Legal vs. Ethics

Ethik und Compliance

Zumindest die deutschsprachige Compliance-Welt wird durch die Compliance-philosophische Frage gespalten, ob nun ein Compliance Management System Hand in Hand mit Ethik gehen soll oder nicht. In den USA wird heute Compliance & Ethics in einem Atemzug ausgesprochen. In Deutschland ist das anders. Wenn man die Geschichte vereinfacht erzählt, dann ist die deutsche Compliance-Gemeinde in zwei Lager gespalten: die Compliance-Orthodoxen, das sind diejenigen, die unter Corporate Compliance ausschließlich Legal-Compliance verstehen, und die Compliance-Konformisten, diejenigen, die ein CMS auf Dauer für überlebensfähig halten, wenn es auf einer ethischen Grundlage und unternehmensinternen Werten aufgebaut ist. Und die Wertemanagement-Leute werden immer noch als „Compliance-Esoteriker“ belächelt. Ist es möglich, dieses Compliance-Schisma aufzulösen?

Der einfachste Weg zur Compliance-Eintracht wäre natürlich, wenn es wissenschaftliche Studienergebnisse oder sonstige robuste Belege dafür gegeben hätte, dass ein Unternehmen, das werteorientiert und ethisch handelt, bei den Share- und Stakeholdern und bei seinen Geschäftsergebnissen besser abschneidet, als ein Unternehmen, das sein gesamtes Handeln ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausrichtet. Auf solche Beweise warten wir bis heute. Derzeit wird aber von vielen Wissenschaftlern versucht, genau das nachzuweisen.

Selbst wenn es bis heute nicht bewiesen ist, bedeutet es nicht, dass es nicht honoriert wird. Es gibt Erfahrungswerte und Hinweise darauf, dass ethisches Handeln in der Wirtschaftswelt durchaus belohnt wird. Nehmen wir zum Beispiel den Fall der Investmentholding Berkshire Hathaway. Diese hat derzeit ein „Problem“ – sie ist zu erfolgreich und weiß nicht, wohin mit dem Geld. Natürlich ist eines der Kerngeheimnisse des Erfolgs, dass Warren Buffett ein gutes Gespür für ein Zielunternehmen und den richtigen Zeitpunkt für den Zukauf eines Unternehmens hat. Andererseits hält seine Holding viele Unternehmen bereits seit Jahrzehnten und die meisten von ihnen blühen und gedeihen. Das liegt unter anderem daran, dass Buffett auf die Politik des Vertrauens (siehe dazu die Titelstory „Compliance aus der Vogelperspektive“ im 1. Heft, 2014, Compliance Manager, ab S. 12), auf eine bestimmte Holdingkultur und Tone from the Top setzt – und es gibt holdingweit einheitliche Werte. Das Rock Center for Corporate Governance an der Standford University hat Ende 2015 die Ergebnisse einer Studie „Trust and Consequences: A Survey of Berkshire Hathaway Operating Managers“ veröffentlicht, in der sie in das Innere der Holding und ihrer Politik des Vertrauens blicken lässt. Für alle, die das genauer nachlesen möchten: Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Stanford Closer Look Series – CGRP52 am 20. Oktober 2015. Das Ziel der Untersuchung war es, „To better understand the Berkshire Hathaway management system, we surveyed the chief executive officers of approximately 80 Berkshire Hathaway operating subsidiaries.“

Nach der Übernahme eines Unternehmens, verändert die Holding nur etwas, und zwar an den für sie wichtigen Stellschrauben: „Respondents report few governance changes following an acquisition by Berkshire Hathaway. The most frequently cited changes are the elimination or change in composition of the board of directors and changes to the terms of CEO compensation contracts. Some insurance subsidiary CEOs report that changes were made to the company’s internal audit and risk management practices.“ Interessant ist, dass die Holdingfirmen in gewisser Weise alle eine ähnliche Kultur aufweisen, die von Berkshire Hathaway geprägt ist: die CEOs aller 80 Holdingfirmen bekommen ein Höchstmaß an Unabhängigkeit in ihrem Handeln, werden zu einem „long-term focus“ ermutigt und telefonieren mit Warren Buffett oft, aber unregelmäßig und „None of the respondents talk to him on a pre-established schedule, and all report that they initiate the communications themselves.“ Und dabei bekommen sie weniger Gehalt: „Most Berkshire Hathaway CEOs believe their compensation would be higher if their business were owned by a company other than Berkshire. All claim that their annual bonus is calculated using only two performance measures. (A typical large corporation uses 2.4 performance measures, on average.) The most frequently cited measures are earnings, return on equity, and operating or profit margin.“ Und jetzt kommt das für unser Thema besonders Interessante: „There is strong agreement among respondents that a common culture is shared across Berkshire Hathaway subsidiaries. The most frequently cited attributes of this culture are honesty, integrity, long-term orientation, and an emphasis on taking care of the customer. Respondents also agree that the culture of Berkshire is directly influenced by the “tone from the top.” According to one respondent, the main messages conveyed by Berkshire Hathaway headquarters are:

1. Never lose reputation for the Berkshire Hathaway brand or the company’s brand;
2. Run your business as if it is the only family asset for the next 50 years; and
3. Integrity comes first.

To this end, operating managers report being “very clear” about which actions or activities within their business would be condoned by Berkshire Hathaway headquarters and which would not.“

Da haben wir es. In einer globalisierten Wirtschaftswelt ist Vertrauen und Reputation eben für den Unternehmenserfolg mitentscheidender Faktor. Das erreicht man, indem man sich zunächst unternehmensintern auf ethische Werte einigt. Und das zeigt doch, dass man selbst solche riesige Konglomerate durchaus sehr erfolgreich durch eine bestimmte Kultur, Werteorientierung und nicht zuletzt Vertrauen führen kann. Zum Schluss des sechsseitigen Textes fassen die Wissenschaftler David Larcker und Brian Tayan die wichtigsten Studienergebnisse nochmals zusammen und versehen sie mit Fragestellungen, auf die sie zukünftig Antworten suchen wollen. Eines davon ist folgendes: „Berkshire Hathaway managers are also uniform in their belief that integrity is a critical operating principle for the company. How important is integrity to business results? To what extent is ethical behavior influenced by “tone at the top?” To what extent is it influenced by monetary incentives, recruitment practices, and other organizational features?“ Auf die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen werden wir gespannt warten.

Der Fall der Holding Berkshire Hathaway zeigt uns deutlich: wenn sogar der Investor Warren Buffet nicht ohne ethischen Werteansatz und positiven auf Vertrauen setzenden Kultur auskommt, warum sollten wir als Compliance Officer meinen, das sei bei unserem CMS eine Nebensache? Dass das reine Legal Compliance ausreicht?

Eine Nebensache kann es alleine schon deswegen nicht sein, weil Ethik in allen für die Compliance wichtigen Regelwerken als Voraussetzung für die Wirksamkeit eines CMS postuliert wird: In den Guidances zum UK Bribery Act, IDW PS 980 oder US Sentencing Guidelines.

Im IDW PS 980, dort A 14 heißt es dazu: „Die Angemessenheit und Wirksamkeit des CMS wird wesentlich durch die Compliance-Kultur im zu prüfenden Unternehmen geprägt. Die Compliance-Kultur eines Unternehmens wird im Wesentlichen bestimmt durch den gelebten Wertekanon des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sowie dem gesamtgesellschaftlichen Kontext, in dem es sich bewegt. Die Compliance-Kultur wird z.B. durch folgende Merkmale beeinflusst: – das die Unternehmenswerte vermittelnde Verhalten der gesetzlichen Vertreter – […] – das integre, verantwortungsvolle und werteorientierte Verhalten der Mitglieder des Managements auf allen Managementebenen im Einklang mit den zu beachtenden Regeln.“

Das UK Bribery Act 2010 sagt zum Thema Ethik in seiner Gaudance, 1.7: „The procedures put in place to implement an organisation’s bribery prevention policies should be designed to mitigate identified risks as well as to prevent deliberate unethical conduct on the part of associated persons.“ Dazu muss man also erst einmal wissen, welches Verhalten „ethical“ und welches „unethical“ ist. Wer soll das den Mitarbeitern im Unternehmen erklären?

Auch der Chapter 8 in den US Sentencing Guidelines (siehe dazu 2014 Guidelines Manual, Chapter eight – sentencing of organizations) lässt den Bereich „Business Ethics“ nicht außen vor. Dazu heißt es in der Introductary Commentary:

„The two factors that mitigate the ultimate punishment of an organization are:  (i) the existence of an effective compliance and ethics program; and (ii) self-reporting, cooperation, or acceptance of responsibility. […]The prevention and detection of criminal conduct, as facilitated by an effective compliance and ethics program, will assist an organization in encouraging ethical conduct and in complying fully with all applicable laws.“

In Part B – Remedying Harm from criminal conduct, and effective compliance and ethics program wird dann versucht, zu definieren, was ein „effective“ Compliance-Programm sein soll:

§8B2.1. Effective Compliance and Ethics Program
(a) To have an effective compliance and ethics program, for purposes of subsection (f) of §8C2.5 (Culpability Score) and subsection (b)(1) of §8D1.4 (Recommended Conditions of Probation – Organizations), an organization shall—
(1) exercise due diligence to prevent and detect criminal conduct; and
(2) otherwise promote an organizational culture that encourages ethical conduct and a commitment to compliance with the law.

Es liegt also klar auf der Hand, dass Regelwerke, die für Compliance im Unternehmen wichtig sind, ethische Dinge zur Grundlage eines jeden CMS dazuzählen. Das verdeutlicht nochmals, dass ein effektives CMS Ethik einbeziehen muss, um den Mitarbeitern klarzumachen, welches Verhalten „ethical“ und welches „unethical“ ist. Die Frage ist nur, was genau und auf welche Weise sollen wir einbeziehen?

Zuerst ein wenig Theorie

Bevor wir mit Begriffen Unternehmensethik, Werte und Integrität um uns werfen, müssen wir uns darauf einigen, was wir darunter verstehen wollen. Integer ist eine Person, wenn zwischen den ethischen Werten, die sie propagiert und ihrem Handeln eine Deckungsgleichheit besteht. Integrität bezieht sich also auf eine Person. Im übertragenen Sinne könnte man auf der Ebene der Unternehmen in Unternehmensethik synonym zum Wort Integrität sehen. Denn auch hier gilt: ein Unternehmen handelt nicht ethisch, wenn es eine Diskrepanz zwischen den kommunizierten ethischen Werten und dem Handeln der Unternehmensangehörigen gibt.

Der Begriff Werte wird häufig so gebraucht, dass er mit den Vorstellungen gleichgesetzt wird, welche in einer Gesellschaft allgemein als wünschenswert anerkannt sind und den Angehörigen dieser Gesellschaft Orientierung bieten. Aus dieser Sicht ist das Wertvolle schlicht das, worauf sich eine Gruppe einigt, das sei wünschenswert. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit Ethik. Denn man kann ja auch die reine Gewinnmaximierung zum einzigen Unternehmenswert erheben. Wir ahnen, die Sache ist sensibel. Dr. Ulrich Thielemann, Wirtschaftsethiker und Direktor von MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik in Berlin, erklärt die Begriffe und die Widersprüche im Gebrauch wie folgt: „Ethik ist die Theorie der Moral und fragt kritisch danach, ob das, was wir tun, richtig ist, und zwar bei der modernen Ethik auf der Prinzipienebene. Was ist die letzte Maßgabe unseres Handelns? Eine kantianische Ethik kommt sofort in Konflikt mit dem Prinzip der Durchsetzbarkeit bestehender Interessen. Wenn zum Beispiel in der Diskussion erklärt wird, wir brauchen Integrität, sonst funktioniere Compliance nicht, dann ist es eine instrumentalistische Sicht. Wer Integrität für sich und für sein Unternehmen beansprucht, der muss die Bereitschaft aufbringen, sich zu fragen, was das ethisch richtige Handeln ist. Das Problem heute aber ist, dass in der Wirtschaft alles instrumentalisiert wird, auch noch die Integrität.

Diese verfehlte Sicht ist nur durch eine Delegitimation des Gewinnprinzips zu überwinden, also durch die Zurückweisung des Anspruchs, dass der Gewinn über allem stünde. Die Position, dass der Gewinn die einzige Maßgabe des richtigen Handelns sei, ist ethisch unhaltbar. Natürlich dürfen und sollen die Unternehmen Gewinner erzielen, sie dürfen aber nicht Gewinnmaximierung betreiben, also alles daran setzen, dass die Gewinne so hoch wie möglich ausfallen. Integrität und Gewinnmaximierung schließen sich aus. Praktisch bedeutet dies vor allem eine Reduktion der Anreizsteuerung.“ Glauben Sie, Ihre Geschäftsführung ist mental dazu bereit? Schließlich begünstigt das Verhalten der Shareholder  das nicht gerade. Tatsächlich muss aber eine Unternehmensethik das leisten können. „Compliance ohne Ethik wird nicht funktionieren. Neben dem handwerklichen Teil des CMS, muss der Compliance Officer sicherstellen, dass das Fundament dessen, was kommuniziert wird, tatsächlich einen tieferen Kern der Motivation hat.

Ein Unternehmen muss tiefe ethische Überzeugungen haben. Es darf eben nicht so sein, dass das Unternehmen, wenn es für ihn von Vorteil ist, zum Beispiel die Kunden betrügt. Wenn man als Unternehmer integer handeln will, dann sollte man das aus einer intrinsischen Motivation heraus tun, weil man einen ‚positiven Wert‘ für sich schaffen will und nicht, weil beispielsweise die Überwachungsmechanismen des Staates an der Stelle so sind, dass ich erwischt werden könnte“, sagt Otto Geiß, Leiter der Abteilung Compliance, Werte und Risikomanagement bei der Fraport AG. „Die ethischen Dimension ist vielmehr: eine grundlegende Überzeugung, dass Korruption immer eine zu verurteilende Handlung ist. Egal, ob sie in einem Land bestraft wird oder nicht.“ Dr. Andreas Suchanek, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL Leipzig Graduate School of Management gibt zum besseren Verständnis und Strukturierung, wie das Zusammenspiel von Compliance und Ethik sein soll, eine Metapher: „Im Spiel haben wir Spielregeln, die das Spiel ermöglichen. Aber die Spielregeln werden nur dauerhaft gut funktionieren und beachtet werden, wenn ein entsprechendes Spielverständnis vorherrscht, dass diese Regeln sinnvoll und deshalb zu akzeptieren sind. Wenn wir das auf Compliance übertragen: Compliance betrifft primär die Spielregeln. Aber Spielregeln alleine können das gute Spiel nicht sichern, sondern man braucht auch ein Spielverständnis, dass sie stützt. Und das sind ethische Werte wie Respekt, Fairness und Integrität.“ Diese Ansicht wird im Übrigen nicht nur von Wissenschaftlern, die im Bereich Wirtschaftsethik forschen oder von Compliance Officern geteilt.

Dietmar Kokott war langjähriger Vorstandsvorsitzender und ist nun Kuratoriumsmitglied des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik. Der studierte Verfahrenstechniker war bei der BASF SE als globaler Personalchef verantwortlich für die Obere Führung, Führungskräfteentwicklung und Führungsstrategien. Gleichzeitig war er Vice Chairman des Global Human Resources Council in New York: „Ökonomik ohne Ethik ist blind, denn ohne eine normative Rückkoppelung ist sie nicht in der Lage, den Menschen Orientierung zu geben, insbesondere in unübersichtlichen Problemlagen. Das heißt, ohne ein ethisches Wertefundament kann kein Unternehmen auf Dauer bestehen“, ist Kokott überzeugt. „Die meisten deutschen Unternehmen sind heute global tätig, mit der Folge, dass auch der Verantwortungsbereich der Führungspersönlichkeiten global ausgerichtet ist. Gesetze haben aber überwiegend nur nationale Gültigkeit. Dies erfordert eine Führungskompetenz, die 1. auf der Kenntnis der jeweiligen Gesetze beruht, 2. die jeweiligen Kulturen und Gebräuche respektiert und 3. auf einem Werteverständnis basiert, das die Besonderheiten der Länder, in denen man tätig ist, berücksichtigt. Nur so lässt sich dauerhaft Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten. Die Wertekultur ist dabei gemeinsam mit der strategischen Ausrichtung die verbindende Klammer. Im Gegensatz zu Staaten können global operierende Unternehmen weltweit verbindliche Grundwerte durchsetzen, die das Handeln der Führungspersönlichkeiten und Mitarbeiter bestimmen. Dies ist für die gesamte operative Aktivität von grundlegender Bedeutung.“

Und um den Expertenkreis auch durch psychologische Sicht abzurunden: „Im Unternehmen muss es eine Verständigung auf bestimmte Grundwerte geben. Denn die Mitarbeiter müssen ja wissen, was für sie die verbindlichen Grundwerte sind, die im Unternehmen gelebt werden sollen. Erst dann kann man ein Compliance Management System aufbauen. Macht man das nicht, bewegt sich das Compliance Management System im luftleeren Raum“, sagt Michael Ziegelmayer, Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Die Verengung auf Legal-Compliance reicht nicht aus, weil es auch den Entwicklungen in der Wirtschaftswelt nicht Rechnung trägt: „Das Legal Compliance ist die Grundlage jeder wirksamen Compliance, reicht aber heute nicht mehr alleine. Heute geht es vielmehr darum, das Legal Compliance, Social Compliance und Human Rights Compliance zu integrieren. Das ist doch die aktuelle Herausforderung“, sagt Dr. Josef Wieland, Professor für Institutional Economics – Organisational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership an Zeppelin Universität.

Ethics und die Rolle der Compliance

Die Ironie der Geschichte ist, dass diese Reduktion auf Legal Compliance bzw. der Unwille mancher Compliance Officer, in die vermeintlich „esoterische Bereiche“ der Ethik vorzudringen, noch mit einem anderen Problem der Compliance-Zunft zusammenhängt: Ihrer Zurücksetzung in den Unternehmen: „Viele verstehen den Compliance-Beauftragten als Hüter von Recht und Regeln. Insofern sind es häufig Juristen. In vielen Unternehmen sind es sogar externe Juristen, die gar nicht die Unternehmenskultur kennen und nur noch darauf warten, dass irgendein Whistleblower sie anruft und irgendetwas meldet. Aber das ist nicht das Verständnis von zukunftsorientierter Compliance. Erfolgreiche und nachhaltige Führung in der Wirtschaft basiert auf einem Gestaltungsanspruch. Daraus resultiert, dass Corporate Compliance Einfluss auf den normativen Teil der Unternehmensstrategie nehmen muss und somit, auf einer Wertegrundlage basiert, mehr ist als nur ein Handeln nach Gesetzen oder Regeln. Und wer diesen Teil außen vor lässt und nicht beachtet, der hat natürlich in seinem Unternehmen das Problem, dass in der Tat der Compliance-Beauftragte auf diese Mindestanforderung einer Gewährleistung rechtskonformen Handelns reduziert wird. Und das ist eigentlich zu wenig“, sagt Kokott.

Jeder Compliance Officer sollte sich daher in Bezug auf die ethischen Werte ernsthaft und ohne falsche Bescheidenheit fragen, was eigentlich seine Rolle und die Rolle des CMS im Alltag des Unternehmens sein soll. „Dass die Organisation compliant ist, ist nicht das Ergebnis der Compliance-Abteilung, sondern der Führung des Unternehmens. Aber der Compliance Officer ist der zentrale Dienstleister, der es dem Management ermöglicht, compliant zu sein. Geht es um die Grauzonen und darum, wie man sich in solchen Situationen entscheidet, dann kommt genau das Thema Ethik rein“, sagt Prof. Dr. Wieland. „Hier muss man unterscheiden zwischen Moral Actions, also moralisches Entscheiden, und Moral Behavior. Beim Letzteren geht es darum, jemandem zu helfen, sich an die Regel anzupassen. Das ist die Rolle der Compliance Officer. Beide Seiten müssen im Unternehmen da sein.“

Mathias Wendt, Senior Manager Audit Governance & Assurance Services von KPMG, unterstreicht dabei die Rolle der Selbstreflexion: „Es ist sehr wichtig, wie man als verantwortlicher Compliance Officer mit dem Vorstand und anderen Führungskräften über Compliance-Fragestellungen kommuniziert und diese dazu bringt, über die Wahrnehmung ihres Verhaltens durch die Führungskräfte und Mitarbeiter zu reflektieren. Hierfür benötigt der Compliance-Officer eine eigene klare Haltung. Bei der Entwicklung dieser Haltung kann den Compliance-Officer eine professionelle Selbstreflexion in Form von systemischen Coaching bzw. Supervision unterstützen. Für Leitungstätigkeiten im sozialen Bereich gehört diese Form der Selbstreflexion bereits seit langem zum professionellen Selbstverständnis.“

Dietmar Kokott erklärt, warum es so wichtig ist, dass der Compliance Officer am Prozess der Entwicklung und Umsetzung des Wertemanagements aktiv teilnimmt: „Unternehmen sind zwingend auf verlässliche äußere und innere Regeln angewiesen, um erfolgreich Wertschöpfung betreiben zu können. Aber egal, wie viele Gesetze und Regelungen erlassen werden, sie werden niemals alle Konflikte in einem Unternehmen hinreichend erfassen. Daher ist es so wichtig, dass es Werte und Prinzipien gibt: Sie müssen Orientierung vermitteln im Hinblick darauf, wie mit den Freiheiten innerhalb der Regeln umzugehen ist und wie auch in Fällen zu verfahren ist, in denen Regeln unvollständig, widersprüchlich oder schlichtweg nicht vorhanden sind. Regeln und Werte müssen sich also wechselseitig ergänzen und stützen; dafür ist die Zusammenarbeit von Corporate Compliance insbesondere mit dem Personalwesen unerlässlich. Denn „gelebte“ Compliance setzt nicht nur das Vorhandensein von Regeln voraus, sondern auch die Fähigkeit und den Willen auf Seiten der Belegschaften, den Regeln Folge zu leisten. Dafür tragen insbesondere die Oberen Führungskräfte als Vorbilder eine herausragende Verantwortung.“

Wie Werte finden?

Was fällt auf, wenn man stichprobenartig einen Blick in die Codes of Conduct der Unternehmen wirft? Die Unternehmen schreiben irgendwelche Werte nieder, meistens die üblichen „Verdächtigen“, wie Verantwortung, Ehrlichkeit, Integrität, Respekt und ähnliches. Von Unternehmen zu Unternehmen gibt es da keine Unterschiede. So, als ob sich alle auf dieselben Werte abgesprochen oder voneinander abgeschrieben hätten, denn alle haben dieselben. Dabei sind doch Werte etwas Individuelles. Sie sind von vielen Faktoren, auch von der historischen Entwicklung des Unternehmens, abhängig. Sie können daher nicht beliebig oder gar par ordre du mufti festgelegt werden. „In meiner Zeit als globaler Personalchef der BASF SE habe ich immer dafür plädiert, dass Entscheidungen stets unter zwei Prämissen gefällt und begründet werden: Sie müssen erstens von verallgemeinerbaren, konsensfähigen Werten und geteilten Überzeugungen ausgehen und sie müssen zweitens den realen Handlungsbedingungen, d.h. Wettbewerb, Knappheit von Wissen und Ressourcen, kulturellen Unterschieden etc., Rechnung tragen.

Wer die Handlungsbedingungen ausblendet handelt naiv und moralistisch. Wer allein entlang von Sachzwängen argumentiert und die Werte ausblendet, kann auf Dauer keine Akzeptanz erwarten,“ sagt Kokott. Und genau diese gemeinsamen Ziele, konsensfähige Werte und geteilte Überzeugen sind eben von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Auch müssen sie in Verbindung mit den realen Verhältnissen eines Unternehmens gesetzt werden. Das alleine schließt schon eine Art „Globalisierung der Werte“ aus, wo alle Unternehmen mehr oder wenige dieselben Werte haben.

Wie macht man das also richtig? „Das Verständigen auf gemeinsame Werte in einem Unternehmen ist nicht die Aufgabe einer einzigen Einheit, sondern eine Teamarbeit. Und genauso wie bei global agierenden Unternehmen aus allen Regionen Vertreter in das Team entsandt werden, sollte auch der Compliance Officer an der Entscheidungsfindung mitwirken“, sagt Kokott. Er erklärt, wie unter seiner Leitung ein Wertefundament inklusive Umsetzungsempfehlungen erarbeitet wurde, das globale Akzeptanz hatte: „Ich etablierte ein internationales Team, so dass wir immer feststellen konnten, ob die erarbeiteten Vorschläge weltweit akzeptiert werden können und ein Handeln mit Respekt vor anderen Gesetzen, Religionen und Kulturen gewährleistet war, denn es gibt weder national noch weltweit ein dogmatisch vorgegebenes Menschenbild. Darüber hinaus wurde der Entwurf in den Regionen zur Diskussion gestellt, ggf. korrigiert und somit für Akzeptanz geworben. Landesspezifische Besonderheiten wurden in den jeweiligen nationalen Code of Conduct übernommen, wenn sie keine globale Relevanz hatten. Nachdem der Vorstand die Grundwerte und die damit verbundenen Richtlinien genehmigt hatte, wurden sie weltweit in die Führungsprozesse des Unternehmens, wie zum Beispiel in die Zielvereinbarung, Performance-Bewertung, Weiterbildungsseminare, Verträge und ähnliches, als verpflichtende Bedeutung für die Zukunft integriert und in 16 verschiedene Sprachen übersetzt“.

Professor Wieland findet, dass nicht nur die Geschichte des Unternehmens, sondern auch das strategische Management mit Blick in die Zukunft bei der Auffindung von Werten eine Rolle spielen sollte: „Im ersten Schritt muss man sich selbst fragen, was für eine Organisation führt man? Im zweiten Schritt sollte mit den relevanten Stakeholdern diskutiert und zum Beispiel gefragt werden, ob sie in den Werten das eigene Unternehmen wiedererkennen. Man muss die Mitarbeiter abholen und das geht nur dann, wenn man sie von Anfang an einbezieht. Es ist überhaupt ganz wichtig, dass man den Mitarbeitern genau erklärt, warum bestimmte Werte und bestimmte Maßnahmen gewählt werden“, sagt Prof. Dr. Wieland.

Selbst bei der Auswahl der Werte muss man die Dinge gut durchdenken – sonst erlebt man Überraschungen. Prof. Dr. Christoph Lütge von Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München beschäftigt sich mit experimenteller Ethik. Man kann sehr viel Überraschendes über das Verhalten der Teilnehmer und über ihr moralisches Verhalten unter Wettbewerbsbedingungen lernen. „Solche Experimente machen wir mit realem Geld. In einem Experiment zum Thema Wettbewerbssituation gingen wir von der Vorstellung aus, dass jemand, der verliert, nachtritt. Das ist aus anderen Forschungen auch bekannt. Wir haben aber herausgefunden, dass es auch das Phänomen gibt, dass der Gewinner nachtritt. Das heißt, jemand, der sich durchgesetzt hat, hat durchaus auch die Neigung, sich nochmals ein bisschen zu rächen, wofür auch immer. Das ist ein unerwartetes Ergebnis, das wir durch verschiedene Studien nachgewiesen haben“, erklärt Prof. Dr. Lütge. „Oft gab es als „Nachtritt“ Rufschädigung oder, indem man versucht, jemanden aus der Position zu entfernen, obwohl man sich mit seiner Unternehmenspolitik durchgesetzt hat.

Es gibt wohl eine Neigung, verbrannte Erde zu hinterlassen. Zum Teil konnten wir es beim Gewinner sogar in einer schlimmeren Form feststellen als beim Verlierer.“ In einem anderen Experiment ging es um die Frage, welche Atmosphäre man in einer Abteilung schaffen muss, damit Korruption entsteht. Offene Diskussion oder klare Vorgaben des Leiters? „Hier haben wir noch kein ganz klares Ergebnis. Wir müssen die Ergebnisse noch mehrfach überprüfen. Es zeichnet sich jedoch ab, dass es leider nicht so ist, dass eine offene Diskussion und demokratische Entscheidungsfindung zu weniger Korruption führen würde. Aus wirtschaftsethischer Sicht hätten wir das natürlich gerne. Aber so einfach ist es nicht. Es gibt Situationen, wo klare Entscheidungen notwendig sind und die führen zu weniger Korruption“, fass Prof. Dr. Lütge zusammen.

Das ist ein interessantes Ergebnis: demokratisches Führen ist nicht in jedem Fall richtig. In der Politikwissenschaft ist es übrigens schon seit langem bewiesen. Aber sehen wir es doch positiv, dieses Ergebnis erleichtert die Arbeit der Compliance Officer: zumindest beweist es, dass die Compliance Officer nicht jeden Mitarbeiter im Unternehmen, sondern nur die Führungskräfte bzw. Mitarbeiter mit Personalverantwortung einfangen müssen. „Unternehmensethik ist ein Frühwarnsystem für Risiken, die im Moment vielleicht nur moralische Risiken sind, aber dann zu ökonomischen Risiken heranwachsen können. Die Zusammenhänge darzustellen, ist die Aufgabe eines Compliance Officers“, sagt Prof. Dr. Lütge. Wie man sieht, reicht es nicht, ein paar Werte zu benennen, diese als Code of Conduct aufzuschreiben, und dann zu erwarten, dass sie jeder versteht und alles gut wird. „Wenn jemand das so macht, dann ist es ein Indikator dafür, dass das Wertemanagement unprofessionell betrieben wird. Wenn ich aber Ethik unprofessionell betreibe, dann bin ich ein schlechter Manager. Ethik meint hier Arbeit am gemeinsamen Spielverständnis, an der Kultur des Unternehmens. Das funktioniert nur, wenn es durch die Führung geprägt wird. Das ist gute Führung: die Mitarbeiter zu gewinnen, dass sie das, was sie tun sollen, auch tun wollen“, sagt Suchanek.

Man muss auch integrieren können

Eine der Schwachstellen beim „Wertemanagement“ ist seine Integration in den betrieblichen Alltag. Das ist übrigens ein Problem, dass Wertemanagement mit CMS teilt: an der tatsächlichen und vernünftigen Umsetzung im Unternehmen mangelt es wohl hier und da. Das ist allerdings genau die Achillesferse, die sich auch bei großen Unternehmen offenbaren kann: VW hatte durchaus ein ausgefeiltes Compliance Management System, Siemens hatte vor 2007 ebenfalls ein CMS und erst recht ausgefeilt sind die CMS der Banken. Dass ein Unternehmen ein CMS oder Wertemanagement hat, heißt nicht, dass alle nun ruhig schlafen können. Diese Erkenntnis sollte sich eigentlich so langsam bei allen Beteiligten einstellen. Man muss auch umsetzen bzw. integrieren können. „Empfehlungen der Unternehmensethik sind oft sehr philosophisch und idealistisch angelegt und lassen gelegentlich das Gespür für die vielen Herausforderungen der konkreten Unternehmenspraxis vermissen.

Doch genau diese Integration von Werten und betrieblicher Wirklichkeit ist nötig, wenngleich sehr anspruchsvoll“, sagt Suchanek. „Ich denke, es fällt den meisten schwer, die ethischen Werte konkret in Verbindung mit den vielfältigen Situationen im Alltag zu bringen, wo viele Konflikte auftauchen. Was heißt es, Respekt oder Integrität im Alltag zu leben? Ich mache in den Managementkursen oft die Abfrage, ob es jemanden gebe, der nicht respektiert werden will. Da meldet sich natürlich nie jemand. Das bringt nochmals

ins Bewusstsein, dass für uns selber und für die anderen Respekt wichtig ist. Wenn das uns allen aber so wichtig ist, warum fehlt es dann so oft an gegenseitigem Respekt?“ Suchanek kritisiert, dass es eben nicht ausreicht, Werte zu benennen und aufzuschreiben. „Vielmehr muss die Umsetzung professionell geschehen. Das fängt damit an, die konkrete Bedeutung eines Werts zu verdeutlichen, am ehesten durch die Frage, wo und warum er im Alltag gerade nicht gelebt wird. Was heißt Integrität und Respekt, wenn ich meinem Großkunden, der mich im Preis drücken will, gegenüber sitze, oder wenn ich einen Mitarbeiter wegen seiner schwachen Leistung kritisiere. Feedback geben und nehmen zu können, auf andere eingehen, ohne sich dabei über den Tisch ziehen zu lassen, zuzuhören und dergleichen – das kostet Aufmerksamkeit und Kraft. Und man muss es erst einmal lernen“, erklärt Suchanek. „Meine Methode ist, sich folgende Frage zu stellen: Was hindert uns daran, die Dinge, die uns wertvoll sind, umzusetzen? Wenn man sich systematisch mit dieser Frage befasst, dann wird man feststellen, dass es sehr viel mit alltäglichen Konflikten zu tun hat, und nicht zuletzt: mit fehlendem Vertrauen. Die Lösung liegt darin, in die Umsetzung von Werten und in den Aufbau und Erhalt von Vertrauen zu investieren.“

Mathias Wendt von KPMG rät dazu, die postulierten Unternehmenswerte immer wieder darauf zu überprüfen, ob sie mit der Weiterentwicklung des Unternehmens Schritt halten oder aber angepasst werden sollten: „Werte, Richtlinien und Regeln dürfen nicht statisch sein. Sie müssen immer wieder auf Wirksamkeit überprüft und ggf. angepasst werden. Dieser Prozess der Überprüfung kann nicht abstrakt erfolgen, sondern sollte in Form einer strukturierten Reflexion von relevanten Praxiserfahrungen im Dialog mit den Geschäftsbereichen erfolgen.“ Beim Leben der Unternehmenswerte in der Unternehmenspraxis kommt der Compliance-Abteilung eine Vorbildrolle zu. Diese Rolle wird sie nur dann nachhaltig ausfüllen können, wenn sie sich diesbezüglich in regelmäßigen Abständen selbst reflektiert: „Reflexion heißt auch, dass man Feedback der Stakeholder einholt, um wirklich davon zu lernen. Darüber hinaus muss man die in der Compliance-Abteilung selbst tatsächlich gelebten Werte thematisieren. In einem Unternehmen geht es darum, eine nachhaltig positive Kommunikation hinsichtlich des Compliance-Programms zu etablieren, um die Unternehmenskultur in Richtung einer starken Compliance-Kultur zu entwickeln. Hierbei kommt den von der Compliance-Abteilung selbst (vor-)gelebten Werten naturgemäß eine besonders wichtige Funktion zu“, so Wendt.

Ethisch heißt nicht zahnlos

Es gibt drei wesentliche Problemfelder, die sich erst dann ergeben, wenn ein Unternehmen auf einer ethischen Grundlage seine Geschäfte machen will: 1. Wie sanktioniert man nicht ethisches Verhalten im Unternehmen? 2. Wie stellt man sicher, dass das Unternehmen durch sein ethisches Verhalten keine Wettbewerbsnachteile erleidet oder sein ethisches Verhalten nicht von anderen Marktteilnehmern ausgenutzt wird? Und für Compliance Officer ergibt sich zusätzlich noch ein drittes Problem auf persönlicher Ebene: Was soll ein Compliance Officer tun, wenn er feststellt, dass seine ethischen Vorstellungen nicht mit dem realen Leben im Unternehmen übereinstimmen?

Es bleibt natürlich jeder Organisation überlassen, welche Werte sie für sich selbst wählen will. Wichtig bei der Wahl ist jedoch, dass man sich im Klaren sein muss, dass gewählte Werte zu Konsequenzen führen müssen, wenn die Mitarbeiter nicht wertekonform handeln. „Das Problem bei diesen ethischen Grundsätzen ist, dass wir mit einer Regel einen Anspruch formulieren. Die Frage ist dann, wieweit gelingt es, diesen Anspruch in allgemeingültige Regeln umzusetzen und wie weit sind solche Dinge dann sanktionierbar?“ gibt Ziegelmayer zu bedenken. „Denn Probleme werden dann auftauchen, sobald ich aufhöre, zu verfolgen, dass solche Dinge sanktioniert und umgesetzt werden, dann falle ich ganz schnell zurück in die Zustände, die unkontrollierbar werden. Wo jeder nach Belieben handelt. Es ist immer ein Auseinandersetzungsprozess: Auf der einen Seite der Versuch, bestimmte Regeln erst einmal festzuschreiben, zu etablieren und dann sanktionsfähig zu machen.“ Natürlich muss nicht jeder kleiner Fehltritt sanktioniert werden. „Das Stichwort ist hier „relevante Inkonsistenz“. Inkonsistenz meint, wenn Worte und Taten nicht zusammenpassen. Hier muss man sich dann fragen, ist diese Inkonsistenz für ein Unternehmen relevant oder nicht?“, rät Prof. Dr. Suchaenk. „Niemand ist zu 100 Prozent konsistent. Aber relevant ist eine Inkonsistenz dann, wenn sie das Vertrauen des Unternehmens untergräbt. Meistens, wenn es sich um einen massiven Regelbruch handelt. Ich muss also versuchen, eine Kultur mitaufzubauen, die davon geprägt ist, dass die relevanten Inkonsistenzen und damit die eigene Vertrauenswürdigkeit, vermieden werden. Und möglichst alle Mitarbeiter gewinnen, dass sie das auch wollen und da mitmachen.“

Viele Unternehmen kennen die Situation: Nach dem Markteintritt in ein fremdes Land stellen sie fest, wie schwierig es dort tatsächlich ist, gemäß seinen ethischen Werten zu leben. Es kann sogar soweit führen, dass genau diese Unternehmenspolitik des ethischen Handelns lokal ausgenutzt wird. „Deswegen ist es so wichtig, ein professionelles Wertemanagementsystem zu haben. In meinen Kursen zur Ethik geht es ganz maßgeblich darum, sich nicht ausbeuten zu lassen. Das ist für mich ein elementarer Bestandteil der Ethik. Was Sie als verantwortliches Unternehmen brauchen, ist auch die Fähigkeit, Konflikte austragen und gegebenenfalls zurückschlagen zu können. Das beinhaltet auch, dass man fähig sein muss, sich von den Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Führungskräften trennen zu können“, sagt Suchanek.

Und nun zu unserem dritten Problemfeld: was sollen wir als Compliance Officer tun, wenn wir feststellen, dass die Kultur im Unternehmen astronomisch weit entfernt ist von einem ehrlich gemeinten ethischen Verhalten? Im Grunde genommen ist darauf die Antwort einfach: Eine andere Arbeitsstelle suchen und hoffen, dass der nächste Arbeitgeber die Sache mit Ethik und Compliance ernst meint. „Natürlich kommt man da in einen persönlichen Konflikt“, sagt Otto Geiß. „Aber da kann ich nur sagen: Love it – weil man sich damit identifiziert. Change it – da hebt man die Hand und äußert seine Bedenken, zum Beispiel, dass man der Meinung ist, man sollte doch nicht in einem bestimmten Land bestechen, obwohl es dort erlaubt ist. Wenn man das nicht akzeptieren kann – Leave it.“

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