Der 3. Bundeskongress Compliance Management

BCM

Unpersönliche Berichte von Veranstaltungen à la „zuerst kam das, danach war jenes“ sind oft recht langweilig zu lesen. Außerdem kann man eine Veranstaltung ja nur auf einem Weg erleben: durch die eigenen Augen. Gefiltert werden diese Erlebnisse durch die sorgfältig gepflegte Voreingenommenheit, also alles recht persönlich. Und da ich einerseits kein Compliance Officer bin, andererseits mich durch meine jahrelange Arbeit dieser liebenswerten Gemeinde verbunden fühle, bin ich eine Halb-Außenseiterin. Hier also, mein sehr persönlicher Kongress-Bericht:

Die Irrwege einer ­Halb‑Außenseiterin

Der 3. Bundeskongress Compliance Management 2015 fand am 24. und 25. November in Berlin, im altehrwürdigen Hotel Ellington statt. Das große, langgezogene Gebäude wurde in den 1920er Jahren erbaut, das verrät alleine schon seine Fensterfront, zieht sich entlang der Nürnberger Straße und war vor seiner Karriere als Hotel auch mal Sitz der Berliner Finanzverwaltung. Auf den ersten Blick erscheint die „Location“ für eine Veranstaltung völlig ungeeignet, weil zum Beispiel die Garderobe sich nicht sofort finden ließ und es mir ansonsten zuerst so vorkam, dass die Tagungsräume nur auf verwinkelten Pfaden zu erreichen sind. Aber das lag einfach daran, dass ich, wie nicht anders zu erwarten war, durch die falsche Tür ins Ellington Einzug hielt. Der Nebeneingang ganze 50 Meter weiter hätte mich unmittelbar ins Kongressgetümmel befördert (und vor allem zuerst zur Garderobe). Auch die Sache mit den verwinkelten Pfaden legte sich, sobald das Gehirn eine räumliche Karte des Veranstaltungsorts aufgebaut hat. Und dann findet man plötzlich die hellen Räume, die teilweise weiße Böden haben, und das Foyer im Erdgeschoß mit den nach innen zum Hof gewandten Glasflächen, sehr stilvoll und gediegen. Die Lounge-Musik trug auch noch ihren Teil zum Einlullen der Besucher bei. Kurzum: Es war alles dem feierlichen Anlaß angemessen.

Pünktlich um 9:30 Uhr begann die Zeremonie der Eröffnung des Kongresses. Dieses Jahr gab es zwei Themenschwerpunkte: Compliance-­Organisation und Compliance-Kommunikation. Diese Themen wurden vor allem am ersten Tag in fünf parallel laufenden Panels behandelt. Und natürlich ging es viel um Kartellrecht und Anti-Korruption – die beiden Herzensthemen eines jeden Compliance Managers. Üblicherweise werden größere Zusammenkünfte von Vereinigungen durch Präsidenten eröffnet und dann von einem professionellen Moderator durch die Veranstaltung geführt. Beim Bundeskongress des Berufsverbands der Compliance Manager war es natürlich nicht anders: Der Präsident, Mirko Haase (Regional Compliance Officer Europe bei Adam Opel AG) eröffnete den dritten Bundeskongress. Er tat auch das, was jeder Präsident tun muss – er beschwor in seiner Rede den Zusammenhalt der Gemeinschaft, führte vor Augen, was der BCM für seine Mitglieder macht (und das ist recht viel), und erinnerte daran, dass in diesem Jahr seine erste Amtszeit ablief (wurde später am Nachtmittag wiedergewählt). In seiner Eröffnungsrede ging er auf die Situation der Compliance Officer ein, die von gewissen Zwängen und Widersprüchen geprägt ist: „Was wir gestern noch nicht auf unserer Agenda wähnten, liegt morgen schon als Aufgabe vor uns und muss bewältigt, integriert und optimal und rechtssicher abgebildet werden. Wir sind ethischen Werten und Integrität im Kontext wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen und vor allem auch dem unternehmerischem Erfolg verpflichtet – in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns als Compliance-Verantwortliche jeden Tag.“ Deswegen sah er es noch nicht „ausgelotet, wo die Verantwortung der Compliance-Abteilung beginnt beziehungsweise wo sie ganz sicher endet.“

Herr Haase schlussfolgerte, dass dieses Spannungsfeld, in dem sich die Compliance Manager befinden, ebenfalls hohe Anforderungen an die Compliance-Organisation stellen würde: „Insbesondere die Compliance-Organisation muss zum einen angemessen sein und zugleich so wandelbar bleiben, dass sie alle ihr zugetragenen Aufgaben aufnehmen kann. Zugleich müssen wir eine Kultur etablieren in der Compliance tatsächlich gelebt wird.“ Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Susanne Femers-Koch, die seit 2002 Professorin für „Text, Rhetorik und das Management internationaler Kommunikationsprozesse“ im Studiengang Wirtschaftskommunikation an der HTW Berlin, Hochschule für Technik und Wirtschaft ist. Und ich fand, das hat sie mit viel Eigeninitiative sehr gut gemacht.

Wer hat Angst vor der ­Zukunft?

Mir persönlich sind besonders die beiden Keynote-Speaker in Erinnerung geblieben. Die Eröffnungs-Keynote hat Marlehn Thieme gehalten, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung und Aufsichtsratsvorsitzende der Bank der Kirche und Diakonie. Sie sprach über „Compliance als Voraussetzung für nachhaltigen Unternehmenserfolg“. Ihre Botschaft war, in den Unternehmen müsse es einen Bewusstseinswandel geben, so dass die Nachhaltigkeit – und dazu trägt Compliance ihren großen Teil bei – keine lästige Pflicht mehr sei. Bereits wenn in den Unternehmen Ideen entwickelt werden, also Innovationen stattfinden, müsse sich Compliance im Namen der Nachhaltigkeit einmischen. Da hat sie den Compliance Officern sozusagen aus dem Herzen gesprochen. Ich dachte mir, es wäre noch schöner, wenn irgendjemand nachweisen könnte, dass all diese nachhaltigen Dinge durch die Stake- und Shareholder irgendwie honoriert werden. Bisher fehlt aber so ein Nachweis.

Die zweite Keynote-Rede hat am Tag darauf Daniel Domscheit-Berg gehalten. Der Titel „Wert des Whistle­blowings – Warum wir eine neue Transparenzkultur brauchen.“ Domscheit-Berg war von 2007 bis 2010 ­Sprecher von WikiLeaks, baute zusammen mit Julian Assange WikiLeaks aus,  und ist jetzt Netzaktivist und Autor. Und ich muss ehrlich zugeben, dass es mir, während ich seinen Zukunftsszenarien lauschte, schon etwas angst und bange um die Zukunft wurde. Er sagte – und ich gebe es hier wortwörtlich wieder –: „Wenn Sie heute schauen, wie sich die digitale Revolution auf die ganze Welt auswirkt, dann erleben wir gerade so etwas wie die Heirat von einer Art Turbo-Kapitalismus, der aus den vergangenen industriellen Revolutionen resultiert, mit den Technologiesystemen, die eine Verschiebung von Macht und überhaupt ein Mehr von Macht bedeuten. Das geht in die Richtung, die wir so historisch noch gar nicht kennen. Das führt dazu, dass wir heute Unternehmen haben, wie zum Beispiel Google oder Facebook und einige andere, die über so viel Macht über den Rest der Gesellschaft verfügen, was wir uns das so gar nicht vorstellen können. Facebook kann anhand der Daten, die im Konzern vorhanden sind, mit einer absoluten Wahrscheinlichkeit sagen, ob Sie in acht Wochen von Ihrem Ehepartner geschieden werden, und zwar längst, bevor Sie das selbst wissen. Und wir werden uns in den nächsten Jahren in eine Zeit entwickeln, in der viel mehr Daten vorhanden sein werden und in der die Algorithmen und die künstliche Intelligenz so gut sein werden, dass die Auswertung all der Daten überhaupt keine Frage mehr sein wird. Das löst aber wiederum ganz viele Fragen aus: Wie soll diese Gesellschaft dann aussehen?“

Und vor allem, wie soll dann der Schutz aussehen? Das Ganze ist doch irgendwie unheimlich. Daniel Domscheit-Berg fand aber, dass gerade darin die Chance für all die Berufsgruppen liege, die sich um die Sicherheit und jede Art der Nachhaltigkeit im Unternehmen kümmern: „Ich glaube, dass Sie sich auf diese Welt einstellen werden müssen. Ich glaube aber auch, dass das Ihre Position im Unternehmen stärken kann. Denn es gibt immer die Möglichkeit, dass das, was nicht compliant ist, ans Licht kommt. Und das ist eine ganz gute Drohkulisse zu Ihren Gunsten. Denn Sie sind diejenigen, die versuchen, gegen den Unwillen im Unternehmen mehr Transparenz und mehr Festhalten an den Regeln durchzusetzen. Wo Sie argumentieren müssen, warum es wichtig ist, dass man keine Ausnahmen macht. Ich glaube, der Umstand, dass alles irgend­wann an die Öffentlichkeit kommen kann, kann Ihnen dabei helfen.“ Also, es wird schlimm, aber Ihre Position im Unternehmen wertet es auf. Glück im Unglück.

Traditionen und Rituale

Schon nach drei Jahren konnten sich auf dem Bundeskongress Compliance Management gewisse Traditionen herausbilden. Dazu gehört zum Beispiel, dass jedes Jahr eine neue Berufsfeldstudie vorgestellt wird und es wird der alljährliche Nachwuchsförderpreis verliehen, aber auch, dass es am Abend während des Gala Diners jedes Mal einen komödiantischen Auftritt der Künstler und manchmal auch eines Wissenschaftlers gibt (letztes Jahr hatten wir mit Prof. Dr. Jens Weidner vom Deutschen Institut für konfrontative Pädagogik gelacht). Compliance ­Officer sind sowieso ein recht humorvoller Haufen, schade nur, dass sich das so gar nicht in ihrer unternehmens­internen Kommunikation widerspiegelt. Überhaupt geredet und gelacht wurde viel: Viele kennen sich schon seit langem und freuen sich darauf, einander mal wieder persönlich zu sehen und Neuig­keiten auszutauschen. Andere haben das Unter­nehmen gewechselt, wodurch sich ihr Themenschwerpunkt innerhalb von Compliance verschoben hat, und so suchen sie nun nach Gleichgesinnten innerhalb der BCM-Gemeinschaft. Viel gesprochen wird auch über die Verbandsarbeit und ob wir denn tatsächlich einen ausdrücklichen Ethikkodex brauchen – denn solche ethischen und moralischen Grundsätze sind doch schon im Beruf sozusagen immanent vorhanden und überhaupt erst die Voraussetzung zur Ausübung eines solchen Berufes (es hat sich später in der Mitgliederversammlung herausgestellt, dass die BCM-Mitglieder es nicht brauchen). Und manche wurden am zweiten Kongresstag zum zweiten Mal Vater (herzlichen Glückwunsch an ­Heiko Wendel).

Die angewandte Korruption

Am Abend des ersten Kongresstages gab es – der Tradition entsprechend – das Gala Diner. Als Speise wurden gebackene Tomaten-Rosmarintarte mit Ziegenkäse und Rucola, geschmorte Rinderbacke mit grünem Spargel, Kartoffelgratin und Pommery Senf Jus und für die Vegetarier gab es als Hauptgang Pecorino Ravioli mit Feigen, gerösteten Cashewkernen und Steinpilzcreme gereicht, dazu gab es noch Süßspeisen wie Panna Cotta, Grießflammerle und Nougat-Topfenknödel. Auf den weiß gedeckten Tischen standen Karten mit dem Programm. Und als einer der Programmpunkte wurde der Auftritt von Julia Draxler und Roland Spitzlinger, der beiden Vorständen vom Institut für angewandte Korruption, angekündigt. Wir vom Tisch Nr. 6 rätselten, was wohl der Geschäftszweck dieses Instituts sei. Wird dort doziert, wie man Korruptionshandlungen am besten vornimmt? Nach einer Weile des gelehrten Grübelns kam die Tischnachbarin zu meiner Linken, Cornelia Koch (erste Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Compliance Manager und Lead Senior Legal Counsel Compliance bei der SAP AG) auf einen stichhaltigen Gedanken: der Terminus „Institut für angewandte Korruption“ ist nicht ernst gemeint! Das hat sich durch die Performance des Duos Julia und Roland dann doch tatsächlich bestätigt. Die beiden machten sich über die Welt der Unternehmenskriminellen lustig. Und am Schluß übten wir sogar gemeinsam ein, was wir antworten sollten, wenn wir vor den Ermittlungs­beamten sitzen – dies passiert natürlich aber nur dann, sollten wir bei der Ausführung unserer Straftatbestände nicht geschickt vorgegangen sein (deswegen „sitzen“ wir ja jetzt vor diesen Ermittlungsbeamten). Für den Fall, dass jemand nicht mitgeschrieben hat, hier sind die korrekten Antworten, die auf jede beliebige Frage des Staatsanwalts passen: 1. Ich kann mich nicht erinnern 2. Ich kann diese Frage nicht beantworten, ohne ein Geschäftsgeheimnis zu verletzen. 3. Was war die Frage? 4. Bei mir kostet das soviel. 5. Der Erfolg gibt uns ja Recht!

Zum zweiten Mal wurde auf dem Gala Diner der Nachwuchsförderpreis verliehen. In der Kategorie „Beste Bachelor- und Masterarbeiten“ wurde Janina Oberkersch von der Technischen Hochschule Deggendorf für ihre Masterarbeit „Anwendbarkeit und Potenziale eines Compliance ­Management Systems in der Hotellerie  – diskutiert am Beispiel der Lindner Hotels AG“ ausgezeichnet. Zum ersten Mal wurde auch ein „Promotions-Preis“ verliehen: In der Kategorie „Beste Dissertationen“ wurde Dr. Christine Butscher von der Hochschule Konstanz für ihre Dissertation zum Thema ­„Anti-Fraud Management und Corporate Governance im Mittelstand“ prämiert. Wie schon letztes Jahr war Prof. Dr. Stefan Siepelt, Rechtsanwalt bei LLR sowie Honorarprofessor für Wirtschaftsrecht und Geschäftsführender Direktor des „Instituts für Compliance und Corporate Governance“ an der Rheinischen Fachhochschule Köln, der Laudator des Nachwuchsförderpreises.

Nach dem rauschenden Fest ging es am zweiten Tag wie gewohnt weiter. Schwerpunkte waren Compliance im Health Care-Bereich, bei den Banken und in den Stiftungen. Und Prof. Dr. Henning Herzog und Prof. Dr. Jens Grundei von der Quadriga Hochschule in Berlin haben die neue Berufsfeld­studie des Berufsverbandes der Compliance Manager vorgestellt. Dieses Jahr ging es bei der Studie um „Die Compliance-Organisation. Wie ist Compliance in Deutschland organisiert?“. Die Studien­leiter wollten die Rahmendaten der Compliance-Organisation und die Verortung der Führungsebene (hierarchische Anordnung, Gründe, Anforderungen, Befugnisse und Verbesserungen) sowie das Verhältnis der Compliance-Organisation zum Aufsichtsorgan analysieren und beschreiben. Diese Studie kann übrigens über die Geschäftsstelle des Berufsverbandes der Compliance Manager bezogen werden. Wer einen zusammenfassenden Bericht darüber lesen möchte, kann dies im Herbst-Heft 2015 des Compliance Managers tun (Ausgabe 5, 2015, ab S. 48).

Natürlich gäbe es noch mehr zu berichten, denn schließlich haben 370 Teilnehmer 41 Vorträge, 3 Diskussionsrunden und 2 Keynotes besucht. Und ich vermute, dass alle Kongressbesucher ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben, die sich von meinen unterscheiden – aber deswegen ist es auch mein persönlicher Bericht. Es gibt sicherlich Raum für Verbesserungen, aber wozu an Kleinigkeiten herummeckern? Es geht doch um etwas anderes – um die Gemeinschaft; es geht darum, dass Menschen zusammenkommen, die sich für ihren Berufsstand engagieren möchten. Und wir wissen alle, dass es angesichts der Situation, in der sich die Compliance Manager befinden, sehr nötig ist, dass man sich zusammentut. Mit meinem Bericht wollte ich die wunderbare Stimmung auf dem Kongress einfangen. Mich hat es gefreut, zu sehen, wie der Verband wächst und sich weiterentwickelt, mit wieviel Kraft und Initiative sich die Mitglieder des Präsidiums, aber auch viele der Leiter der Fach- und Regionalgruppen für den Verband einsetzen (obwohl sie alle noch einen Vollzeitjob als Compliance Manager haben), so viele Compliance Manager zu treffen, die die Verbandsarbeit ernst nehmen, sich engagieren und auch in den Netzwerkpausen lebhaft über das Verbandsleben diskutierten und daran aktiv teilnehmen! Irgendwie verlässt man dann den Bundeskongress mit dem Gefühl, dass die Mitglieder es in nur drei Jahren geschafft haben, eine gut funktionierende Gemeinschaft zu werden und dass die Dinge in die richtige Richtung gehen, oder?

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