In vielem nicht so wie es scheint

USA

Eigentlich meint man, über die USA fast alles zu wissen. Man hat immer noch die Vorstellung von einem reichen Land mit den üblichen, viel gepriesenen unbegrenzten Möglichkeiten, viel Geld, scharfen Gesetzen und ihrer harten Umsetzung – zum Beispiel, wenn man hier im Rahmen unseres Compliance-Themas an FCPA denkt. Doch alleine schon, wenn man sich die letzten fünf Jahre anschaut, wie sich die Regierung von einer Haushaltskrise zur nächsten langhagelte, selbst bei einer Einigung zwischen den Parteien die Probleme des Landes nicht gelöst, sondern verschoben werden, merkt man, dass im Land wohl einiges im Argen liegt. Die mehreren beinahe Bankrotte der USA innerhalb kürzester Zeit werden aber von der Öffentlichkeit bei weitem nicht ähnlich sensationell wahrgenommen  wie der von Griechenland. Auch das Bild der USA als einem harten Kämpfer gegen die Korruption – vor allem im Finanzsektor – muss ein wenig revidiert werden.

Geht nicht? Gibt’s nicht!

m Oktober 2015 sind die USA mal wieder an einer Zahlungsunfähigkeit und damit einem Bankrott knapp vorbeigeschlittert. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama hat hier bei den Fraktionsführern der Republikaner sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um eine Haushaltskrise abzuwenden. Hätte man sich nicht geeinigt, wäre am 3. November 2015 die festgelegte Schuldenhöchstgrenze erreicht, es stünden keine rechtlich zulässigen Tricks mehr zur Verfügung, um sich noch mehr zu verschulden. Danach könnte die US-Regierung keine Rechnungen mehr bezahlen. Und am 11. Dezember hätten auch alle Behörden in den USA geschlossen, weil keine gültige Haushaltsgesetzgebung mehr da wäre.

Die ausgehandelte Vereinbarung wurde nun Anfang November 2015 in Gesetzesform gegossen. Das Gesetz besagt, dass für das Haushaltsjahr 2016 (beginnt immer im Oktober des Vorjahres, also für 2016 im Oktober 2015) Ausgaben von 1067 Milliarden US-Dollar und für 2017 weitere 1070 Milliarden US-Dollar vorgesehen sind. Auch die Schuldenobergrenze wurde entsprechend angehoben. Natürlich gehen mehr als die Hälfte der zusätzlichen Ausgaben an das Militär. So darf nun die US-Regierung bis März 2017 neue Schulden aufnehmen. Dieser Kompromiss wurde von Obama als „verantwortungsvoll“ betitelt.

Diese kritische Situation der US-Haushaltslage besteht nicht erst seit Oktober 2015. Im Jahr 2013 haben die Verhandlungen um den Haushalt das Land sogar kurzzeitig lahmgelegt – für zwei Wochen war die Bundesregierung der USA zahlungsunfähig. Die Staatsbediensteten der Zentralregierung wurden dann einfach für zwei Wochen in unbezahlten Urlaub geschickt. Ähnliche Geschehnisse spielten sich auch 2012 und 2011 ab. Im Jahr 2011 führte dieser Dauerhaushaltsstreit sogar dazu, dass die Bonitätsnote der USA nach unten degradiert wurde. Da sich die Lage seit fünf Jahren nicht wirklich verändert hat, besteht wenig Hoffnung, dass nun sich etwas bessert. Denn von irgendwelchen ernstzunehmenden Reformen der US-Haushaltslage ist in der aktuellen Vereinbarung nicht mal im Ansatz etwas zu sehen und zu hören. Interessant ist, dass über diese Lage in den USA so gut wie keine Aufregung in der Öffentlichkeit wahrnehmbar ist. Vielleicht, weil man sich an diesen Zustand gewöhnt hat? Sogar in The Economist liest man eher Artikel dazu, die sich über den politischen Aushandlungsprozess amüsieren als über die Folgen dieser Politik sowohl innenpolitisch als auch für die Gläubiger der USA. Oder darüber, was passiert, wenn es tatsächlich zu einem Zusammenbruch kommt? Denn es kann ja nicht so weiter gehen.

Es verfällt so manches

Während man am Regierungssitz in Washington alle Jahre wieder „verantwortungsvolle“ Vereinbarungen schließt, verfällt in den USA so manches, was im Besitz der öffentlichen Hand ist. So zum Beispiel die Infrastruktur. Die Züge werden immer wieder von hinfälligen Brücken, Tunneln und alten Gleisen ausgebremst, alte Wasserrohre, die zum Teil noch aus dem Bürgerkrieg von 1865 stammen, bereiten Probleme, die Stromleitungen werden zum Teil auf lebensgefährliche Art von Haus zu Haus gespannt, die Straßen sind voller Schlaglöcher und es ist wohl auch kein Geld da, um zum Beispiel in die hundertjährige New Yorker U-Bahn zu investieren, so dass es dort im Verkehr hin und wieder ebenfalls zu Problemen wie Stillstand oder Entgleisungen kommt.

Auch in der Bevölkerung dürfte nicht bei jedem Zufriedenheit über die aktuelle Situation vorherrschen. Denn der Abstand zwischen Arm und Reich ist in den Vereinigten Staaten stark wahrnehmbar. In den USA liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei 41.355 US-Dollar im Jahr. Das ist zwar höher als der OECD-Durchschnitt von 25.908 US-Dollar. Allerdings ist die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA groß: Nach OECD-Angaben verdienen 20 Prozent der wohlhabenden Bevölkerungsschicht achtmal soviel wie 20 Prozent der armen US-Bürger.

Korruption nimmt zu

Es ist mittlerweile gut erforscht, was in einem Staat passiert, dessen öffentliche Einrichtungen unter starken finanziellen Restriktionen leiden – die Korruption nimmt zu. Diese logische Folge spiegelt sich erwartungsgemäß in den Umfragen der Bevölkerung. So hat zum Beispiel das Washingtoner Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup in seiner im September 2015 veröffentlichten Studie festgestellt, dass 75 Prozent der befragten US-Amerikaner die Korruption in der Verwaltung der USA als weit verbreitet wahrnehmen. Noch 2009 waren es 66 Prozent, seitdem steigt die Prozentzahl stetig an.

or zwei Jahren hat Transparency International die Ergebnisse der Umfrage Global Corruption Barometer 2013 veröffentlicht, in dem 36 Prozent der US-Befragten sagten, dass das Korruptionsniveau im Land in den letzten zwei Jahren stark zugenommen hat. Und 24 Prozent der Befragten gaben an, dass das Korruptionsniveau etwas angestiegen ist. Zu den Bereichen, die von den Befragten als besonders korrupt eingeschätzt wurden, gehören „Political Parties“ (76 Prozent), „Parliament/Legislature“ (61 Prozent), „Media“ (58 Prozent), „Public Officials and Civil Servants“ (55 Prozent) und „Business“ (53 Prozent).

In den vertiefenden Analysen zum Thema Korruption in den USA werden von Transparency International konkrete Herausforderungen genannt, die angegangen werden sollten. Fangen wir mit der Politik an. TI schreibt dazu in ihrem US-Bericht: „Corruption among government and political figures remains a concern. From fraud and embezzlement charges to the failure to uphold ethical standards, there are multiple cases of corruption at the federal, state and local level. Money laundering convictions and ethics violations by U.S. Congress representatives have also furthered citizen distrust.“ Diese Situation sieht man eindeutig anhand der Umfragewerte, auf die schon oben eingegangen wurde.

Die drakonischen und nach Ansicht vieler völlig abgehobenen Strafen gegen die europäischen Banken (die bisher höchste Strafe bekam BNP Paribas, fast 9 Milliarden US-Dollar), haben weltweit Aufsehen erregt. Der Feuereifer der US-Behörden für den Kampf gegen die Korruption ist zwar löblich, aber wie sieht es zu Hause auf dem US-amerikanischen Finanzmarkt aus? Dazu heißt es bei TI: „Although the United States has an effective anti-money laundering framework, experts are concerned about various legislative and regulatory weaknesses. More specifically, there are weak requirements for customer due diligence. Furthermore, there are loopholes that allow entities and persons to use shell companies as well as trusts to hide and launder proceeds from illegal activities. Worries regarding transparency in the U.S. financial system were heightened by the 2008 financial crisis, as well as recent notorious financial fraud and insider trading scandals.“ Mit dieser Meinung ist TI keineswegs alleine. Es gibt andere Studien, die diese Sicht der Dinge unterstützen. Vor kurzem wurde zum Beispiel durch eine Analyse von Tax Justice Network (TJN) belegt, dass die Vereinigten Staaten einerseits hart gegen Steueroasen im Ausland vorgehen, so zum Beispiel in den Prozessen gegen die Schweizer Banken. Auf der anderen Seite aber selbst als Steueroase für Ausländer fungieren.

In der Analyse, genannt „Schattenfinanzindex 2015“, rangieren die USA in der Liste der schlimmsten Steueroasen auf Rang 3 gleich hinter Schweiz (Rang 1) und Hong Kong (Rang 2). Noch 2013 befand sich das Land auf Rang 6. Was war in den zwei Jahren passiert? Aus Sicht des TJN, das den Vereinigten Staaten eine Doppelmoral vorwirft, gibt es hierfür drei wesentliche Gründe. Erstens gewähre die US-Regierung den Ausländern eine Reihe von Steuererleichterungen und Geheimhaltungsgarantien.

Zweitens liefern die USA keine Finanz- und Steuerdaten, weil die US-Banken manche der international üblichen Angaben gesetzlich nicht erheben müssen. Und drittens, gäbe es auf der Ebene der Bundesstaaten noch eine große Toleranz für anonyme Tarnfirmen. Während die USA die Öffnung der Finanzindustrien der anderen Länder erzwingen, sehen sie sich selbst nicht in der Pflicht, die für die Transparenz notwendigen Informationen zu liefern.

Facilitation Payments trotzdem erlaubt

Das FCPA verbietet Bestechungszahlungen an ausländische Amtsträger. Es erscheint aber absurd, wenn „facilitation payments“ dennoch erlaubt sind. Diese Doppelbödigkeit kann die Arbeit von allen erschweren oder sogar aushebeln, die gegen die Korruption kämpfen, wie zum Beispiel von internen und externen Prüfern, aber auch von Compliance Officern. TI schreibt in ihrem Bericht „Assessing Enforcement of the OECD Convention on Combating Foreign Bribery“ daher: „The OECD Working Group on Bribery, in its Phase 3 Follow-up report, did not consider that the US had sufficiently clarified its policy on dealing with claims for tax deductions for facilitation payments. In addition the Working Group felt that insufficient guidance had been given to help tax auditors identify payments claimed as facilitation payments that in fact violate the FCPA and/or signal that corrupt conduct that violated the FCPA is taking place“.

Auch im Bereich Steuern rät die OECD den Vereinigten Staaten, der Unternehmensbesteuerung etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Gründe liegen auf der Hand: „Another consequence of the current international tax rules is that multinational firms avoid paying taxes by using a host of legal provisions to narrow their tax base and shift their profits to low-tax foreign jurisdictions. The magnitude of these operations is so large that some multinational firms pay very low taxes, despite being highly profitable. In the current context of fiscal constraints and severe loss of trust in institutions, it is important that these firms pay their fair share of taxes“, führt die OECD in ihren „OECD Economic Surveys United States. June 2014“ aus.

Daher empfehlen die OECD-Analysten den USA umfassende Steuerreformen durchzuführen: „Cut the marginal corporate income statutory tax rate and broaden its base, notably by phasing out tax allowances. Act towards rapid international agreement and take measures to prevent base erosion and profit shifting (BEPS). Make the personal tax system more redistributive by restricting regressive income tax expenditures.“

Wie man sieht, gibt es in den Vereinigten Staaten einige hausgemachte Probleme, die so schnell nicht zu lösen sein werden – vielleicht will man sie aber auch nicht lösen, weil die Doppelmoral gewollt ist. Und es mag sein, dass es in den USA im öffentlichen Bereich keine „Korruptionskultur“ gibt, wie wir sie zum Beispiel aus anderen dafür einschlägig bekannten Ländern kennen. Aber eines ist klar: Finanzielle Einschnitte und subjektiv empfundene Ungerechtigkeiten provozieren Korruption. Egal in welchem Land.

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