Nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Verfahren starten

Bundeskongress Compliance Management

Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert schult Polizei, Mediziner und Compliance-Beauftragte im Umgang mit den neuen Tatbeständen. Wir haben ihn gefragt, wann Ermittlungsverfahren eingeleitet werden und wie Compliance Manager dies verhindern können.

Herr Oberstaatsanwalt, seit Juni ist das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen in Kraft. Kurz zusammengefasst: Was beinhaltet das Gesetz und was ändert sich dadurch?
Der Gesetzgeber hat hier eine Lücke geschlossen, eine Lücke, die durch ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs offenbar wurde, die aber auch in weiten Teilen der Bevölkerung bereits seit längerer Zeit wahrgenommen wurde. Da die meisten Ärzte als Freiberufler tätig sind, fallen sie nicht unter die üblichen Korruptionstatbestände. Mit dem neuen Gesetz hat man nun eine Vielzahl denkbarer Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, nicht nur für Ärzte, sondern auch für alle Angehörigen eines Heilberufs, also zum Beispiel auch Psychotherapeuten, Apotheker, Krankenpfleger, Ergotherapeuten, Logopäden oder Physiotherapeuten. Aber auch all diejenigen, die diesen Personen Vorteile zukommen lassen, können gegen das neue Gesetz verstoßen.

Was macht aus Ihrer Sicht diesen neuen Delikttypen, der dadurch entsteht, aus? Was sind die Besonderheiten, auf die man achten muss?
Wir sprechen von einer Berufsgruppe, die sich bis dato, zumindest was die Korruptionstatbestände betrifft, sehr frei bewegen konnte. Es herrscht in Deutschland die Meinung vor, dass sich einige Üblichkeiten etabliert haben, die durchaus fragwürdig erscheinen. Wenn beispielsweise Ärzte zu Kongressen eingeladen werden, vielleicht auch im Ausland, vielleicht auch mal etwas länger; wenn Anwendungsbeobachtungen in Auftrag gegeben werden und Ärzte entsprechend großzügig dafür bezahlt werden – dann sind das Dinge, die mittlerweile hinterfragt werden.

Die Fälle, die auftreten können, sind sehr unterschiedlich geartet…
Ja, denn der Gesetzgeber regelt ja nie Einzelfälle, sondern er versucht immer eine Generalvorschrift zu basteln. Was aber hilfreich ist, ist ein Blick in die Gesetzesmaterialien. Damit lassen sich Fallgruppen bilden – jedenfalls habe ich das versucht – und daraus lässt sich ableiten, was jeweils als strafwürdig gesehen wird und was vielleicht noch nicht.

Wie sieht eine solche Fallgruppe aus?
Eine klassische Fallgruppe wäre die Anwendungsbeobachtung. Dieses Thema ist vermutlich in der öffentlichen Wahrnehmung der Hauptgegenstand der Korruption im Gesundheitswesen. Anwendungsbeobachtungen sind grundsätzlich nicht verboten und haben in letzter Zeit vermehrt Verbreitung gefunden. Es funktioniert so, dass ein Arzt nach der Verschreibung eines bestimmten Medikaments seinen Patienten befragt, wie dieser es vertragen hat. Zudem hält der Arzt eigene Beobachtungen in einem Fragebogen fest und reicht diesen dann bei demjenigen ein, der die Anwendungsbeobachtung in Auftrag gegeben hat. Das ist in der Regel derjenige, der das Präparat vermarktet und herstellt. Gegen diese Praxis gibt es schon seit längerer Zeit Bedenken. Wenn ein Arzt ein Präparat beurteilen soll, muss er es auch verschreiben. Und wenn er dafür Geld bekommt, hat er ein Motiv, dieses Präparat eher zu verschreiben als ein Konkurrenzpräparat. Der Gesetzgeber hat sich damit intensiv auseinandergesetzt und man kann mittlerweile einige Fälle herausarbeiten, die noch erlaubt sein sollten, und andere, die zumindest sehr fragwürdig erscheinen.

Hatten Sie selbst schon mit derartigen Fällen zu tun?
Aktuelle Ermittlungsverfahren sind bei mir bisher nicht auf dem Schreibtisch gelandet. Das Thema wird derzeit allerdings unheimlich intensiv in der Schulung vorangetrieben. Ich selbst habe mehrfach als Referent vor der Polizei sprechen dürfen, um sie mit meiner Sichtweise der Tatbestände vertraut zu machen. Genauso aber auch vor Zuhörern, die aus dem Bereich der Anwendung kommen, also etwa Medizinern oder Compliance-Beauftragten. Unter ihnen herrscht noch eine große Unsicherheit, wie mit diesen neuen Regeln umgegangen werden soll.

Was müssen Compliance-Beauftragte unter diesen neuen Voraussetzungen leisten? Was sind die neuen Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen?
Die Herausforderungen sind sehr vielschichtig. Compliance-Verantwortliche müssen zunächst die neuen Regeln in ihren Anwendungsbereichen erfassen. Hier möchte ich ein wenig helfen, indem ich darstelle, was der Gesetzgeber aus meiner Sicht hat entscheiden wollen. Zweitens muss man im Unternehmen entsprechende Regeln festsetzen, um nicht gegen die neuen Tatbestände zu verstoßen. Drittens wird man eine Menge Überzeugungsarbeit gegenüber den Mitarbeitern leisten müssen, die lange Zeit ohne solche Regeln arbeiten konnten und eventuell die ein oder andere Üblichkeit entwickelt haben, die jetzt fragwürdig erscheint.

Wann müssen Compliance-Manager reagieren? Wo sind die konkreten Verdachtsmomente, denen man nachgehen sollte?
Da müssen wir uns die Fallgruppen genauer ansehen. Wenn man als Beispiel die Anwendungsbeobachtungen betrachtet und die Rechtsprechung auswertet, die es bisher in diesem Bereich gegeben hat, kristallisieren sich einige Punkte heraus, auf die man achten muss. So ist in der Vergangenheit entschieden worden, dass es keine Vorauszahlungen geben darf; es ist entschieden worden, dass ich schriftliche Verträge brauche; es ist entschieden worden, dass ich keine Zielvorgaben machen darf und keine Prämien ausloben darf, nach dem Motto: ab 60 Anwendungsbeobachtungen gibt es noch einen Laptop oben drauf. Man darf auch keine Kontrolle des Arztes vornehmen, auch solle Fälle hat es in der Vergangenheit schon gegeben. Ein weiteres Urteil, das das Verwaltungsgericht Berlin 2008 gefällt hat und das ich für sehr entscheidend halte, setzt sich mit der Höhe der angemessenen Vergütung auseinander. Man darf so eine Anwendungsbeobachtung nicht überbezahlen, ansonsten ist man sehr schnell im neuen Tatbestand. Aus all diesen Fällen kann man Regeln ableiten. Wer das alles versucht einzuhalten, wird auf der sicheren Seite bleiben können.

Was wären die Konsequenzen, wenn nicht angemessen reagiert wird?
Die können sehr gravierend sein. Besteht der Verdacht einer Straftat, die durch einen einzelnen Mitarbeiter begangen wurde – der zum Beispiel eine Anwendungsbeobachtung gestartet hat, die nicht den Regeln entspricht – dann würde zunächst einmal gegen diesen Mitarbeiter ermittelt. Aber auch dem Unternehmen droht Ungemach. Wenn nämlich das Unternehmen nicht Sorge dafür trägt, dass die Mitarbeiter „sauber“ bleiben, dann ist es nach dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht auch möglich, das Unternehmen als juristische Person zu bestrafen – und das kann Millionen kosten.

Noch einmal zurück zur Arbeit der Ermittlungsbehörden. Wie kommt man überhaupt an solche Fälle? Gibt es so etwas wie ein Whistleblowing im Gesundheitswesen?
Ich kann Ihnen sagen, wie bisher die Korruptionsfälle hier angelandet sind. Da gibt es ganz typisch das große Feld der anonymen Hinweise. Denken wir an enttäuschte ehemalige Mitarbeiter, an Konkurrenten, aber auch an Feinde, die man sich im persönlichen Umfeld schon mal macht: an die betrogenen Ehefrauen, die verlassenen Geliebten. Solche Personen geben schon seit vielen Jahren in Korruptionssachen immer wieder Hinweise. Wir – das heißt die Justiz, aber auch die Polizei – haben die Werthaltigkeit dieser Hinweise schon lange erkannt, gehen ihnen nach und haben Plattformen geschaffen, auf denen diese Hinweise erstattet werden können. So gibt es zum Beispiel im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen eine Korruptionshotline. In Niedersachsen gibt es das sogenannte BKMS (Business Keeper Monitoring System), ein computergestütztes System, mit dem anonyme Hinweise auf elektronischem Weg die Polizei erreichen. Aber es gibt natürlich auch andere Erkenntnisquellen. Eine mittlerweile gar nicht so selten genutzte ergibt sich aus der Abgabenordnung. Unternehmen können Kosten von der Steuer absetzen. Das gilt aber natürlich nicht, wenn es sich um illegale Ausgaben handelt, wie zum Beispiel Korruptionsgelder. Wenn bei der Betriebsprüfung festgestellt wird oder der Prüfer den Verdacht hegt, dass Korruption im Spiel ist, dann ist er verpflichtet, uns dies zu melden und dann startet bei Vorliegen des erforderlichen Anfangsverdachts auch sofort ein Ermittlungsverfahren.

Das Gesundheitswesen war in den vergangenen Wochen erneut in den Schlagzeilen, als mehrere Krankenkassen zugegeben haben, dass sie Ärzte dazu ermuntern, Patienten kränker zu machen als sie sind. Wie bewerten Sie diese Situation? Inwieweit ist das strafbar? Und taugt die Geschichte überhaupt als Skandal oder handelt es sich eher um ein normales Vorgehen?
Dass man Patienten kränker macht, als sie sind, dürfte jedenfalls nicht unter die neuen Tatbestände fallen. Da wird man an andere Tatbestände denken müssen, möglicherweise Betrugstatbestände. Bis jetzt hat mir so ein Fall nicht vorgelegen. Es wurde daher bislang keine Prüfung vorgenommen, ob das strafrechtlich relevant ist und wenn ja, wie man dagegen vorgehen muss. Ich halte es aber zumindest für prüfenswert. Wir wissen alle, dass die Krankenkassen unter einem hohen Kostendruck stehen und es ist zumindest vorstellbar, dass der eine oder andere da versucht, auch ungewöhnliche Wege zu gehen, um die Kosten zu minimieren oder andere Einnahmequellen zu erschließen.

Man könnte von außen den Eindruck erlangen, dass das Gesundheitswesen ein geschlossenes System ist, in dem sich alle Beteiligten auf Kosten der Beitragszahler bereichern. Dennoch gab es in der Öffentlichkeit keinen wirklichen Aufschrei. Woran, glauben Sie, könnte das liegen?
Möglicherweise ist der Bürger schon etwas fatalistisch. Vielleicht wird auch nicht sofort erkannt, dass nicht nur die Allgemeinheit geschädigt wird, sondern letztendlich auch der Einzelne betroffen ist, etwa durch höhere Beiträge. Aber ob es wirklich ein so flächendeckendes Modell der Unlauterkeit gibt – das wäre eine Bewertung, die ich mir nicht anmaßen will.

Haben Sie die „Geständnisse“ – unter anderem von Jens Baas, dem Chef der Techniker-Krankenkasse – überrascht?
Dass jemand so etwas an die Öffentlichkeit bringt und gleichzeitig verdeutlicht, dass er und sein Unternehmen selbst darin verwickelt sind, das ist schon ungewöhnlich. Das ist etwas, was ich in dieser Form auch noch nicht erlebt habe. Aber bislang betrifft es den Zuständigkeitsbereich der hiesigen Behörde nicht, von daher muss ich mir dienstlich noch wenig Gedanken darüber machen.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zum eingangs erwähnten Gesetz vom Sommer. Lässt sich nach den ersten Monaten bereits eine Bilanz ziehen?
Man kann auf jeden Fall Eines sagen: Das Ganze erfährt eine sehr große Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit sowohl bei uns, also den Ermittlungsbehörden, aber vor allem auch in den Unternehmen und in der Ärzteschaft. Da ist sehr großes Interesse, aber auch sehr große Unsicherheit zu spüren: Was darf man noch? Was ist jetzt verboten? Ich behaupte einfach mal, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Ermittlungsverfahren starten. Denn ich gehe davon aus, dass irgendwo Fehler gemacht werden und Verhalten passieren, die so nicht mehr zulässig sind.

Wo sehen Sie noch Nachholbedarf?
Nachholbedarf gibt es zweifellos in dem Sinne, dass noch nicht alle sachkundig sind. Das Interesse von Seiten der Unternehmen ist sehr stark, aber natürlich kann ich nicht beurteilen, ob alle Beteiligten schon entsprechend sensibilisiert sind. Mein Aufruf an alle, die im Bereich Gesundheitswesen tätig sind: Machen Sie sich mit den neuen Regeln vertraut und beachten Sie sie! Denn es wäre grob fahrlässig und brandgefährlich, das jetzt nicht zu tun.

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