragern personenverschiedenen Monitoring-Einheit im Unternehmen (zum Beispiel im Einkauf) jeder Einsatz von Fremdpersonal fortlaufend geprüft und überwacht werden. Dieser Monitoring-Prozess ist aufwendiger als die Übertragung von Unternehmerpflichten und birgt auch ein nicht unerhebliches Konfliktpotential zwischen Beauftrager und der Monitoring-Einheit mit sich, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Werkvertragsfähigkeit eines Projekts kommt. Ausgelöst darf die Beauftragung als Werk-/ Dienstvertrag aber zwingend erst dann, wenn sie von der Monitoring-Einheit freigegeben wurde.
Letztlich ist für jedes Unternehmen insbesondere unter Berücksichtigung der Unternehmensgröße und -kultur gesondert zu prüfen, welches der beiden Konzepte zur Enthaftung der Geschäftsführung das Geeignetere ist.
3. Gegenwartsbetrachtung: Identifikation und Auflösung kritischer Bestandsfälle
Schulungen und Beauftragungsrichtlinien führen unweigerlich zu einem Erkenntnisgewinn der für Beauftragung von Fremdpersonal verantwortlichen Personen im Unternehmen. Denn dadurch werden sie in die Lage versetzt, eine andauernde Fremdpersonalbeauftragung, bei der möglicherweise zuvor „nur“ ein Störgefühl bestand, nun als kritische Beauftragung positiv zu erkennen. Diese als kritisch erkannten Bestandsfälle nicht zu prüfen und ggf. zu stoppen, würde ebenfalls ein empfindliches Strafbarkeitsrisiko begründen, weil auch für die Bestandsfälle Sozialversicherungsbeiträge im Nachhinein abgeführt werden müssen. Zur operativ schonenden Umstellung nicht werkvertragskonformer Fremdpersonalbeauftragungen kann ein externer Prüfer eingeschaltet werden, der den Erkenntnisgewinn unternehmensintern verlangsamt. Würden die Bestandsfälle unternehmensintern geprüft, müssten die als kritisch identifizierten Bestandsfälle sofort gestoppt werden, was an neuralgischen Punkten im Unternehmen zu nicht auffangbaren Ausfällen führen könnte (zum Beispiel Werksschutz, IT-Support etc.). Der verlangsamte Erkenntnisgewinn im Unternehmen ermöglicht hingegen eine längere Umstellungsphase. Nach Umstellung der kritischen Bestandsfälle, ist entsprechend den nachfolgenden Ausführungen zu beurteilen, ob und in welcher Höhe Sozialversicherungsbeiträge nachträglich abzuführen sind.
4. Vergangenheitsbetrachtung: Sozialversicherungsrechtliche Selbstanzeige?
Insbesondere wenn sich bei der Einführung des Compliance-Prozesses sowie der Analyse der Bestandsfälle vermehrt Störfälle zeigen, sollten auch bereits abgeschlossene Fremdpersonalbeauftragungen (Altfälle) geprüft werden, ob etwaige nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge im verjährungsrelevanten Zeitraum (vier Jahre) nachträglich korrigiert werden müssen. Je nach Größe des Unternehmens kann die Identifikation solcher kritischen Altfälle zunächst uferlos erscheinen. Um den Identifikationsprozess handhabbar zu gestalten, akzeptieren daher die Prüfbehörden in der Regel jedoch, wenn Risikocluster gebildet werden und aus diesen Clustern heraus stichprobenartig geprüft wird. Die Höhe der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge kann anhand bestimmter Schlüssel dann hochgerechnet werden. Bei diesem Vorgehen ist jedoch zwingend vor Beginn der Identifikationsphase eine Verständigung mit der Deutschen Rentenversicherung und der zuständigen Staatsanwaltschaft herzustellen, was die Vorgehensweise der internen Ermittlung und die Berechnungsmethode der etwaigen Nachverbeitragungen anbelangt. Durch eine solche Vorab-Verständigung kann in aller Regel das Risiko einer Strafverfolgung erheblich eingeschränkt bis nahezu ausgeschlossen werden.
5. Fazit
Zur Umstellung einer bislang ungesteuerten Beauftragung von Fremdpersonal hin zu einem rechtssicheren Beauftragungsprozess kann nur eindringlich geraten werden. Es jedoch nicht damit getan, Neubeauftragungen rechtssicher zu gestalten. Erforderlich ist wegen des Erkenntnisgewinnes hinsichtlich der relevanten Abgrenzungskriterien vielmehr eine Gesamtlösung in dem Sinne, dass auch Bestands- und Altfälle auf den Prüfstand geraten und entsprechend aufgelöst werden. Nur so kann das Strafbarkeitsrisiko für die Geschäftsführung hinreichend eingegrenzt werden.