Aktuelles zur Antikorruption im Gesundheitswesen

Healthcare-Compliance

Mit seinem Beschluss im März 2011 hatte der Große Strafsenat am BGH die Korruptionsdelikte des Strafgesetzbuches (StGB) auf niedergelassene Vertragsärzte für unanwendbar erklärt, weil diese nicht „Täter“ im Sinne des StGB sein können. Mag der Große Strafsenat damit die Sanktionierbarkeit von Fehlverhalten im Gesundheitswesen mit den Mitteln des Strafrechts (zunächst einmal) auch gebremst haben, so ist Ärzte-Bestechung deshalb aber nach wie vor nicht legal, schon gar nicht „völlig legal“.

Die besonderen Herausforderungen der Healthcare-Compliance

Antikorruption stellt Compliance-Beauftragte im Gesundheitswesen vor besondere Herausforderungen: Viele Kooperationspartner pharmazeutischer Unternehmen und zahlreicher anderer Leistungserbringer im Gesundheitswesen sind „Amtsträger“ im Sinne der Korruptionsdelikte des Strafgesetzbuches, die durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997 eine erhebliche tatbestandliche Weite erfahren haben. Es kommt hinzu, dass das Gesundheitswesen Ärzten die Funktion eines „Gatekeepers“ zuweist. Arztvorbehalt (§ 15 SGB V) und Verschreibungspflicht (§ 48 AMG) stellen erstattungsfähige Arzneimittel sowie die Leistungen der Erbringer von Heil- und Hilfsmitteln in die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Verordnungs- oder Zuweisungsentscheidung der Ärzte. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Ärzteschaft zum Ziel von Marketingmaßnahmen der Anbieter von Gesundheitsleistungen und von diesen umworben wird. Dies ist die öffentlich ignorierte compliance-relevante Systemschuld.

Der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen am BGH

Es ist daher zunächst zu begrüßen, dass die bedenkliche tatbestandliche Weite der Korruptionsdelikte, die durch die beschriebene „Gatekeeper“-Funktion der Ärzteschaft weiter verschärft wird, nicht noch eine weitere Expansion durch die „Arrondierung“ der niedergelassenen Vertragsärzte als taugliche Täter der Korruptionsdelikte erfahren hat. Die niedergelassenen Vertragsärzte sind, so der Große Senat für Strafsachen am BGH in seinem oben zitierten Beschluss, weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen und damit weder taugliche Täter der Amtsdelikte der Vorteilsannahme und der Bestechlichkeit (§§ 331, 332 StGB) noch der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB). Korrespondierend damit droht auch der Geberseite, also zum Beispiel Vertretern von Industrieunternehmen oder Einrichtungen der stationären Versorgung, keine Strafbarkeit wegen Vorteilsgewährung (§ 333 StGB), Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) bei der Zuwendung von Vorteilen an niedergelassene Ärzte.

Ärztliche Entscheidungen treffen die Gesundheit und die Solidargemeinschaft

Wie die zitierten Kommentierungen der Entscheidung des Großen Strafsenates durch die Presse erkennen lassen, wird diese Perspektive jedoch in der Öffentlichkeit keineswegs so angelegt. Vielmehr scheint ein Bedürfnis nach strafrechtlicher Pönalisierung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen zu dominieren. Dieses Bedürfnis ist gut nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen hält, welche Interessen durch eine anderslautende Entscheidung des BGH geschützt – oder treffender: gestärkt – worden wären: die aus Sicht anderer Anbieter von Gesundheitsleistungen bestehende Funktion des Arztes als „Gatekeeper“ erweist sich aus dem Blickwinkel der Patienten und der Solidargemeinschaft als „doppelte Treuhänderstellung“. In ihrer „physischen Dimension“ treffen die ärztlichen Verordnungs- und Zuweisungsentscheidungen die Patienten in ihrem wichtigsten Gut, der Gesundheit. In ihrer „ökonomischen Dimension“ treffen sie die Solidargemeinschaft in ihrem täglichen Kampf um die wirtschaftliche Existenz. Es verwundert daher nicht, dass die an Ärzte gestellten Erwartungen besonders hoch und damit korrespondierend das Bedürfnis einer strafrechtlichen Sanktionierung bei Enttäuschung dieser Erwartungen besonders akzentuiert sind.

Korruption im Gesundheitswesen ist verboten

Und es bleibt dabei: Korruption im Gesundheitswesen ist verboten. Sie war es vor der Entscheidung des Großen Strafsenates und sie ist es auch danach. Das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt ist in § 31 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) sowie in § 73 Abs. 7 SGB V verankert. Die Zuwendung wirtschaftlicher Vorteile für die Verordnung von Arznei- sowie Heil- und Hilfsmitteln in der GKV ist durch § 128 SGB V und berufsrechtlich ebenfalls in §§ 31 MBO-Ä untersagt. Mit § 7 HWG besteht für produktbezogene Werbemaßnahmen ein weiteres Zuwendungsverbot, das gemäß § 15 HWG auch bußgeldbewehrt ist. Darüber hinaus finden sich im Gesundheitswesen – insoweit einzigartig – mit dem Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. (FSA) und dem Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen e. V. (AKG) für den Bereich ärztlich-industrieller Kooperationsverhältnisse gleich zwei Selbstkontrolleinrichtungen, deren Mitglieder sich auf die Einhaltung sanktionsbewehrter Verhaltenskodizes verpflichtet haben.

Das Strafrecht als ultima ratio

Wenn man den Forderungen nach einer gesetzgeberischen Intervention unter Verweis auf nicht zu leugnende Defizite in der tatbestandlichen Reichweite und Sanktionierbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Zuweisungs- und Zuwendungsverbote sowie hinsichtlich des Vollzugs im Bereich des ärztlichen Berufsrechts beitritt, ist dies mit folgender Einschränkung zu versehen: ebenso wie ein Bedürfnis nach strafrechtlicher Sanktionierbarkeit von Fehlverhalten bestehen mag, besteht aus Sicht der Verfassung ein Bedürfnis nach einem vorhersehbaren Strafrecht. Die viel zitierte und gescholtene „Strafbarkeitslücke“ ist aus Sicht der Verfassung keineswegs immer „unerwünscht“, sondern vielmehr in dem dem Strafrecht durch die Verfassung zugewiesenen fragmentarischen Charakter angelegt. Das Strafrecht ist also bewusst (und nicht unerwünscht) lückenhaft, weil ihm die Funktion einer ultima ratio zukommt.

Soweit sich also der Gesetzgeber entscheiden sollte, das Gesundheitswesen einer „strafrechtlichen Therapie“ zu unterziehen, sollte er sich hierbei auf die eindeutigen und vor allem eindeutig strafwürdigen Fälle beschränken. Hierzu zählen die „Zuweisung gegen Entgelt“ und der „Kauf von Verordnungsentscheidungen“ durch Prämien- und sogenannte „Kick-Back-Zahlungen“. Es spricht im Hinblick auf die ultima ratio Funktion des Strafrechts nichts dagegen, diese klaren Erscheinungsformen von Fehlverhalten im Gesundheitswesen auch strafrechtlich zu sanktionieren. Der nur schwer greifbare Graubereich sonstiger Kooperationsbeziehungen im Gesundheitswesen zählt hierzu jedoch nicht. Auch er mag einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden. Verstöße dürfen aber nicht mit dem Schwert des Strafrechts geahndet, sondern müssen im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Vorhersehbarkeit des Strafrechts mit anderen, außerstrafrechtlichen Sanktionen belegt werden. Einer Kriminalisierung der häufig als strafwürdig befundenen „allgemeinen Klimapflege“ ist jedenfalls dort eine klare und eindeutige Absage zu erteilen, wo sie erlaubte – und wohlgemerkt: erwünschte – Kooperationsformen miterfassen könnte, wie dies insbesondere für den Bereich der Forschungsförderung oder der ärztlichen Fortbildung der Fall ist. Diese liegen auch im Interesse der Solidarsysteme und der Patienten und damit im allgemeinen Interesse.

 

 

Dr. Daniel Geiger

Dr. Daniel Geiger ist Rechtsanwalt und Mediator bei der auf das Medizin- und Gesundheitsrecht spezialisierten Kanzlei Dierks + Bohle Rechtsanwälte in Berlin und dort u.a. auf Healthcare-Compliance, Heilmittelwerberecht und Arzneimittelrecht spezialisiert. Vor seiner Tätigkeit bei Dierks + Bohle war Daniel Geiger zuletzt als Senior Legal Counsel, Head of Governance Risk & Compliance und Compliance Officer in einem forschenden Arzneimittelunternehmen tätig. Bis 2011 war er zudem Mitglied im Vorstand des Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie e. V. (FSA). Daniel Geiger ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen im Bereich des Pharmarechts und der Healthcare-Compliance.

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