Die Kunst, Chef zu sein

Leadership

Wenn wir ehrlich sind, welcher Compliance Manager hat nicht zum Ziel, Head of Compliance zu werden, so über die Compliance-Strategie des Unternehmens zu bestimmen und andere Compliance Manager in seiner Abteilung zu führen? Die wenigsten stellen sich die Frage, ob sie in der Lage sind, Verantwortung für das Personal zu übernehmen oder überhaupt wissen, was Führung bedeutet. Wenn man sich in der Wirtschaft umschaut, dann stellt man fest, dass viele wirklich hervorragende Fachkräfte genau daran scheitern. Was macht also eine gute Führungskraft aus und wie führt man speziell in Compliance?

Julius Cäsar, unter vielen anderen Positionen in seinem CV Feldherr und Pontifex Maximus – also so etwas wie „Head of Compliance“ des Römischen Reiches, stand im Jahre 58 v.u.Z. vor einem Problem: Seine Soldaten hatten Angst, im Kampf gegen die Germanen zu „underperformen“. Denn es ging ein Gerücht über die Unbesiegbarkeit der Germanen um. Sie fühlten sich also dieser Aufgabe nicht gewachsen und kommunizierten ganz klar, diesen Feldzug machen sie nicht mit (allerdings unter dem Vorwand, die Wege im Land der Germanen seien zu eng). Als Feldherr kann man da schon die Nerven verlieren, wenn einem sein Heer die Gefolgschaft verweigert. Cäsar aber hatte brillante Leadershipfähigkeiten: Er schrie seine Soldaten nicht an, drohte ihnen nicht mit Strafen und versuchte sie nicht, mit Reichtümern zu locken. Er überzeugte sie verbal, ihr Leben zu riskieren. Wie machte er das?

Cäsar rief sein Mittelmanagement, die Zenturionen, zu sich und hielt vor ihnen eine intrinsisch motivierende Rede, in der er sagte, dass man die Germanen nicht zu fürchten brauche, erzählte ihnen von deren Schwachstellen, fragte sie, ob sie denn an seinen Feldherrnfähigkeiten zweifelten und verkündete zu guter Letzt, er werde aus Gründen der für Römer untypischen Feigheit nur mit seiner Lieblingslegion Nr. 10 in die Schlacht gegen die Germanen ziehen. Hat also seine Rede psychologisch richtig an die Zielgruppe angepasst und sie so dazu motiviert, ihre Meinung zu ändern. Selbstverständlich hat sein Heer die Germanen besiegt. Was denn sonst?

Aber was zeigt uns dieses Beispiel mehr als 2000 Jahre später? Das verdeutlicht uns, welche Fähigkeiten man als Führungskraft haben muss, um andere Menschen zu führen und so zu guten Leistungen zu motivieren. „Wer das Gefühl hat, er ist der Führungsaufgabe nicht gewachsen, der soll Fachkarriere machen und nicht Verantwortung für Menschen übernehmen. Eine Führungskraft muss ein genuines Interesse an Menschen haben. Wer es hat, der stellt sich dieser Aufgabe und bewältigt auch die kulturellen Unterschiede. Denn die Menschen sind überall für die Grundprinzipien der intrinsischen Motivation ansprechbar“, so Prof. Dr. Wolfgang Jenewein, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Direktor des Executive MBA und Direktor der Forschungsstelle für Customer Insight an der Universität in St. Gallen. Die intrinsische Motivation entsteht aus sich selbst in jedem Menschen, zum Beispiel wenn jemand eine bestimmte Aufgabe mit Interesse macht, weil es den eigenen Überzeugungen oder Werten entspricht.

Eine Führungskraft muss also verstehen, wie sie diese intrinsische Motivation weckt. „Man muss an die Motivation der Menschen, ihre Stärken und Leidenschaften appellieren und diese in Einklang mit den Interessen der Organisation bringen. Hier sollte man so führen, dass gemeinsame Projekte und Visionen im Vordergrund stehen, und nicht stur an Plänen festhalten oder die Menschen kleinteilig kontrollieren“, sagt Prof. Jenewein. „Erst dadurch schaffen es die Führungskräfte, ihre Mitarbeiter zu Extraperformance zu befähigen und übersummative Intelligenz im Team zu ermöglichen.“ Gemeint ist hier, dass es eine gute Führungsstrategie ist, wenn man als Führungskraft den Coaching-Gedanken und die Befähigung der Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt. Denn Mindestvoraussetzungen an Eigenmotivation müssen die Mitarbeiter schon selbst mitbringen. „Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man nicht die unmotivierten Mitarbeiter durch irgendwelche schlaue Verhaltensweisen zu motivierten Mitarbeitern drehen kann. Das schaffen die wenigsten und dauerhaft schafft es niemand. Die Führungskraft muss professionell sein und es erfordert auch gute Kommunikation und Transparenz“, sagt Prof. Dr. Angela Diehl-Becker, Psychologin und Professorin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.

Umstritten ist, wie weit man als Führungskraft auf die emotionellen Befindlichkeiten der Untergebenen eingeht. Es gibt schließlich keine Verpflichtung dazu, aus einer Compliance-Abteilung einen Wohlfühlladen zu machen. Es mag aber einzelne Situationen geben, wo es sinnvoll sein könnte, etwas einfühlsamer mit seinen Mitarbeitern umzugehen und Emotionen als Treiber oder Verhinderer von Compliance-gerechtem Verhalten zu identifizieren. „Wir wissen aus der Forschung über emotionale Intelligenz, dass die Führungskraft die einzelnen Mitarbeiter am besten dann erreichen kann, je besser sie die emotionale Komponente der jeweiligen Mitarbeiter kennt. Dieses Wissen wird besonders in Zeiten von Veränderungen relevant, denn Veränderungen verunsichern beziehungsweise verängstigen auch oder können zu selbstüberschätzendem Verhalten verleiten.

Somit wirken Emotionen sich unter Umständen hinderlich auf die Compliance-Orientierung aus“, erklärt Prof. a. D. Dr. Susanne Guski-Leinwand, Vertretungsprofessorin für Psychologie an der Fachhochschule Dortmund. „Soziale Verbindungen zwischen den Mitarbeitern, die vielleicht seit Jahrzehnten gewachsen sind, können konstruktiv genutzt werden, um in einem vertrauten Kreis das eigene Verhalten im Hinblick auf die Compliance-Anforderungen zu hinterfragen und angemessen im unternehmerischen Alltag zu zeigen, damit nicht die Emotionen zu Fehlverhalten verleiten. Solches Fehlverhalten könnte ein Auslassen oder Ignorieren von Compliance-Regeln bedeuten. In einem geschützten Rahmen – im Sinne einer kollegialen Supervision – kann das eigene Verhalten reflektiert und orientiert an den Compliance-Richtlinien gezeigt werden.“

Der Buchmarkt ist überfüllt mit Ratgebern zum Thema Leadership. Je nach Zeitgeist hat man auf einer Skala zwischen „hartem Hund“ und „demokratischen Führung“ die ganze Vielfalt und zum Teil sehr weit voneinander liegende Idealbilder. Zum Beispiel jetzt haben die Managementschulen plötzlich entdeckt, dass die Führungskräfte auch Gefühle haben und bei zu hohem Druck unter Burn-Out leiden. Oder ganz ernsthaft wird derzeit diskutiert, wie toll und experimentell es doch sei, was ein US-amerikanischer CEO macht. Er führt für die Mitarbeiter seines Unternehmens einen Blog, wo er jeden Tag über seine Unsicherheiten und sonstigen Gefühlsregungen schreibt und sich bekennt, dass er es auch mal nicht mehr weiterweiß.

Nun, dieses Extrem dürfte auch nicht nach jedem Geschmack sein. Die Mitarbeiter brauchen eine gewisse Sicherheit, dass wenigstens der Mensch an der Spitze weiß, wo es langgeht. Eine gute Führung ist eben nicht gleichbedeutend mit Seelenstriptease. Es hat viel zu tun mit Orientierung geben, Verantwortung übernehmen, Expertise und vielem mehr. Zum Beispiel auch damit, dass eine gute Führungskraft viele Gesichter haben muss. Das spielt darauf an, dass ganz besonders in den letzten Jahren in vielen Leadership-Ratgebern den Führungskräften zu einer authentischen Führung geraten wurde, also dass man sich so zeigt, wie man eben ist.

Das hat allerdings viele Haken, da man als Führungskraft anpassungsfähig und beweglich sein muss, um sich selbst nicht zu disqualifizieren. Aber Authentizität heißt weder, dass man sagt, was man denkt, noch dass man sich verstellt. „Man ist nicht authentisch, sondern man wirkt authentisch. Es gibt nicht die Authentizität, sondern man vermittelt nur den Eindruck, authentisch zu sein“, gibt Prof. Diehl-Becker zu bedenken. „Nach meinem Verständnis ist eine authentische Führungskraft eine sehr intelligente, sehr professionelle Führungskraft, die erkannt hat, dass es viele Situationen gibt, in denen sie den Eindruck des Authentischen erwecken sollte. Das heißt nicht, dass man etwas vorspielt. Zum Beispiel in schwierigen Situationen, in denen man vielleicht innerlich in Panik geraten könnte, sollte man das, wie man nach außen mit einem Problem umgeht, kontrollieren und gegenüber seinen Untergebenen authentisch den Eindruck vermitteln, dass die Situation zwar schwierig ist, aber wir einen Weg finden, um diese zu meistern.“ Die Kunst liegt darin, sich schnell zu orientieren und situationsadäquat zu führen. „Eine Führungskraft braucht eine hohe diagnostische Fähigkeit, um schnell zu erfassen, wie die Situation gerade beschaffen ist und welches Verhalten sie in dieser Situation braucht, um widrige Umstände wieder in positives Fahrwasser zu bringen“, fasst Prof. Diehl-Becker zusammen.

Was von allen Psychologen, die zum Thema Leadership forschen, einstimmig betont wird, ist, dass eine Führungskraft selbst auch ein Vorbild für seine Untergebenen sein muss. Das verdeutlicht Prof. Jenewein, der selbst unter anderem zum Behavioral Branding forscht: „Die Führungskraft vermittelt seine Werte unter anderem über sein Verhalten. Vorgesetzte, welche die Werte des Unternehmens vorleben und repräsentieren, werden von Mitarbeitern als positive Botschafter wahrgenommen und erhöhen so wiederum deren Bereitschaft zur Vermittlung der Markenwerte.“ Im Bereich Compliance, wo es um Integrität und ethische Werte geht, ist das ein besonders wichtiger Punkt. Michael Volz, Chief Compliance Officer des Wissenschafts- und Technologieunternehmens Merck, spricht hier von Verantwortung. „Verantwortung geht über das gesetzliche und rechtmäßige Handeln hinaus. Es bedeutet, dass ich mir die Konsequenzen meines Handelns vor Augen führe. Verantwortung ist für mich, wenn ich das, was ich tue, auch in der Zukunft noch rechtfertigen kann, wenn sich der Zeitgeist vielleicht geändert hat.“

Die Chief Compliance Officer sind durch die Themen, mit denen sie umgehen, sogar viel mehr exponiert, als normale Führungskräfte. Daher kommt es so sehr darauf an, zu überprüfen, mit welcher Haltung sie im Unternehmen Compliance-Themen predigen. Nehmen wir dazu zum Beispiel das Thema Fehlerkultur. Die aktuellen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet, so zum Beispiel die Forschung von Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (siehe Interview mit im Heft 2/15, ab S. 24), lassen den Schluss nahe, dass eine positive Fehlerkultur eine der entscheidenden Komponenten für den Erfolg eines Compliance-Programms sein kann, weil sie zu einem entkrampften Verhalten der Mitarbeiter beiträgt. Das führt zu einer Stimmung im Unternehmen, die erst möglich macht, dass über bestimmte Dinge gesprochen wird. Die zweite Wirkung einer positiven Fehlerkultur ist, dass sie zu besseren Leistungen einer Führungskraft beiträgt. Warum ist es so?

Weil man auf einer ganz anderen Grundlage seine Entscheidungen trifft. „Es geht darum, zu verstehen, was man tun kann, um eine offene Fehlerkultur und Transparenz zu ermöglichen. Denn man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Führungskraft möglichst viele Informationen nutzen muss, um darauf ihre Entscheidungen zu basieren und aus diesen Entscheidungen zu führen. Und eines der Probleme ist, wenn die Führungskraft einen sehr stark richtunggebenden Führungsstil hat, dann ist es für die Mitarbeiter in einem solchen Team relativ schwierig, Entscheidungen in Frage zu stellen oder auf Probleme hinzuweisen. Und das kann zu negativen Konsequenzen führen“, erklärt Prof. Dr. Jan U. Hagen, Professor für Leadership an der ESMT European School of Management and Technology. Allerdings ist es vielen Führungskräften gar nicht bewusst, dass sie so einen Führungsstil pflegen. „Die Führungskräfte sind der Meinung, dass sie einen kollaborativen Führungsstil haben und offen sind für Kritik. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass die Leute von sich aus sagen, was ihnen auffällt. Das liegt teilweise an der hierarchischen Position. Denn die Mitarbeiter denken, wer in einer Führungsposition ist, hat alle Informationen und ist kompetent. Alleine schon durch diese Annahme findet keine Kommunikation statt“, sagt Prof. Hagen. „So kommt es, dass, je höher man in der Hierarchie aufsteigt, desto weniger Informationen bekommt man. Oder man bekommt nur positive Informationen, weil jemand meint, dass man nur solche hören will.

Dabei ist es doch so, dass eine Führungskraft zwar durchsetzungsstark sein kann, aber sie die Realität nicht verändern kann.“ Was ist also die Lösung? Prof. Hagen hat in zwei Branchen Untersuchungen durchgeführt. Er beobachtete die Flugzeugbesatzung in der zivilen Luftfahrt und beim Militär dabei, wie sie Entscheidungen treffen. Beide Organisationen brauchen klare Hierarchien und Anweisungen, weil sie komplexe Operationen durchführen müssen. „Aber in solchen Organisationen kann man nicht Befehl und Gehorsam als Leitmaxime in den Vordergrund stellen, sondern vor allen Dingen Informationsbeschaffung. Denn nichts ist schlimmer, als eine effiziente militärische Operation, die am falschen Gegenstand durchgeführt wurde. Daher ist es so wichtig, Fragen zu stellen und auf Fehler hinzuweisen“, so Prof. Hagen.

Als Beispiel für einen guten Führungsstil hat Prof. Dr. Hagen im Cockpit der Piloten festgestellt, wie Entscheidungen in zeitkritischen Notsituationen schnell getroffen werden müssen. „In Cockpits zeigt es sich besonders gut, dass in Notsituationen nicht die besten Entscheidungen von Kapitänen getroffen werden, die besonders erfahren und ruhig sind. Viel entscheidender ist, dass der Flugkapitän in seinem Führungsverhalten offen ist. Und offen ist er dann, wenn er, anstatt zuerst eine Richtung vorzugeben und dann zu fragen, ob alle auch damit einverstanden sind, am Anfang seiner Entscheidungsfindung erst einmal Informationen einholt. Das bedeutet, dass der Flugkapitän zuerst die anderen nach ihrer Meinung fragt. Das ist die bessere Variante, denn in einer Hierarchie ist es sehr schwierig, gegen den Vorgesetzten zu reagieren. Es ist ein sehr effizientes Mittel, das man nutzen kann, um Informationen zu gewinnen. Und weder verliert man durch die Diskussion Zeit noch die Autorität“, sagt Prof. Hagen.

Der Alltag der Cheif Compliance Officer

Worum es bisher ging, ist der normative Bereich zum Thema Leadership. Es ging also darum, zu definieren, was nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine gute Führung bedeutet. Um zu erfahren, wie die aktuelle Situation der Chief Compliance Officer in den großen Unternehmen ist, muss natürlich auch die Empirie her. Dazu haben wir eine anonyme Umfrage unter den Heads of Compliance der DAX-30-Unternehmen durchgeführt. Wir haben unsere Studie auf DAX 30 beschränkt, weil wir dort am ehesten annehmen können, dass die Compliance-Organisation tatsächlich eine Abteilung ist, also Mitarbeiter da sind, die geführt werden müssen. Uns interessierte, wie die Heads of Compliance der DAX-30-Unternehmen ihre Rolle als Führungskraft verstehen, welche Themen sie derzeit umtreiben und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Die Ergebnisse der Studie haben wir vollständig und anonymisiert im Anschluss abgedruckt. Zusätzlich haben wir noch mit einigen Heads of Compliance, die an der Studie teilgenommen haben, vertiefende Interviews geführt.

In den Studienfragebögen haben wir den Heads of Compliance der DAX-30-Unternehmen insgesamt vier inhaltliche Fragen gestellt: 1. Welche Themen beschäftigen Sie derzeit? 2. Welchen Herausforderungen sehen Sie sich als Führungskraft gegenüber? 3. Was ist für Sie überhaupt eine gute Führung und was muss ganz besonders ein Head of Compliance leisten können? Und 4. Was ist Ihre persönliche „Best Practice“? Die Vermutung, dass sehr große Global Player ganz andere Themen in ihren Compliance-Abteilungen haben als zum Beispiel so manches Unternehmen im Mittelstand, ist naheliegend und hat sich bestätigt. Zum Beispiel machen sich ihre Heads of Compliance intuitiv die richtigen Gedanken zum Thema, was eigentlich gute Führung ist. Sie wissen, wie wichtig es ist, dass sie selbst eine gute Vorbildfunktion haben oder eine positive Fehlerkultur im Unternehmen geschaffen wird. Auch machen sich die Heads of Compliance von DAX-Unternehmen zu anderen Themen Gedanken.

Zum Beispiel treibt viele die Frage um, was danach kommt, wenn man sein CMS ausgerollt hat, alle möglichen Richtlinien geschrieben und wieder reduziert hat, die Mitarbeiter im ganzen Unternehmen ständig geschult und auf den letzten Stand gebrachthat. Was sollte eigentlich das Ziel sein, auf das man hinarbeiten soll? Kann man ohne Richtlinien arbeiten? Was sind die Themen der Zukunft, für die man schon heute Weichen stellen sollte? Auch wenn die KPI aus dem Bereich BWL nicht wirklich auf Compliance übertragbar sind, es gibt dennoch einen Druck im Unternehmen, die Wirksamkeit und den Mehrwert nachzuweisen. Was kann man hier machen? Sie fragen sich auch, wie sie motivieren und kommunizieren sollen, damit sie von ihren Compliance-Mitarbeitern eine gute Performance erwarten können. Herausforderungen sehen die Chief Compliance Officer in Fragestellungen wie zum Beispiel: Wie überzeugt man die Mitarbeiter im Unternehmen, dass Compliance mehr ist, als Gesetzestreue, sondern auch etwas mit der Unternehmenskultur zu tun hat undeinen Mehrwert bietet. Aber diesen Mehrwert muss man erst einmal plausibel nachweisen. Denn letztlich müssen es in erster Linie die operativen Bereiche auch als Mehrwert für sich anerkennen. Herausfordernd ist für sie auch, dass eine gewisse Einheitlichkeit in der weltweiten Compliance-Organisation hergestellt und erhalten werden muss und die Angemessenheit des CMS.

Welche persönlichen Eigenschaften eine gute Führungskraft generell haben und was sie leisten muss, haben wir oben dargelegt. Was muss aber darüber hinaus jemand leisten, der eine Compliance-Abteilung führt? Für eine Analyse haben wir uns noch zusätzlich drei weitere Bereiche angeschaut: Verhalten gegenüber Vorstand, strategische Konzeptionierung sowie Umgang mit Compliance-Mitarbeitern.

Sorge für deine Mitarbeiter

Die Heads of Compliance machen sich Gedanken, wie sie ihre Compliance-Abteilungen für den Nachwuchs, aber auch für den Wechsel aus den operativen Einheiten, interessant machen können. Aber auch die Wechsel aus dem Compliance-Bereich in die operativen Einheiten sind sehr wichtig. „Compliance braucht Erfolgsgeschichten. Wir hatten auch schon Wechsel in die operativen Bereiche, in den Einkauf und Vertrieb und einige meine ehemaligen Compliance-Mitarbeiter sind Geschäftsführer von Landesgesellschaften geworden. Aber es ist nicht ganz einfach“, sagt Dr. Klaus Moosmayer, Chief Compliance Officer und Head of Compliance von Siemens. „Man braucht einerseits einen festen Stab von Compliance-Mitarbeitern, die lange dabei sind, aber man braucht auch die Wechsler, die den Compliance-Gedanken weitertragen und ihn leben.“ Grundsätzlich herrscht diese Einstellung in allen großen Unternehmen. „Wir verstehen uns bei Merck als globale Organisation, die ihre Compliance-Mitarbeiter in verschiedenen Rollen und Positionen innerhalb des Unternehmens einsetzt. Die Grenzen sind durchlässig. Und das fördern wir auch sehr“, sagt Michael Volz. „Das ist eine Möglichkeit, wie wir unsere Mitarbeiter fördern. Und es hat sich bewährt, weil die Menschen sehen: es geht weiter.“

Dass die großen Organisationen sehr gute Möglichkeiten haben, ihre Compliance-Mitarbeiter weiterzubilden, versteht sich von selbst. Aber die Fürsorge eines Heads of Compliance geht in so manchem Unternehmen auch darüber hinaus. „Wir verwenden sehr viel Zeit auf die zentrale Herausforderung, wie man aus einzelnen Compliance-Mitarbeitern vor Ort eine schlagkräftige Einheit formen kann. Die Kolleginnen und Kollegen sind lokal eingebunden und unterstützen das Management in der jeweiligen Region, dennoch sind sie Teil eines globalen Compliance Teams. Das schaffen wir aber nur, wenn wir permanent in Kontakt bleiben und uns alle mindestens ein Mal pro Jahr tatsächlich treffen. Auf diese Weise erzeugen wir positive Erlebnisse und eine Verbindlichkeit, die hilft, auch schwierige Fragen offen, vertraulich und ehrlich zu besprechen“, erklärt Dr. Cornelia Godzierz, Head of Compliance der Linde Group. „Ein Kernelement dieses engen Austausches sind beispielsweise regelmäßige Video-Konferenzen zu Fachthemen. Bei einem globalen Konzern wie der Linde Group bedeutet das, dass es bei dem einen 22 Uhr in der Nacht ist und bei dem anderen früher Morgen.

Deshalb müssen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr diszipliniert sein, um konzentriert an den Themen zu arbeiten. Entscheidend ist, den Ablauf sehr gut vorzubereiten und jedem Mitglied einen Mehrwert zu bieten; ein Mehr an Wissen, Sicherheit und Erkenntnis. Deshalb haben unsere Video-Konferenzen immer eine Agenda und ein klares Ziel, damit die Kolleginnen und Kollegen wissen, warum sie unter ‚widrigen‘ Umständen teilnehmen.“ Daran sieht man das Bestreben, die eigenen Mitarbeiter mit ihren lokalen Problemen nicht alleine zu lassen. „Man kann so ein Team nicht vom Schreibtisch aus führen. Wir legen einen großen Wert darauf, dass alle neuen Mitarbeiter bei uns in interkulturellen Teams hier in Deutschland zusammenkommen. Ich spreche mit ihnen von Beginn an. Es ist wichtig, damit wir von Anfang an gemeinsam an Themen arbeiten, damit wir gemeinsame Grundsätze haben. Auf der anderen Seiten muss man auch zuhören, was die Themen in den jeweiligen Ländern sind“, so Dr. Moosmayer. „Es bringt wenig, nur über Emails zu führen. Ich rufe zum Beispiel meine Mitarbeiter einfach an. Bei neuen Themen bilden wir interkulturelle Teams und arbeiten zusammen. Dazu habe ich einen Leitungskreis mit Vertretern aus den Regionen. Hier muss ich Input abholen, denn nicht in allen Ländern ist das Compliance-Verständnis gleich. Damit muss man umgehen können.“

Zu einer guten Führung zählt zum Beispiel auch, dass man durch einen Rahmen versucht, den Mitarbeitern Halt zu geben. „Ein globales Compliance-Programm ist bei allen interkulturellen Unterschieden dennoch kein Wunschprogramm. Wir müssen schon unsere Leitplanken haben und ersteinmal die Grundrisiken absichern“, so Dr. Moosmayer. „Wir haben uns im Bereich Compliance mit unserem ‘Compliance Operating Model‘ eine innere Verfassung gegeben, wo wir festgeschrieben haben, was sind unsere Aufgaben, wer macht was, was sind die Leitungsfunktionen, wie werden Entscheidungen in der Compliance-Organisation getroffen, wie kann man sich persönlich einbringen, wo müssen wir aber auch kämpfen. Das ist unser Standard, er ist transparent und gibt den Mitarbeitern einen gewissen Halt und Orientierung. Wenn zum Beispiel neue Leute zu uns kommen, dann wissen sie, das ist der Rahmen, in dem sie sich bewegen werden.“

Gute Beziehungen zum Vorstand

Ein nicht hoch genug einzuschätzender Vorteil ist es, wenn man einen guten Draht zum Vorstand hat. Das muss eine Führungskraft können. Nicht zuletzt hängt in Compliance auch davon ab, ob das CMS im Unternehmen ernstgenommen wird und auch seriös betrieben wird. „Das Ziel muss sein, dass man zu den Vorständen jeweils einen sehr schnellen persönlichen Zugang hat. Praktisch heißt es, wenn ich von einem Vorstand etwas brauche oder informieren will, dass ich jederzeit sofort einen Zugang finde, und zwar außerhalb der normalen Vorstandssitzungen. Es ist wichtig, dass man so eine Beziehung hat, dass man den zuständigen Vorstand, wenn es darauf ankommt, schnell informiert und mit ihm dazu spricht. Man braucht nicht einen Dauer-Jour-Fix, sondern man muss so eine Beziehung aufbauen, dass man ganz natürlich die Themen zu den Vorständen tragen kann. Das ist ein langer Weg, der mit Vertrauen zu tun hat. Denn die Vorstände müssen aus Erfahrung wissen, wenn es wichtig ist, dann werden sie rasch informiert. Und ansonsten können sie sich darauf verlassen, dass die Themen ordnungsgemäß betrieben werden und wir dann in der regulären Vorstandssitzung gemeinsam über die Themen gesammelt sprechen. Es muss also ein ganz eingespieltes Verhältnis sein“, so Dr. Moosmayer. „Und man muss auch fair sein, dass man die Vorstände nicht überlastet mit allen möglichen Themen, die man eher in der Vorstandssitzung vortragen kann.“ Die Vorstände haben zwar per Gesetz eine Verpflichtung, für Compliance im Unternehmen zu sorgen, aber das ist nicht ihr einziges Thema – und einige Anzeichen sprechen dafür, dass es für sie auch nicht das wichtigste Thema ist. Deswegen ist es gut, wenn man mit Geduld in Richtung Vorstände am Vertrauensaufbau und Aufklärung arbeitet. „Ich sehe die Rolle des Chief Compliance Officers ähnlich der Rolle des Kollegen in der Rechtsabteilung, der schon lange dabei ist, auf den man hört und der für den Vorstand ein Partner ist“, sagt Michael Volz.

Eine ganz andere Frage ist es, wie Chief Compliance Officer mit gewissen „Spielen“, die auf dem Top-Level gespielt werden, umgehen sollen. Damit muss leider jede Führungskraft umgehen können. Wie verhält man sich als Chief Compliance Officer richtig? Die Psychologen, die sich mit Leadership befassen, sagen folgendes dazu: „Wichtig ist hier, dass man sich nicht in die Rolle des Hündchens reinbegibt. Bis zu einem gewissen Grad wird man mitspielen müssen. Aber dann müssen die Chief Compliance Officer auch wissen, wie man sich aus den üblichen Spielchen selbstbewusst raushält. Das erfordert aber höchste Professionalität und Konzentration. Um dauerhaft bei den übergeordneten Stellen Akzeptanz zu finden und ernst genommen zu werden, ist dieses Wechselspiel von ein bisschen mitspielen, aber an der entscheidenden Stelle dann doch Distanz zu wahren, notwendig. Begibt man sich zu stark rein ins Spiel, macht man sich überflüssig; hält man sich zu stark raus, dann kann man irgendwann zwar tapfer sagen, man habe alles versucht, aber wird trotzdem nicht erfolgreich sein“, so die Psychologin Prof. Diehl-Becker.

Das ist unglaublich schwierig, denn man hat in der Regel mit hochintelligenten „Spielern“ zu tun, die nicht umsonst die Position im Vorstand innehaben. Prof. Diehl-Becker rät daher dazu, in erster Linie mit sich selbst pfleglich umzugehen: „Man muss sich mit den eigenen Verletzungen auseinandersetzen. Das bedeutet, diese sich selber erst einmal eingestehen und dann an sich zu arbeiten. Erst dadurch schafft man, diese Verletzungen, die man in der Führungsposition immer wieder erleiden wird, doch soweit zu bewältigen, dass man eine Haltung emotionaler Unabhängigkeit einnehmen kann. Man muss sich selbst kennen und in der Lage sein, die anderen zu verstehen, denn sie spielen auch nur ein Spiel, weil sie es müssen, weil sie darin gefangen sind und nicht weil sie böse Menschen sind.“

Compliance strategisch nutzen

Neben dieser persönlichen Komponente einer Führungsposition gibt es natürlich auch noch die fachlich-strategische. Welches Vorgehen hat sich bisher in der Praxis bewährt? Zum Beispiel mit gesunden Menschenverstand bei der Aufsetzung der eigenen Strategie zu verfahren. „Um überhaupt erfolgreich zu sein, muss die eigene Strategie an die Unternehmensstrategie angeglichen sein. Man kann nicht eine Compliance-Strategie machen, die mit völlig eigenen Themen und Begrifflichkeiten arbeitet, das wird scheitern“, so Dr. Moosmayer. „Ein neuer Compliance Officer würde in erster Linie so vorgehen, dass er seine Ideen einbringen wird. Aber ich kenne das Unternehmen sehr gut und weiß genau, was seit 2006 passiert ist. Das hilft mir auch, zu wissen, wo die Belastungsgrenzen der Organisation sind.“

Interessant ist, dass sich die Heads of Compliance in der Zwischenzeit angefangen haben, sich Gedanken um das strategische Ziel zu machen, worauf man mit dem CMS zusteuert. Was kommt danach? Und was muss man auf dem Weg dorthin machen? „Compliance muss sehr nahe am Geschäft sein. Aber nicht im Sinne, dass wir den Kollegen im operativen Geschäft auf Schritt und Tritt folgen, sondern dass wir wissen, was im Geschäft läuft, weil wir erst dann adäquat die Geschäftsabläufe gestalten können und als Partner verstanden werden. Ich denke, dass sich daraus dann eine ganz natürliche Interaktion zwischen dem Geschäft und Compliance entwickelt, die am Ende dazu führen muss, dass das Geschäft es alleine bewältigt. Und der Compliance Officer nur noch als Monitor, Schiedsrichter und Berater mithilft“, so Michael Volz. „Das ist ein evolutionärer Prozess, bei dem man daran denken muss, sich irgendwann wieder daraus zurückzuziehen. Man muss auf eine geordnete Art und Weise loslassen.“ Diese entspannte Sichtweise von Kontrolle und Regulierung dann aber des Loslassens wird auch von anderen geteilt. „Solange die Organisation noch nicht reif ist, brauchen wir konkrete Richtlinien. Irgendwann wird das Verhalten selbstverständlich, so dass die Richtlinie in den Hintergrund tritt. Aus Transparenz- und Dokumentationsgründen bleiben Richtlinien bestehen, aber ihre Bedeutung tritt zurück – eben weil durch die Einhaltung der erforderlichen Prozesse das gewünschte Verhalten in die DNA des Unternehmens Eingang gefunden hat. Natürlich sollte man immer kritisch prüfen, ob und in welchem Bereich die Organisation schon so weit ist, dass man einzelne Richtlinien gegebenenfalls zurücknehmen kann“, so Dr. Cornelia Godzierz.

Wir haben gesehen, was eine Führungskraft, ganz gleich ob in Compliance oder einem anderen Bereich, persönlich leisten muss. Das kann nicht jeder. Ohne solche Kapazitäten würde man auf lange Sicht scheitern. Im Gespräch mit den Heads of Compliance, die größere Abteilungen unter sich haben, merkt man speziell noch, dass sie sich mit Leib und Seele dem Thema Compliance verschrieben haben. Gleichzeitig verlieren sie sich aber nicht im kleinteiligen Alltagskampf, sondern sind fähig, ihre Strategie und sich selbst kritisch zu hinterfragen und das Ganze von der Seite zu sehen, um zu erkennen, wohin eigentlich die Reise gehen soll. Und das muss man auch können.

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