Die vom Gericht aufgestellten Grundsätze dieser richtungsweisenden Entscheidung sind jedoch deutlich differenzierter, als die abweisenden Entscheidungen auf den ersten Blick vermuten lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat einige Zweifelsfragen geklärt, die seit Jahren bundesweit Gerichte beschäftigt haben. Leider verbleiben auch nach dieser Entscheidung für Unternehmen und deren Anwälte weiter erhebliche Rechtsunsicherheiten.
Am vergangenen Donnerstag fällte das Bundesverfassungsgericht die mit großer Spannung erwartete Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden der VW AG sowie deren Rechtsanwaltskanzlei Jones Day im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Kanzleiräume. Im Kern ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Anwaltsunterlagen beschlagnahmt werden dürfen, die im Rahmen von Internal Investigations erstellte wurden.
Wesentlicher Inhalt der Entscheidung
Das Gericht nahm keine der eingelegten Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung in der Sache an. Das Bundesverfassungsgericht macht in seinem Beschluss deutlich, dass die bei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen aus den Internal Investigations im Auftrag der VW AG nicht dem Schutzbereich des § 97 StPO unterfallen. Dies begründet das Gericht damit, dass die VW AG in dem von der Staatsanwaltschaft München geführten Ermittlungsverfahren weder Nebenbeteiligte sei, noch objektive Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine solche Nebenbeteiligung zu erwarten sei.
Das Bundesverfassungsgericht entschied ferner, dass sich die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day aufgrund ihres Hauptverwaltungssitzes in den USA gar nicht erst auf deutsche Grundrechte berufen könne. Das können nur solche juristischen Personen, deren Hauptverwaltungssitz sich in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befindet. Dass Jones Day einen Kanzleistandort in München unterhält, genügt aus Sicht des Gerichts nicht.
Folgen der Entscheidung in dem konkreten (Sonder-)Fall
Im konkreten Fall führt dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dazu, dass die Ermittlungsbehörden die in den Räumen der Kanzlei Jones Day sichergestellten Daten und Unterlagen nunmehr auswerten und in ihre Ermittlungen einbeziehen dürfen.
Dabei ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht hier über einen Sonderfall zu entscheiden hatte, in dem die Muttergesellschaft, die VW AG, eine Rechtsanwaltskanzlei zur Aufklärung von eventuell strafrechtlich relevanten Vorgängen bei einer Tochtergesellschaft, der Audi AG, beauftragt hatte. Die VW AG war und ist in dem gegen die Audi AG und deren Mitarbeiter geführten Strafverfahren der Staatsanwaltschaft München nicht involviert.
Es ist insofern zu berücksichtigen, dass die durch diese Maßnahmen gewonnenen Beweismittel, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich feststellt, in dem von der Staatsanwaltschaft Braunschweig geführten Verfahren gegen die VW AG bzw. deren Mitarbeiter aufgrund der Regelung des § 160a Abs. 1 S. 2 StPO nicht verwertbar sind. Auch wäre das Bundesverfassungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen, wenn die interne Untersuchung der Kanzlei Jones Day von der Audi AG in Auftrag gegeben worden wäre.
Allgemeine Auswirkungen der Entscheidung
Diese Entscheidung hat zudem erhebliche Auswirkungen über diesen Fall hinaus.
Begrüßenswerter Weise hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass immer dann, wenn ein Verfahren gegen das die Rechtsanwaltskanzlei beauftragende Unternehmen geführt wird, ein Beschlagnahmeschutz für Rechtsanwaltsunterlagen besteht. Die insoweit in einigen Landgerichtsbezirken bestehende Schutzlosigkeit hat somit ein Ende.
Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus die Auffassung des Landgerichts München als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet, dass ein Beschlagnahmeschutz auch dann eingreift, wenn „eine zukünftige Nebenbeteiligung des Unternehmens nach objektiven Kriterien in Betracht kommt“ (2 BvR 1405/17, Rn. 92). Leider verpasst das Bundesverfassungsgericht jedoch die Möglichkeit, hier für die dringend benötigte Klarheit zu sorgen und diese „objektiven Kriterien für eine zukünftige Nebenbeteiligung“ näher zu konkretisieren. Zudem bleibt offen, ob solche objektiven Umstände dem Unternehmen selbst (sei es zu Beginn oder zum Ende der internen Aufklärung) oder der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Durchsuchungsmaßnahme bekannt sein müssen, um ein Beschlagnahmeverbot zu begründen.
Damit verbleibt es bei einem unzureichenden Schutz für Unternehmen und deren Rechtsanwälte in Konstellationen, in denen Sachverhalte intern aufgeklärt werden, die den Behörden bisher nicht bekannt sind. Weiterhin fehlt es zudem am Schutz der Vertraulichkeit dann, wenn keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Unternehmen als Nebenbeteiligte in Betracht kommt, etwa weil (noch) keine Führungskraft zum Kreis der Beschuldigten gehört.
Die Koalition hat sich vorgenommen, in dieser Legislaturperiode zu regeln, dass es sich in Ermittlungsverfahren bei einer Bußgeldbemessung positiv auswirken soll, wenn das Unternehmen den Sachverhalt intern aufgeklärt hat und zur Sachaufklärung beiträgt. Dadurch wird faktisch der Druck auf Unternehmen weiter erhöht, im Verdachtsfall interne Untersuchungsmaßnahmen anzustoßen.
Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen dieser geplanten Reform das nunmehr entstandene Spannungsfeld aufgelöst und das Schutzniveau für Unternehmen und deren Rechtsanwälte über die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus erhöht und insbesondere konkretisiert wird. Jedenfalls dürfte der geplante Verfolgungszwang gegen Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht zur vermehrten frühzeitigen Einleitung des Verfahrens auch gegen das Unternehmen und dadurch mittelbar zur Sicherung der nunmehr verfassungsrechtlich verbürgten Verfahrensrechte führen.
In der Zwischenzeit sind die Folgen dieser Entscheidung bei der Ausgestaltung von Internal Investigations zu berücksichtigen, um einen möglichst großen Schutz des beauftragenden Unternehmens sicherzustellen. Insbesondere in Konzernen kommt der Auswahl des beauftragenden Unternehmens zukünfiig entscheidende Bedeutung zu. Zudem wird im Rahmen der internen Aufklärung nicht entdeckter Vorgänge unter Beachtung der Prämissen der ergangenen Entscheidung noch stärker als bisher abgewogen werden müssen, ob und ggf. wann eine frühzeitige Information der Ermittlungsbehörden über mögliches Fehlverhalten sinnvoll erscheint.