Wie schult man richtig?

Compliance-Pädagogik Teil 1/4

Irgendwann muss sich jeder Compliance-Novize wohl oder übel vor seine Kollegen im Unternehmen stellen, um sie über das tugendhafte Verhalten im Geschäftsverkehr aufzuklären. Also, um Schulungen abzuhalten. Denn Mitarbeiter über die Compliance-Inhalte zu schulen ist eine der Kernaufgaben eines jeden Compliance Managers. Das Problem ist nur, dass die überwiegende Zahl von Compliance-Leuten sich noch aus Juristen rekrutiert. Selbst die Versuche, auch Biologen, Chemiker, Geisteswissenschaftler, BWLer oder VWLer in den Compliance-Job zu bringen ändert wenig an einer Tatsache: Die Wenigsten in der Compliance-Zunft sind begabte Pädagogen oder werden auf diese Aufgabe professionell vorbereitet.

Wie man es nicht macht

Compliance-Schulung im eigenen Unternehmen muss also eines Tages sein. Die meisten Compliance Manager machen das so: Erstens, feststellen, was die größten Risiken des Unternehmens sind. Zweitens, ein Power-Point-Dokument öffnen und, aufbauend auf der Feststellung im Punkt 1, eine Präsentation von 50 bis 70 Folien vorbereiten (lieber mehr als weniger), die die wesentlichen gesetzlichen Regelungen enthalten. Drittens, sich vor einer Gruppe von Mitarbeitern stellen und reden. Am besten die Vertriebler als Erste dran nehmen, mit denen liegt man nie falsch. Viertens, dieselben Inhalte der Schulung vor allen Mitarbeitern des Unternehmens präsentieren, auch weltweit (schließlich können doch alle Englisch). Fünftens, diese Schulung mit denselben Inhalten alle zwei Jahre als „Refresher“ durchführen. So vereinfacht dargestellt, klingt es wie ein Drehbuch zu einem Monty-Python-Film. Es macht aber auch eines deutlich: so wird keine Schulung erfolgreich. Denn schulen muss man können, eine gute Pädagogik ist eine Kunst für sich.

Was sagen die CEOs

Schlimmer noch: Die aktuelle Studie des Berufsverbands der Compliance Manager (BCM) „Wie sehen die Führungskräfte in Deutschland den Compliance Manager“ hat zutage gefördert, dass zum Beispiel die Führungskräfte mit der Qualität der Compliance-Schulungen wohl nicht ganz zufrieden sind. Ein Zitat aus der Studie: „Insbesondere die Bewertung des Bereiches „Attraktive und notwendige Schulungen“ fällt mit einer Zustimmungsquote von knapp 46 Prozent deutlich hinter den anderen Bereichen zurück. Dies ist umso erstaunlicher, als dass gerade die Bereitstellung von Schulungen neben der Erstellung von Compliance-Richtlinien als eine der Kernaufgaben von Compliance-Abteilungen aus Sicht der Compliance Manager gesehen wird.“ Nun, erwähnt werden sollte vielleicht auch, dass 31,8 Prozent der befragten Führungskräfte die Schulungskompetenz der Compliance-Abteilung negativ bewerteten. 22,7 Prozent fanden die Compliance-Schulungs-Performance offensichtlich so nichtssagend, dass sie sich jeder Aussage enthielten. Dieses Ergebnis sollte zum Nachdenken bringen, warum das so ist.

Was ist nun eine gute Compliance-Pädagogik?

Ein guter Trainer muss sich in der Psychologie des Lernens von Erwachsenen auskennen und sein Tun danach ausrichten. Er muss mit Konflikten, Hierarchien, unterschiedlichen Kulturen und Gruppen innerhalb des Unternehmens umgehen können. Er muss auch unterscheiden können, welche Inhalte in einem Webbased-Training (WBT) transportiert werden können, wo ein WBT nutzlos ist und lieber eine persönliche Ansprache der Mitarbeiter gewählt werden sollte.

Die Planung einer Compliance-Schulung

In welchem Rahmen müssen die Trainings stattfinden, damit sie das damit intendierte Ziel erreichen? Zum Beispiel hat sich die Deutsche Bank auf die Fahnen geschrieben, das ganze Unternehmen soll einen Kulturwandel durchleben. Doch angegangen wurde dieses löbliche Ziel intern offensichtlich derart falsch, dass bald Hilferufe der Deutsch-Banker die amüsierte Öffentlichkeit erreichten, sie können diese Kulturwandel-Litanei nicht mehr hören. Bekommt man einen Kulturwandel hin, wenn man den Mitarbeitern immer wieder dasselbe eintrichtert? „Wenn die Mitarbeiter sagen, sie können etwas nicht mehr hören, dann gibt es dafür lernpädagogisch gesehen zwei Erklärungen“, konstatiert Lothar Panten, Psychologe und Beratungsleiter der Beratungssozietät EVOLOG, „Zum einen, wenn man eine stete Wiederholung desselben hört, was man schon kennt, führt es bei Menschen zur Ablehnung. Zum anderen treten Lernstörungen immer dann auf, wenn zwischen dem, was gelehrt und was gelebt wird eine ständige Diskrepanz empfunden wird. Was die Erwachsenen sehr fein registrieren, dass sind die Widersprüchlichkeiten. Diese werden emotional registriert, bevor sie kognitiv registriert werden. Das führt dazu, dass der ganze Lernvorgang abgelehnt, als unpassend und geklaute Zeit empfunden wird.“ Das Thema ist dann verbrannt. Abgesehen davon erreicht man einen Kulturwandel nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums.

Was braucht man für einen Kulturwandel?

„Die Mitarbeiter werden in einem Unternehmen sozialisiert. Das sind erhebliche Vorgänge, die nicht geplant ablaufen und ohne, dass darüber gesprochen wurde oder durch ausgefeilte Lernprogramme. Mitarbeiter reagieren sehr sensibel darauf, ob das Anliegen von Compliance tatsächlich der gewollten Realität entspricht. Oder ob das Unternehmen es als ein notwendiges Übel betrachtet“, erklärt Panten. Das heißt, dass es von der Unternehmensleitung ehrlich gemeint sein soll. Auch von der bildungstheoretischen Seite wird das bestätigt: „Wertebildung kriegt man nicht allein über Schulungen hin. An dieser Stelle spielt das Informelle eine große Rolle. Es geht also nicht nur um Trainings, sondern auch um andere Lernmöglichkeiten und Anreize sich Compliance im Unternehmen anzueignen“, sagt Prof. Dr. Christiane Hof, Professorin für Erwachsenenbildung an der Goethe Universität in Frankfurt. Der Geist im Unternehmen ist es also, worauf es ankommt. Und nicht alleine die Wortgewalt von ganz oben. Das ist die erste Stufe, auf der ein gutes Training aufbauen muss. Und leider ist das ein Punkt, den der Compliance Manager nicht unter Kontrolle hat.

Die nächste Stufe ist es, zu verstehen, wie Erwachsene lernen.

„Erwachsene unterscheiden sich von Kindern dadurch, dass sie schon ein Vorwissen haben und Vorstellungen davon, wie etwas geschehen soll. Ein Trainer muss an dieses Wissen anknüpfen. Das bedeutet, dass jede Schulung teilnehmer- und erfahrungsorientiert gestaltet und mit der täglichen Arbeitspraxis verknüpft werden muss“, sagt Prof. Dr. Hof. Im Vorfeld einer Schulung ist auch der zeitliche Aspekt eine wichtige Komponente. „Wenn eine Schulung nicht ohnehin über einen längeren Zeitraum geht, dann haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, die Trainingseinheiten zu teilen“, empfiehlt Prof. Dr. Julia Rózsa, Psychologin und Leiterin der Akademie für Hochschullehre an der SRH Hochschule Heidelberg. „Zum Beispiel könnte man den erstenTeil der Schulung an einem Tag machen und den zweiten Teil an einem anderen.

Verarbeitungszeit einbauen

Dazwischen sollte eine gewisse Zeit verstreichen, so dass die Teilnehmer Gelegenheit haben, die Schulungsinhalte zu verarbeiten und in der Praxis zu testen.“ Alle Psychologen, die sich auf pädagogische Psychologie von Erwachsenen spezialisiert haben, empfehlen nachdrücklich, mit der Schulungsgruppe schon im Vorfeld in Kontakt zu treten, um mehr über ihre Probleme, ihren Arbeitsalltag und Bedürfnisse zu erfahren. Darauf sollte man dann seine Schulungsinhalte aufbauen. Das ist wesentlich für den Erfolg eines Trainings. Und es lohnt sich, dafür Zeit zu investieren. „Es ist sehr wichtig, die Schulungsteilnehmer von Anfang an der Zieldefinition des Trainings zu beteiligen. Dadurch erreicht man auch ein stärkeres Commitment“, sagt Prof. Dr. Rózsa.

Jetzt steht man vor den Leuten

Vorausgesetzt ein Compliance Manager hat diese Vorarbeiten geleistet und steht nun vor der Gruppe: Was ist der beste Einstieg? Prof. Dr. Rózsa rät: „Der Trainer erreicht viel, wenn er zu Beginn der Schulung den Teilnehmern den Benefit deutlich macht. Wie wird ihnen das Training im Alltag helfen?“ Je höher die Teilnehmer in der Hierarchie stehen, desto mehr Sorgfalt muss man auf die Begründung des Benefits verwenden. Die Führungskräfte in den Unternehmen haben ihre Interessen und Ziele, daran muss man unbedingt anknüpfen.

Das „wie“ macht die Musik

Ein weiterer wichtiger Punkt ist wie man was sagt. Denn Sprache ist ein ungenaues Instrument. Sie setzt Bilder und funktioniert in Verbindung mit den Gesten und dem Verhalten der Person. Man darf also nicht der Illusion erliegen, dass man die Gefahr des Missverständnisses durch das exakte sprachliche Formulieren und Aufzeigen von Gesetzestexten minimieren kann. „Ich halte es für eine Verführung der Juristen, möglichst exakt die Verhältnisse und die Abweichungen von ihnen beschreiben zu wollen. Damit hinken die Juristen der Wirklichkeit hinterher“, so Panten. Natürlich ist der Inhalt des Paragraphentextes als Grundlage des Handelns wichtig. „Paragraphen sind aber nicht selbsterklärend. Sprachlich sollte man sie richtig vermitteln können, man braucht also eine Variante, durch die der Hintergrund und die Einordnung des Gesetzestextes klar werden. Es muss beim Lernenden ein Bild dafür entstehen. Erst dann ist die Lernumgebung komplett“, so Panten.

Reine Input-Orientierung reicht nicht

Auch eine weitere schöne Compliance-Illusion machen die Experten kaputt: „Eine rein fachliche Schulung wird nicht ausreichen, wenn man jemanden befähigen möchte, später selbstsicher und angemessen in schwierigen Situationen zu reagieren. Für eine Einstellungsänderung ist mehr erforderlich“, so Prof. Dr. Rózsa. „Denn um die Einstellung zu ändern, bedarf es zunächst einer Bewusstmachung, einer Abwägung und dann einer Entscheidung. Das erreicht man nicht über eine reine Input-Orientierung. Sondern über die Auseinandersetzung darüber, was der aktuelle Stand ist und welche Haltung und Einstellung erforderlich sind.“ Hier betonen alle Experten im Bereich Erwachsenenpädagogik den hohen Stellenwert des Spiels. „Wenn Sie zum Beispiel in einer Anti-Korruptionsschulung ein Szenario-Spiel einführen, dann erscheint erst durch das Spiel deutlich, welche Argumente beispielsweise für Schmiergeldzahlungen bei mir selbst ziehen und mit welchen Handlungsalternativen man arbeiten kann. Das ermöglicht eine Reflexion“, so Prof. Dr. Rózsa. „Natürlich würde keiner der Mitarbeiter zugeben Schmiergelder anzunehmen. Aber im Spiel hat man die Erlaubnis, sich in eine Rolle zu begeben, in der man jemand wäre, der bestechlich ist. Und das kann sogar Spaß machen.“

Aktivierung, Strukturierung und Wiederholung

Bei der Vermittlung der Inhalte sind aus pädagogischer Sicht neben dem Verknüpfen der Schulungsinhalte mit dem Vorwissen und Arbeitswirklichkeit der Teilnehmer noch drei weitere Dinge wichtig: Aktivierung, Strukturierung und Wiederholung.

Einer der Fehler, den man bei der Schulung von Erwachsenen machen kann, ist es anzunehmen, dass die Teilnehmer eigenständig verstehen müssen, dass das Lernen in ihrem Interesse liegt. Das tun sie eben nicht immer. Und warum sollten sie es ausgerechnet bei Compliance-Themen tun? Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass der Trainer eine Vielfalt an Methoden beherrscht, also gekonnt aktivieren und motivieren kann. „Einfach nur sich vor die Gruppe zu stellen und zu erzählen, ist nicht erwachsenengerecht. Denn die Erwachsenen halten ihre Aufmerksamkeit nur 20 Minuten aufrecht. Danach sollte der Wechsel kommen“, so Prof. Dr. Hof. Es ist daher wichtig, in seiner Schulung aktivierende Momente einzubauen. Das tut man bereits, wenn man zum Beispiel die Schulungsteilnehmer schon im Vorfeld an der Gestaltung der Schulung beteiligt. Es gibt aber auch andere interessante Aktivierungsansätze.

Wie man Compliance-Schulungen gut hinbekommen kann, könnte man sich von der Compliance-Avantgarde Deutschlands abschauen. Große Unternehmen wie Siemens oder Daimler haben einen entscheidenden Vorteil, den viele kleinere Unternehmen sich gar nicht leisten können: sie können sich für die Konzipierung und Durchführung der Schulungen Spezialisten leisten, die sich dann viel Zeit nehmen, sich nur damit zu beschäftigen. Das sind psychologisch und pädagogisch sehr gut ausgebildete Experten, die nicht nur überlegen, wie man eine Schulung auf einer soliden Grundlage erwachsenengerecht gestaltet, sondern vor allem wie man so ein unternehmensweites Schulungsprogramm auch effizient organisiert, integriert und mit anderen Einheiten verzahnt.

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Serie “Compliance-Pädagogik”, wie Siemens seine Compliance-Officers aus- und weiterbildet.

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