Da ist was faul im Staate UK

Kartellrecht

Im Vereinigten Königreich hat die Competition and Markets Authority (CMA) für eine Behörde eine erstaunlich vernünftige und weitsichtige Idee gehabt: Sie beauftragte das Unternehmen IFF Research, eine Studie durchzuführen, wie das Kartellrecht unter den Unternehmen des Vereinigten Königreichs wahrgenommen wird. Was wissen die UK-Unternehmen darüber? Diese Studie wurde im Frühling 2015 unter der Überschrift „UK businesses‘ understanding of Competition Law“ veröffentlicht.

Da wir an dieser Stelle in jedem Heft mehrere Studien zu einem Thema vergleichen, wäre es schön gewesen, wenn wir Studien mit ähnlicher Fragestellung aus anderen Ländern hätten. Leider gibt es solche Studien nicht, zumindest nicht auf Englisch. Dennoch: Auch wenn die Studie die Verhältnisse im Vereinigten Königreich widerspiegelt, hilft sie auch den Compliance Officern im deutschsprachigen Raum: Sie regt zum Nachsinnen an, wie es wohl um das Wissen des Kartellrechts in den deutschen Unternehmen bestellt ist. Denn, wer weiß, vielleicht ist auch bei uns der Stand der Dinge hinsichtlich des Kartellrechtswissens nicht besonders weit von den Verhältnissen der Unternehmen auf dem „Albion“ entfernt?

Wer kontaktiert wen und wozu?

An der Studie haben insgesamt 1.201 Unternehmen aus dem UK teilgenommen (19 Prozent große Unternehmen, 14 Prozent mittlere Unternehmen sowie insgesamt 47 kleine und sehr kleine Unternehmen).

Sie beginnt damit, dass die Regelmäßigkeit und der Grund für Kontakte der Mitarbeiter zu anderen Unternehmen, darunter auch aus der eigenen Branche, abgefragt werden. Aus Compliance-Blickwinkel interessieren uns natürlich mehr die Kontakte in dieselbe Branche. Insgesamt 44 Prozent der Befragten gaben an, jede Woche Kontakt zu den Mitarbeitern aus anderen Unternehmen derselben Branche zu haben, bei 20 Prozent war es monatlich. Zusammengenommen sind es also 64 Prozent der Befragten, die regelmäßig und mindestens einmal im Monat Kontakt zu Konkurrenten haben. Der größte Anteil der Befragten, insgesamt 80 Prozent, war dabei aus großen Unternehmen.

Nun wäre es paranoid, wenn der Compliance Officer bei jedem Kontakt zur Konkurrenz Preisabsprachen vermuten würde. Dementsprechend haben 44 Prozent der Befragten angegeben, dass sie regelmäßig Kontakte zu Unternehmen derselben Branche pflegen, die im Zusammenhang von geschäftlichen Transaktionen stehen. 36 Prozent tun das aus Gründen des Netzwerkens (das sind meist Mitarbeiter aus mittelgroßen Unternehmen). Und 9 Prozent der Befragten gaben zu, dass sie die Unternehmen zwecks Preisabsprachen kontaktierten (22 Prozent davon kamen aus der Baubranche). 8 Prozent der Befragten sagten, dass sie bei den Mitarbeitern anderer Unternehmen aus derselben Branche nach Rat und Unterstützung suchten.

Dass die Mitarbeiter regelmäßig Kontakte zu Unternehmen derselben Branche pflegen, bleibt ihren Kollegen nicht verborgen. Das gaben 62 Prozent der Befragten an. Überraschend ist aber, dass der Anteil der Mitwissenden steigt, je größer das Unternehmen ist. Zu vermuten wäre ja eigentlich gewesen, dass solche Kontaktaufnahmen eher in einem kleineren Unternehmen bekannt wären.

Die Sache mit den Preisen

Es ist konsequent, dass die CMA wissen will, wie es um die Preisbestimmung steht. Insgesamt 73 Prozent gaben an, dass sie die Preise der Konkurrenz beobachteten. Dazu ist im Bericht zu lesen:

„It is worth noting that those who had contact with other businesses in their sector on a weekly basis were also far more likely to monitor their prices regularly; almost half of these businesses (46 per cent) monitored competitor prices at least monthly, compared to a third (34 per cent) of those who had contact with businesses in their sector on a monthly basis and a quarter (24 per cent) who had contact with these businesses less than once a month.“

Die meisten Unternehmen bekommen den Preis der Konkurrenz über öffentlich zugängliche Informationsquellen mit (Werbung, Internet und dergleichen). An zweiter Stelle rangiert die Antwort, dass die eigenen Kunden das Unternehmen über die Preise der Konkurrenz informieren. Und 7 Prozent der Befragten fragen die Konkurrenz direkt.

Der Anspruch der Compliance-Programme ist es ja, eine „Awareness“ für bestimmte Compliance-Themen zu schaffen. Genau das ließ CMA abfragen. Dazu wurde den Studienteilnehmern eine Liste zur Auswahl vorgelegt, worunter auch Compliance-Kernthemen waren, und gefragt, ob dazu in den letzten zwölf Monaten auf dem „Senior-Level“ Gespräche stattgefunden haben und im Unternehmen Schulungen durchgeführt wurden. Bei den Antworten rangieren auf den ersten Plätzen keine Compliance-Kernthemen, sondern „Healthcare & Safety“ sowie „Employment Law“. Erst danach kamen Betrug (33 Prozent) und Anti-Korruption (24 Prozent). Und weit abgeschlagen auf dem letzten Platz mit 19 Prozent Kartellthemen, wobei nur 6 Prozent der Befragten in den letzten zwölf Monaten eine Anti-Kartellschulung hatten. Das sind von 1.201 Befragten gerade einmal 72.

Was die CMA zusätzlich enttäuschen dürfte, war das Ergebnis, dass lediglich 3 Prozent der Befragten sich über Kartellrecht gut informiert fühlten. 20 Prozent „fairly good“, der Rest versank in Kartellrechtsunwissenheit.

Das Interessante an der Studie ist, dass CMA sich nicht damit begnügt, eine „Bin-informiert-Antwort“ zu bekommen oder eben nicht zu bekommen – sie lässt die Antworten auch gegentesten, indem Kartellrechtswissen abgefragt wird (siehe dazu Figure 4.6). Ernüchternd stellen die Studienleiter fest:

„Large proportions of businesses do not understand what constitutes illegal horizontal anti-competitive behaviours. […]Abuse of dominance and Resale Price Maintenance are also misunderstood. […]Businesses also have a low understanding of the sanctions for anti-competitive behaviours.“

Für Compliance Manager, die Schulungen durchführen, ist es wichtig, zu wissen, wie eigentlich die Schulungsinhalte ankommen. Wie viel behalten die Schulungsteilnehmer? Gut wäre es, wenn man innerhalb des eigenen Unternehmens ebenfalls eine ähnliche Wissensabfrage machen könnte – dann wüsste man, wo man steht. Aber zumindest in Deutschland ist es ein unmögliches Unterfangen, denn dann hätte jemand, dessen Bezeichnung mit B beginnt, sofort etwas dagegen.

Hier ist jedenfalls das Studienergebnis für UK-Mitarbeiter:

„Half of respondents (50 per cent) from businesses who ran training sessions over the last 12 months answered 6–10 statements correctly and those who said they knew Competition Law well were significantly more likely to answer 6–10 statements correctly (46 per cent).“

Das ist ebenfalls enttäuschend – denn diese 50 Prozent müssen von 6 Prozent, die überhaupt Anti-Kartellschulungen hatten, gerechnet werden. Damit stehen die Compliance Officer wieder vor der Frage, was sie tun sollen, damit Compliance-Inhalte in den Köpfen bleiben.

Die Gegenüberstellung der Antworten der Befragten in Bezug auf das Risiko, dass im eigenen Unternehmen jemand das Kartellrecht bricht, zu den Antworten, ob sie schon einmal durch das kartellrechtswidrige Verhalten der Konkurrenten benachteiligt wurden (siehe Figure 5.4 und Figure 5.5), ist äußerst aufschlussreich. Nehmen wir zum Beispiel den Bausektor: Nur 18 Prozent der Befragten aus dem Bausektor gaben an, dass das Risiko für Kartellrechtsbruch in ihrem Unternehmen von „fairly high“ bis „very high“ ist. Gleichzeitig gaben aber 36 Prozent von ihnen an, dass sie hin und wieder von Kartellen benachteiligt werden, 5 Prozent denken sogar, dass sie konstant Opfer der Kartelle sind.

Das ist eine interessante Wahrnehmung: Es sind immer die anderen, die „uns“ benachteiligen. Aber aus dem eigenen Unternehmen? – Nein, dass „wir“ das tun, dieses Risiko ist nicht so hoch.
Diese Studie ist natürlich für UK aussagekräftig und – wenn man es sehr genau nimmt – nicht auf Deutschland übertragbar. Aber sie regt zum Nachdenken an und zur Hoffnung, dass unser Bundeskartellamt vielleicht ebenfalls auf die gute Idee kommt, eine Umfrage unter den deutschen Unternehmen zu machen.

Und wenn die Compliance Officer ganz viel Glück haben, dann könnte ja das Bundeskartellamt ebenfalls den Gegencheck wagen und das Kartellrechtswissen abfragen. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich für die Compliance Officer auch nicht schön. Was soll’s, dafür hilft es der Compliance-Arbeit.

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