Nachhaltigkeit gewinnt sowohl in der Gesellschaft als auch in der regulatorischen Landschaft an Bedeutung. Neue Regelungen, insbesondere die „Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)“ und die EU-Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852, stellen Finanzmarktteilnehmer vor neue Herausforderungen.
Erste Anschuldigungen des Greenwashings gegen Finanzinstitute veranlassen Aufsichtsbehörden, solche Verstöße verstärkt zu überwachen. Das wirft viele Fragen auf, zum Beispiel, wie ESG-Compliance die traditionelle Kapitalmarkt-Compliance beeinflusst und wie diese Entwicklungen das Anlegerverhalten beeinflussen.
In den letzten Jahrzehnten basierten Anlageentscheidungen hauptsächlich auf Sicherheit, Rendite und Liquidität des investierten Kapitals. In jüngerer Zeit gibt es jedoch eine deutliche Entwicklung in den Anlagestrategien. Führende institutionelle Investoren, wie der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock, erkennen Nachhaltigkeit als neuen Standard für Investitionen an. Der Bereich „Green Finance“ wächst schnell im Segment der Unternehmensfinanzierung. Laut der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) machten nachhaltige Investitionen im Jahr 2021 75 Prozent aus. Eine zunehmende Zahl privater und institutioneller Anleger möchte, dass ihre Kapitalanlagen zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen. Diese soll Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards erfüllen und mit ethischen Prinzipien übereinstimmen. Unter dem Begriff „Environment, Social, Governance (ESG)“ rücken Nachhaltigkeitsthemen also immer mehr in den Fokus des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts auf verschiedenen Ebenen.
Eine Studie von Union Investment aus dem Jahr 2022 zeigt, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit weit über private Haushalte hinausgeht. Nicht nur Großinvestoren, sondern auch Privatkunden haben ein starkes Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten bei ihrer Primärbank. Etwa zwei Drittel aller Befragten wünschen, dass ihre Hauptbank ihr Nachhaltigkeitsengagement verstärkt. Bei den 16- bis 24-Jährigen steigt dieser Anteil auf 77 Prozent. Für mehr als die Hälfte könnte ein Verstoß gegen Nachhaltigkeitsprinzipien, wie Greenwashing, sogar einen ausreichenden Grund darstellen, die Hauptbank zu wechseln. Diese Entwicklung unterstreicht die Notwendigkeit neuer Regeln in der Werbung mit Umweltaspekten.
Greenwashing und aktuelle Rechtsprechung
Greenwashing liegt vor, wenn ein Unternehmen durch unwahre, verwirrende oder irreführende Angaben über seine Umweltfreundlichkeit oder die seiner Produkte täuscht. Das Europäische Parlament hat am 17. Januar 2024 endgültig eine Richtlinie genehmigt, die die Produktkennzeichnung verbessern und irreführende Umweltaussagen, also Greenwashing, bekämpfen soll. Diese Richtlinie nimmt bestimmte problematische Geschäftspraktiken, die sich auf Greenwashing und geplante Obsoleszenz beziehen, in die EU-Liste der unzulässigen Geschäftspraktiken auf.
Die neuen Regelungen zielen darauf ab, die Produktkennzeichnung durch das Verbot allgemeiner Umweltaussagen wie „umweltfreundlich“, „natürlich“, „biologisch abbaubar“, „klimaneutral“ oder „öko“ ohne konkrete Belege transparenter und vertrauenswürdiger zu machen. Sie regeln auch den Einsatz von Nachhaltigkeitssiegeln. Zukünftig sind in der EU nur noch Siegel erlaubt, die auf offiziellen Zertifizierungssystemen beruhen oder von staatlichen Institutionen eingeführt wurden. Nach der Richtlinie sind zudem Aussagen über neutrale, reduzierte oder positive Umweltauswirkungen von Produkten durch Emissionskompensationssysteme unzulässig.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Vorschriften ist es, bei Herstellern und Verbrauchern ein stärkeres Bewusstsein für die Langlebigkeit von Produkten zu schaffen. Garantieinformationen müssen deutlicher hervorgehoben werden, und es wird ein neues, einheitliches Etikett für Produkte mit verlängerter Garantiezeit eingeführt.
Die Bestimmungen verbieten auch unbegründete Aussagen über die Produktlebensdauer, zum Beispiel die Behauptung, eine Waschmaschine halte 5.000 Waschzyklen, wenn dies nicht der Realität entspricht. Sie untersagen ferner den Aufruf zum vorzeitigen Ersatz von Verbrauchsgütern, wie es oft bei Druckertinte der Fall ist, oder die Bewerbung von nicht reparierbaren Produkten als reparierbar.
Die Richtlinie markiert einen wichtigen Schritt im Kampf gegen Verstöße durch Greenwashing, auch in der Kapitalmarktbranche.
Taxonomieverordnung
Ein weiterer wichtiger Meilenstein bei der Schaffung regulatorischer Rahmenbedingungen, insbesondere für die Finanzbranche, ist die Taxonomie-Verordnung. Dieses zentrale Projekt der EU zielt darauf ab, die Ziele von Sustainable Finance zu erreichen. Sie schafft Transparenz über nachhaltige Investitionen. Im Mittelpunkt steht das Ziel, gemeinsame Sustainable Finance-Standards zu etablieren, zum Beispiel beim künftigen EU Green Bond Standard (EU GBS) oder bei einem Sustainable Finance Eco-Label. Die Taxonomie dient als Klassifizierungssystem und technisches Prüfinstrument, um besonders ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu identifizieren. Dieses Instrument ermöglicht es Anlegern, schnell zu überprüfen, ob und in welchem Umfang sie in Projekte oder Wirtschaftstätigkeiten investieren, die eine deutlich positive Wirkung auf Klima und Umwelt haben. Die Taxonomie ist als ambitionierte Benchmark entworfen, um die Transparenz zu verbessern. Sie ist kein Mindeststandard, und wirtschaftliche Aktivitäten oder Investitionen, die nicht den Taxonomie-Kriterien entsprechen, sollen weder verboten noch faktisch unmöglich gemacht werden. Das Ziel der Taxonomie ist es nicht, Finanzierungsmöglichkeiten einzuschränken, sondern neue Optionen für nachhaltige Investitionen zu eröffnen.
Deutsche Sustainable-Finance-Strategie
Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es verschiedene Initiativen im Bereich Sustainable Finance. Alle haben das Ziel, private Gelder in nachhaltigere Wirtschaftsaktivitäten umzulenken. Die Risiken für die Nachhaltigkeit, verursacht durch Faktoren wie den Klimawandel, den Übergang zu einer Wirtschaft mit niedrigen Treibhausgasemissionen, den Verlust von Naturkapital, Menschenrechtsverletzungen oder Pandemien, stellen finanzielle Bedrohungen für die Realwirtschaft und, direkt oder indirekt, für die Finanzbranche dar. Es ist entscheidend, diese Risiken zu erkennen und in das Risikomanagement einzubeziehen. Nur in einem stabilen Finanzsystem kann genügend Kapital in nachhaltige Investitionen fließen. Dies ist Voraussetzung für eine effiziente Transformation der Realwirtschaft.
Auch die Bundesregierung hat auf diese Herausforderungen mit einer Strategie für die Transformation zu einer klimaneutralen und insgesamt nachhaltigeren Wirtschaft reagiert. Dabei ist gezieltes Kapital vonnöten. Deutschland profitiert von einem vielfältigen Finanzsystem, das ausgezeichnete Voraussetzungen für den internationalen Wettbewerb schafft. Charakteristisch ist das Drei-Säulen-Modell, bestehend aus Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen. Eine hohe Dichte an Kreditinstituten legt neben der Gewinnorientierung Wert auf Nachhaltigkeit, das Gemeinwohl und die Unterstützung ihrer Mitglieder. Zudem ist die KfW Bankengruppe einer der weltweit führenden Emittenten von Green Bonds. Auch die Versicherungsbranche engagiert sich aktiv in diesem Bereich.
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung gründet auf der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Diese umfasst 17 globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die 2015 von den Staats- und Regierungschefs der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in New York festgelegt wurden. Die Agenda 2030 fordert alle Länder zu nachhaltigem Handeln in Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft auf. Die 17 SDGs decken eine Vielzahl miteinander verbundener Themen ab, die bis 2030 erreicht werden sollen, einschließlich ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsaspekte.
Die 17 SDGs und ihre 169 Unterziele bilden einen umfassenden Rahmen. Jedes Ziel soll in Verbindung mit den anderen verfolgt werden, ohne diese negativ zu beeinflussen. Beispiele sind die Beendigung von Armut (SDG 1), Gesundheit und Wohlbefinden (SDG 3), nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit (SDG 8), die Verringerung von Ungleichheiten (SDG 10), nachhaltiger Konsum und Produktion (SDG 12), Maßnahmen zum Klimaschutz (SDG 13) und der Schutz biologischer Vielfalt (SDG 14 und 15).
Ein Hauptziel ist es, Investoren zu ermöglichen, Anlageentscheidungen im Einklang mit ihren Nachhaltigkeitsvorstellungen zu treffen. Dafür benötigen sie zugängliche und verständliche Informationen und Schutz vor Täuschungen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) setzt sich für Klarheit und Transparenz ein, damit Verbraucher eigenständige und fundierte Entscheidungen treffen können.
Anleger sollen Investitionsentscheidungen treffen können, die ihren Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen. Dazu sind vollständige und verständliche Informationen erforderlich. Besonders bei Kapitalmarktfinanzierungen ist es wichtig, dass Unternehmensinformationen vergleichbar und qualitätsgesichert sind. Die BaFin betont die Notwendigkeit von Transparenz, damit alle Beteiligten, einschließlich Stakeholder und Arbeitnehmer, auf Basis relevanter und verlässlicher Informationen informierte Entscheidungen treffen können. Auch bei Bankkrediten sind solche Unternehmensinformationen notwendig. Im Fokus steht, wie sich Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen und ihre Aktivitäten entlang der Lieferkette auswirken.
Auswirkungen auf die Kapitalmarkt-Branche
Die Analyse zeigt, dass zukunftsorientierte Banken eine nachhaltige Geschäftsstrategie verfolgen sollten. Trotzdem werfen Vorwürfe des Greenwashings gegen Institutionen wie DWS und Goldman Sachs Fragen auf, inwiefern Banken Nachhaltigkeit tatsächlich umsetzen. Diese Vorwürfe betreffen vor allem mögliche Verstöße gegen Transparenzvorschriften. Sie verdeutlichen, dass Finanzmarktaufsichtsbehörden zunehmend Greenwashing untersuchen, während die Interaktion zwischen SFDR und der Taxonomie-Verordnung neue Herausforderungen für die Finanzbranche schafft. Es muss geklärt werden, wie sich der innovative Nachhaltigkeitsansatz auf die Compliance im Kapitalmarkt auswirkt.
Während Kapitalmarkt-Compliance primär Anlegerschutz und Kapitalmarktintegrität fokussiert, einschließlich der Sicherstellung, dass Anleger über Risiken informiert sind, verfolgt der Nachhaltigkeitsansatz das Ziel, das Investitionsverhalten zu ändern und unterstützt unter anderem die Erreichung der EU-Klimaziele.
Um Fehlinformationen bei Investitionsentscheidungen zu verhindern, sind angemessene Maßnahmen notwendig, die die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger berücksichtigen. Aus den Schutzzielen der aktuellen Kapitalmarktregulierung und den Anforderungen an Wertpapierdienstleistungsunternehmen ergibt sich, dass Nachhaltigkeitsbestimmungen eine zusätzliche Dimension zur bestehenden Kapitalmarktregulierung hinzufügen.
Die dargestellten Veränderungen erfordern von der Compliance-Abteilung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, Nachhaltigkeitsfaktoren in ihr Compliance-Management-System zu integrieren. Ein Hauptziel ist es, Anschuldigungen des Greenwashings, wie sie gegen DWS erhoben wurden, zu vermeiden. Dies erreicht man, indem die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens eng mit der ESG-Compliance-Kultur verknüpft wird. Präventive Maßnahmen eines Compliance-Management-Systems, wie Kommunikation, Mitarbeiterschulungen, Verhaltensrichtlinien oder Überwachungs- und Kontrollprozesse, insbesondere in der Produkt-Governance, zielen darauf ab, Nachhaltigkeitsanforderungen umzusetzen und kontinuierlich einzuhalten.
Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien
Für Unternehmen ist es entscheidend, eine maßgeschneiderte Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Die Strategie kann verschiedene Ansätze umfassen, von einem „Best-in-Class“-Ansatz bis zur Erfüllung regulatorischer Nachhaltigkeitsvorschriften. Diese Strategie sollte in einer schriftlichen Nachhaltigkeits-Policy festgehalten werden. Sie erklärt, wie das Unternehmen Nachhaltigkeit definiert und welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen zu Geschäftspartnern hat. Die Etablierung und Umsetzung einer solchen Policy fördert die Entwicklung einer firmenspezifischen ESG-Kultur. So muss eine Kapitalverwaltungsgesellschaft Maßnahmen ergreifen, um ihre eigenen Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen und diese auf ihre Vertragspartner auszuweiten. Ein Ergebnis könnte sein, dass die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien bei der internen Freigabe und beim Onboarding von Brokern ein entscheidender Faktor wird. Dies entspräche auch den Anforderungen des Artikel 7 Absatz 2 lit. d) des Entwurfs der EU-Verordnung zur „Corporate Sustainability Due Diligence“, sofern diese auf die Kapitalverwaltungsgesellschaft anwendbar ist.
Für die Leitungsebene von Wertpapierdienstleistungsunternehmen könnte es, sofern arbeitsrechtlich zulässig, eine Option sein, bevorzugt in nachhaltige Finanzprodukte zu investieren und sich einer freiwilligen Verpflichtungserklärung zu unterziehen. Eine solche Initiative würde das Vertrauen in das Unternehmen und seine Produkte stärken („Tone from the Top“) und könnte als Motivation für andere Mitarbeiter dienen, ebenfalls nachhaltige Anlageformen zu wählen.
Die Qualifikation der Mitarbeiter bleibt ein zentrales Thema. Im Rahmen des Compliance-Management-Systems eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens muss gewährleistet sein, dass das Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit gut aufgestellt ist und über qualifiziertes Personal verfügt. Die Unternehmensführung muss sicherstellen, dass die Mitarbeiter über Nachhaltigkeitsanforderungen informiert und entsprechend geschult werden.
Bezüglich der regulatorischen Rahmenbedingungen gegen Greenwashing ist der Fall des Fondsmanagers DWS bemerkenswert, der trotz der Bekräftigung der Bedeutung nachhaltiger Finanzprodukte des Greenwashings beschuldigt wurde. Dieser Vorwurf hatte erhebliche Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens. Der Aktienkurs von DWS fiel seit dem Bekanntwerden des Vorwurfs um mehr als 10 Prozent und erholte sich erst nach einiger Zeit. Dieses Beispiel zeigt, dass ein öffentliches Bekenntnis zur Nachhaltigkeit nicht ausreicht. Innerhalb des Unternehmens muss ein angemessenes Nachhaltigkeitsbewusstsein geschaffen werden, um eine entsprechende Compliance-Kultur zu etablieren. Es ist essenziell, dass die Compliance-Funktion als zweite Verteidigungslinie neben Überprüfungs- und Folgeprozessen auch angemessene Ressourcen für Mitarbeiterschulungen, IT-Infrastruktur und Datenbereitstellung bereitstellt.
Strafrechtliche Risiken des Greenwashings gegenüber Investoren
Ende Mai 2022 geriet eine Razzia bei der an der Börse gelisteten DWS Group in den Fokus. Der Grund war der Verdacht auf Betrug im Bereich der Kapitalanlagen durch Greenwashing. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf § 264a StGB, der bisher kaum praktische Bedeutung hatte. Mit der zunehmenden Ausrichtung des Finanzmarktes auf Nachhaltigkeit gewinnt dieser Paragraf an Bedeutung.
Bisher war die gerichtliche Auffassung vorherrschend, dass der Betrug gemäß § 263 StGB Vorrang hat und § 264a StGB eine untergeordnete Rolle spielt. Strafanzeigen im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Kapitalanlagen werden in der Regel nur bei Vermögensschäden durch bewusste Fehlinformationen gestellt, die einen Irrtum verursacht haben. Der § 264a StGB setzt jedoch früher an und schützt nicht nur die Integrität des Kapitalmarktes, sondern auch die Vermögensdispositionsfreiheit der Anleger. Für die Erfüllung des Tatbestandes ist kein tatsächlicher vermögensschädigender Abschluss einer Kapitalanlage notwendig. Auch die Wertigkeit der Anlage ist für die Strafbarkeit irrelevant. § 264a StGB ahndet das Verhalten, das durch falsche Informationen über entscheidende Aspekte der Kapitalanlage einen breiteren Kreis von Anlegern zu einer Entscheidung bewegt, die sie sonst nicht getroffen hätten. Wie der Bundesgerichtshof kürzlich klargestellt hat, betrifft die Strafbarkeit nicht nur irreführende Angaben bei der Emission von Kapitalanlagen (Primärmarkt), sondern auch bei späteren Handlungen auf dem Aktienmarkt (Sekundärmarkt).
Strafbar sind nach § 264a StGB insbesondere Falschangaben in Prospekten gegenüber einem größeren Personenkreis, die im Zusammenhang mit dem Handel von Wertpapieren, Bezugsrechten oder beim Kauf beziehungsweise der Aufstockung von Unternehmensbeteiligungen stehen. Wesentlich für die Strafbarkeit ist, dass diese Informationen entscheidend für die Entscheidungsfindung zum Erwerb oder der Aufwertung der Kapitalanlage sein müssen.
Seit der Ausrichtung des Kapitalanlagemarktes auf Nachhaltigkeit lässt sich diese Einschränkung nicht mehr aufrechterhalten. Neben den klassischen wertbildenden Faktoren wie Sicherheit und Rendite ist die Nachhaltigkeit einer Kapitalanlage nun ein weiterer entscheidender Faktor. Angaben zur Nachhaltigkeit einer Kapitalanlage sind nicht mehr nur Zusatzinformationen, sondern spielen eine entscheidende Rolle bei der Anlageentscheidung.
Compliance
Führt eine Person im Namen eines Unternehmens eine Tat aus, kann dies unter bestimmten Bedingungen zu einer eigenständigen Verfallsanordnung nach § 29a des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) oder einer Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG führen. Dabei können die Bemühungen des Unternehmens um Selbstreinigung nach der Aufdeckung des Delikts, wie die Einführung umfassender Compliance-Maßnahmen und eines Whistleblowing-Systems, bei der Festlegung der Unternehmensgeldbuße relevant sein. Korrekte Aussagen zu wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekten sind erforderlich, da andernfalls der Emittent einer Kapitalanlage ein beträchtliches finanzielles und strafrechtliches Risiko trägt.
Konklusion
Der Fall der DWS Group zeigt, dass Compliance-Maßnahmen bei Finanzmarktakteuren frühzeitig beginnen müssen. Zudem zeigt sich, dass die Einbindung von ESG-Kriterien in die Kapitalmarkt-Compliance eine tiefgreifende Veränderung in der Anlagephilosophie und -strategie darstellt, die über traditionelle Ansätze weit hinausgeht. Die wachsende Fokussierung auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren spiegelt sich nicht nur in regulatorischen Vorgaben wider, sondern auch im Verhalten der Anleger.
Der Paradigmenwechsel hin zur ESG-Konformität erfordert eine Neuausrichtung der Compliance-Strategien von Unternehmen und Finanzinstitutionen. Dies wird durch die Einführung neuer Rechtsnormen und Vorschriften auf EU-Ebene unterstrichen, die strengere Kontrollen und mehr Transparenz bei Nachhaltigkeitsaussagen fordern. Die jüngsten Entwicklungen, wie die Razzia bei der DWS Group, unterstreichen, dass die Einhaltung von ESG-Kriterien nicht mehr nur eine optionale Zusatzleistung ist, sondern eine wesentliche Anforderung, um rechtliche Risiken und Reputationsverluste zu vermeiden.
Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung für die Kapitalmarkt-Compliance: die Notwendigkeit, ESG-bezogene Risiken und Chancen in die Gesamtbewertung von Investitionen einzubeziehen. Dies bedeutet, dass Unternehmen und Finanzinstitute ihre Due-Diligence-Prozesse und Risikomanagementsysteme anpassen müssen, um sowohl gesetzlichen Anforderungen als auch den Erwartungen der Anleger gerecht zu werden. Der Trend zu mehr Transparenz und Verantwortung wird sich voraussichtlich fortsetzen, da Anleger zunehmend Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil ihrer Anlageentscheidungen sehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ESG: Im Dickicht von Begriffen und Regulatorik. Das Heft können Sie hier bestellen.