5. Teil: Compliance als Teil von Zielvereinbarungen

Reihe: Compliance Essentials: Mitbestimmung des Betriebsrats

I. Sinn und Zweck von Compliance als Teil von Zielvereinbarungen

Zunehmend häufiger werden in Zielvereinbarungen, insbesondere wenn sie vergütungsrelevant sind, Ziele hinsichtlich der Einhaltung und Durchsetzung von Compliance aufgenommen. Üblich ist beispielsweise als persönliches Ziel, die regelmäßige Absolvierung von Compliance-Schulungen bzw. bei Vorgesetzten die Sicherstellung, dass ihre Mitarbeiter regelmäßig an Compliance-Schulungen teilnehmen. Ebenfalls wird mit Compliance-Officern in deren Zielvereinbarungen geregelt, dass sie bestimmte Compliance-Vorgaben im Unternehmen einzuführen bzw. durchzusetzen haben.

In diesem Zusammenhang stellt sich regelmäßig die Frage nach der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der verbindlichen Einführung entsprechender Zielvereinbarungsinhalte, bzw. soweit im Unternehmen/Konzern ein (Vergütungs-)System mit Zielvereinbarung noch nicht existiert, hinsichtlich der Einführung eines solchen.

II. Durchführung einer betrieblichen Mitbestimmung

1. Regelungen über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Mitarbeiter

Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezieht sich auf die Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb. Es erfasst die allgemeine betriebliche Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer, soweit deren Zusammenleben und Zusammenwirken berührt werden und damit ein Bezug zur betrieblichen Ordnung besteht. Von diesem sog. Ordnungsverhalten ist das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten zu unterscheiden. Hiervon erfasst sind solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar konkretisiert wird.

Beabsichtigt der Arbeitgeber im Betrieb erstmals ein Zielvereinbarungssystem einzuführen, so besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Durch die Verpflichtung, eine Zielvereinbarung abzuschließen, wird eine zusätzliche Verhaltenspflicht der Arbeitnehmer geschaffen, die sich nicht aus der Arbeitsaufgabe ergibt. Gleiches gilt für den erfassten Personenkreis und die bei den Gesprächen zu beachtenden Verfahrensregeln.

Soll hingegen abstrakt festgelegt werden, dass Compliance Teil einer jeden Zielvereinbarung sein soll, kommt es darauf an, ob hierdurch “lediglich” das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter betroffen ist, oder die soziale Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeitnehmer zueinander gestaltet werden soll. Entscheidend ist, welche abstrakten Ziele der Arbeitgeber vorgeben möchte. Beziehen sich diese auf das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Anders ist dies, wenn sich das abstrakt vorgegebene und für den gesamten Betrieb verbindlich geltende Compliance-Ziel auf das Ordnungsverhalten der Mitarbeiter im Betrieb bezieht.

Von diesen allgemeinen, betriebsübergreifenden Zielen sind der Inhalt der Verhandlungen und die Vereinbarung der konkreten “Compliance-Ziele” zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem zu unterscheiden. Diese sind mitbestimmungsfrei.

2. Regelungen über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen

Soweit die Zielvereinbarungen durch den Arbeitgeber elektronisch gespeichert werden, greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein, da es sich hierbei um die Anwendung einer technischen Einrichtung handelt, die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle bestimmt ist.

3. Regelungen über die betriebliche Lohngestaltung

Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG greift dann ein, wenn es um Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden geht. Mitbestimmte Entlohnungsgrundsätze sind die übergeordneten allgemeinen Regelungen, nach denen das Entgelt für den Betrieb, bestimmte Betriebsabteilungen oder Gruppen von Arbeitnehmern ermittelt werden soll. Durch die einseitige Bestimmung von “Compliance” als Teil einer jeden Zielvereinbarung stellt der Arbeitgeber allgemeine übergeordnete Regeln zur Entlohnung (“Verteilungsgrundsätze”) auf, die gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig sind. Mitbestimmungsfrei ist hingegen die individuelle Zielfestsetzung, d.h. das als Einzelfallregelung mit dem Mitarbeiter vereinbarte Unterziel innerhalb des vom Arbeitgeber abstrakt vorgegebenen Compliance-Ziels.

4. Regelungen über leistungsbezogene Entgelte

Maßgeblich für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG ist, ob es sich bei dem von der Zielvereinbarung abhängenden variablen Entgelt um ein mit Akkord- und Prämiensätzen vergleichbares Entgelt handelt. Eine solche Vergleichbarkeit ist bei Zielvereinbarungen gegeben, da sich die Vergütung nach dem konkreten und vom Arbeitnehmer selbst beeinflusstem, quantifizierbarem Arbeitsergebnis richtet und nach dessen Verhältnis zu einer bestimmten Bezugsleistung berechnet wird. Dem Betriebsrat steht daher ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG bei der Festsetzung der Sätze des Leistungslohnsystems zu, zu denen alle Bezugsgrößen gehören, die für die Berechnung der variablen Vergütung relevant sind. Demnach unterliegt die Regelung, dass “Compliance” Teil der Zielvereinbarungen und damit u.a. Grundlage für die Berechnung des Leistungsentgelts ist, der Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG.

5. Mitbestimmungspflichtiger Personalfragebogen

Zielvereinbarungsformulare stellen dann einen mitbestimmungspflichtigen Personalfragebogen iSd § 94 Abs. 1 BetrVG dar, wenn mithilfe des Zielvereinbarungsformulars standardisiert Arbeitnehmerdaten erfasst werden. Dies ist der Fall, wenn auf dem Zielvereinbarungsformular persönliche Angaben der Mitarbeiter erfasst werden. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer mündlichen Befragung entsprechende Daten erhoben und diese anschließend schriftlich fixiert werden.

6. Mitbestimmungspflichtige Beurteilungsgrundsätze

Regelmäßig enthalten Zielvereinbarungen Felder, in denen die vereinbarten Ziele konkretisiert werden. Hierdurch werden nicht nur die konkreten Ziele abschließend vereinbart, es erleichtert auch die Feststellung, ob die vereinbarten Ziele tatsächlich erreicht wurden. Hierin liegt eine Beurteilung des Arbeitnehmerverhaltens, die der Mitbestimmung aus § 94 Abs. 2 BetrVG unterliegt. Dient die Beurteilung jedoch – wie regelmäßig – der Entgeltfindung, so besteht ein vorrangiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Dr. Janna Knitter

Dr. Janna Knitter ist als Rechtsanwältin im Düsseldorfer Arbeitsrechtsteam von Allen & Overy LLP tätig. Sie verfügt über besondere Erfahrung in Betriebsrats- und Gewerkschaftsangelegenheiten sowie auf dem Gebiet der HR-Compliance. Bis zu ihrem Eintritt bei Allen & Overy LLP war sie in einem DAX30-Unternehmen als Syndika in den Fachbereichen Arbeitsrecht und Compliance tätig. 

Weitere Artikel