Großer Nachholbedarf bei internen Hinweisgebersystemen

Whistleblowing Report 2019

Rechtliche Anforderungen und Best Practices

Hinweisgeber helfen Unternehmen dabei, interne Missstände aufzudecken, Risiken zu minimieren und Strafzahlungen sowie Sanktionen zu vermeiden. Dennoch haben bisher nur zehn EU-Mitgliedsstaaten Gesetze für den Schutz von Hinweisgebern erlassen – Deutschland zählt nicht dazu. Nun hat die deutsche Regierung bis 2021 Zeit, die neue EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern in nationales Recht umzusetzen. Der Gesetzgeber hat sich Zeit gelassen, viele deutsche Unternehmen sind jedoch bereits aktiv geworden.

Fast die Hälfte der Unternehmen waren 2018 von Missständen betroffen

Im Rahmen einer aktuellen Studie der HTW Chur in Kooperation mit der EQS Group wurden Anfang 2019 unter anderem 352 deutsche Unternehmen zum Thema interne Meldestellen befragt, davon rund ein Drittel kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit 20 bis 249 Mitarbeitern, der Rest Großunternehmen mit 250 und mehr Mitarbeitern. Hierbei zeigt sich: 43 % der befragten deutschen Unternehmen hatten 2018 Fälle von illegalem oder unethischem Verhalten zu verzeichnen.

Kein Wunder also, dass viele Unternehmen bereits ohne gesetzliche Vorgabe Meldestellen eingerichtet haben, um möglichst frühzeitig von solchen Missständen Kenntnis zu erlangen. Rund 55 % der befragten Unternehmen in Deutschland verfügen bereits über interne Hinweiskanäle – in Großbritannien und der Schweiz sind es schon 65 %. Gut ein Drittel der befragten deutschen Unternehmen, die bisher noch kein Meldesystem haben, diskutieren oder planen eine Meldestelle einzuführen.

Ausgestaltung der Hinweisgeberkanäle

Die Mehrzahl der deutschen Unternehmen mit Meldestelle setzt noch auf allgemeine Kommunikationswege wie E-Mail (79 %), persönliche Besuche (76 %) oder Telefon (71 %), um Hinweise entgegenzunehmen. Das Problem bei diesen klassischen Kanälen ist, dass die Anonymität des Hinweisgebers nicht garantiert werden kann. Volle Anonymität bieten beispielsweise webbasierte Hinweisgebersysteme, die aber bei deutschen Unternehmen mit 24 % noch eher die Ausnahme darstellen. In der Regel setzen Unternehmen nicht nur auf einen Kanal: 72 % der deutschen Firmen bieten ihren Hinweisgebern mindestens drei Meldekanäle an, um konkrete oder vermutete Missstände zu melden. Rund die Hälfte der Unternehmen öffnet ihre Kanäle auch für Kunden und Lieferanten, nur ein Fünftel lässt Meldungen aus der breiten Öffentlichkeit zu.

Interne und externe Kommunikation

Ein wichtiger Punkt ist erfahrungsgemäß die Kommunikation der Hinweisgebersysteme. Nur wenn die Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten regelmäßig darauf aufmerksam gemacht werden, können Meldestellen ihre Aufgabe als Risikofrühwarnsystem wirkungsvoll erfüllen. Die Studie zeigt die gängigsten Kommunikationswege für das Hinweisgebersystem auf: Die direkten Vorgesetzten, das Topmanagement sowie das Intranet. 70 % der deutschen Unternehmen mit Meldestelle verfügen zudem über eine separate Richtlinie oder Guideline zum Thema. Positiv ist außerdem, dass deutsche Unternehmen regelmäßig zu ihrem Hinweisgebersystem kommunizieren: Rund drei Viertel der Firmen mindestens jährlich, die Hälfte sogar halbjährlich oder quartalsweise.

Mehr Meldungen über spezialisierte Kanäle

Bevor Unternehmen Meldestellen einrichten, besteht häufig Unsicherheit über die zu erwartende Anzahl, Art und Relevanz der eingehenden Hinweise. Die Studie gibt Antworten: Über alle untersuchten Länder hinweg (Deutschland, Schweiz, Frankreich, Großbritannien) hat im Schnitt jedes Unternehmen 52 Hinweise im Jahr 2018 erhalten, lediglich rund ein Drittel gar keine Meldung. Sogar bei jedem zweiten KMU ging 2018 mindestens eine Meldung ein. Generell gilt: Je größer ein Unternehmen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Meldungen eingehen.

Die statistische Analyse zeigt darüber hinaus, dass spezialisierte Kanäle wie das webbasierte Meldesystem ein Treiber für die Anzahl der Hinweise sind: Unternehmen mit solchen Meldestellen erhalten mehr Meldungen als Unternehmen, die auf generelle Kanäle wie E-Mail oder Telefon setzen.

Eine Flut an missbräuchlichen Meldungen müssen Unternehmen nicht fürchten. Nur gut 10 % der eingegangenen Meldungen stufen deutsche Firmen als missbräuchlich ein. Dabei hat die Möglichkeit, anonym Hinweise abzugeben, keinen Einfluss auf diesen Anteil. Rund die Hälfte der Meldungen weist auf einen gehaltvollen, Compliance-relevanten Missstand hin. Die übrigen 40 % sind lediglich aus Compliance-Sicht nicht relevant, weisen aber in der Regel auf andere interne Probleme hin.

Anonymität als bedeutender Faktor

Über 60 % der Unternehmen mit Meldestelle lassen anonyme Meldungen zu. Diese Möglichkeit wird von den Hinweisgebern auch gern genutzt: Bei den Unternehmen, die anonyme Meldungen ermöglichen, gingen 58 % der Erstmeldungen in anonymer Form ein. Bei mehr als einem Drittel der anonymen Erstmeldungen (38 %) wird im Verlauf des Bearbeitungsprozesses die Identität des Hinweisgebers bekannt – entweder aus freier Entscheidung des Hinweisgebers oder aufgrund mangelnder Anonymität des Meldekanals. Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, schützen webbasierte Hinweisgebersysteme die Anonymität deutlich zuverlässiger als andere Meldekanäle.

Finanzieller Nutzen der Meldesysteme

Alle befragten Unternehmen, die im vergangenen Jahr einen finanziellen Schaden durch Compliance-Vorfälle erlitten haben, bestätigen, dass sie einen Teil dieses Gesamtschadens dank der Meldestelle aufdecken konnten. Gut ein Drittel der untersuchten deutschen Firmen konnten mehr als 60 % des Gesamtschadens dank der Meldestelle aufdecken. Bei 22 % der deutschen Unternehmen lag der höchste aufgedeckte finanzielle Schadensfall 2018 zwischen 10.000 und 99.999 €, bei weiteren 17 % sogar über 100.000 €. Neben diesen finanziellen Vorteilen führen deutsche Firmen als nicht-monetäre Vorteile verbesserte Prozesse und stärkeres integres Verhalten, eine geringere Anzahl von Missständen sowie ein gestärktes Image als ethisches und integres Unternehmen an.

Fazit

Die Ergebnisse zeigen: Interne Meldekanäle helfen Unternehmen, konkrete Missstände mit finanziellen Folgeschäden aufzudecken und abzustellen. Daher sind viele Unternehmen dem deutschen Gesetzgeber zuvorgekommen und haben bereits ohne gesetzliche Vorgabe Hinweisgebersysteme eingerichtet. Bei der Ausgestaltung zeigt sich zum Teil jedoch noch Verbesserungspotenzial: Nur eine Minderheit der deutschen Unternehmen bietet bereits spezialisierte Meldekanäle an – obwohl die Statistik verdeutlicht, dass die Bereitstellung solcher Kanäle die Zahl der Meldungen erhöht. Ferner tun Unternehmen, die bisher noch gar keine Meldekanäle eingerichtet haben, gut daran, sich im Kontext der EU-Richtlinie frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen.

 

 

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