Kartell-Compliance – Wage-Fixing, No-Poach, KI als Kartell-Enabler – und Trainings, die Kartelle begünstigen?

BCK 2025 / Special

Kartellverstöße sind längst kein Thema mehr, das allein Geschäftsführungen, Vertrieb oder Einkauf betrifft. Spätestens seit dem „Stickoxid-Ausstoß-Kartell“ der fünf großen deutschen Automobilhersteller, das 2021 zu erheblichen Bußgeldern führte, ist klar: Kartellrecht greift überall dort, wo Unternehmen ihr Verhalten am Markt – direkt oder indirekt – aufeinander abstimmen. Im Fall des Stickoxid-Ausstoß-Kartells waren es die Entwicklungsabteilungen.

Heute können Wettbewerbsverstöße nicht mehr nur in vertraulichen Preisrunden, sondern auch in Datenräumen, Personalabteilungen und manchmal sogar im Anschluss an Compliance-Trainings entstehen. Neue Technologien, vernetzte Prozesse und wachsender wirtschaftlicher Druck führen dazu, dass sich Unternehmen in rechtlichen Grauzonen bewegen – oft ohne es zu bemerken.

Ob KI-gestützte Preissteuerung, verdeckte HR-Absprachen oder Trainings, deren Inhalte zur Kartellverschleierung werden: Die Grenzen zwischen Effizienz, Abstimmung und verbotener Kooperation können verschwimmen. Wettbewerbsbehörden reagieren darauf mit einem immer schärferen Blick auf interne Systeme, digitale Tools und die Unternehmenskultur selbst.

Künstliche Intelligenz verändert Märkte – und schafft neue Kartellrisiken
Preisabstimmungen finden zunehmend nicht mehr zwischen Menschen, sondern über Software statt. Besonders relevant sind Anwendungen im Preismonitoring und in der Preissteuerung: Wenn mehrere Wettbewerber dieselben Tools oder Dienstleister nutzen, kann eine faktische Preisangleichung entstehen – ohne direkte Absprache.

Die Gefahr liegt in der Black-Box-Logik vieler Systeme: Unternehmen wissen oft nicht, nach welchen Kriterien Algorithmen Preise anpassen oder auf Wettbewerber reagieren. So kann aus automatisiertem Lernen unbewusst ein algorithmisches Kartell werden.

Die Grenze zwischen zulässigem Preismonitoring und verbotener Abstimmung ist dabei nicht leicht zu ziehen. Entscheidend ist, ob eine koordinierte Marktreaktion dem Unternehmen zurechenbar ist. Compliance muss sicherstellen, dass eingesetzte KI-Systeme eigenständig handeln – und keine versteckte Abstimmung mit dem Wettbewerb ermöglichen.

HR-Absprachen als neues Kartellrisiko in Europa
Ein bislang unterschätztes Risiko rückt in den Mittelpunkt der Kartellaufsicht: Absprachen im Personalbereich. Was lange kein Thema war, entwickelt sich zu einem europäischen Fokus der Kartell-Compliance. Vereinbarungen zwischen Unternehmen über Gehälter („Wage Fixing“) oder über die gegenseitige Nichtabwerbung von Beschäftigten („No-Poach Agreements“) werden von den Wettbewerbsbehörden zunehmend als klassische Kartellverstöße verfolgt – mit denselben Sanktionen wie Preis- oder Marktaufteilungen. Schon lose Verständigungen oder informelle Branchentreffen können den Verdacht einer Wettbewerbsbeschränkung begründen.

In den USA wurden die Risiken solcher Absprachen schon lange sichtbar: Apple, Google, Intel und Adobe zahlten 415 Millionen US-Dollar, um einen Rechtsstreit mit rund 64.000 Beschäftigten beizulegen. Zwischen 2005 und 2009 hatten sich die Unternehmen heimlich verpflichtet, keine Mitarbeiter gegenseitig abzuwerben. Eine E-Mail des damaligen Google-Chefs Eric Schmidt an Steve Jobs, in der er versprach, einen Personalmanager wegen eines verbotenen Abwerbeversuchs zu entlassen, wurde zum Symbol eines Systems, das den Arbeitsmarkt manipulierte und Gehälter künstlich niedrig hielt.

Jetzt ist das Thema endgültig in Europa angekommen. Erst kürzlich verhängte die Europäische Kommission Geldbußen in Höhe von insgesamt 329 Millionen Euro gegen Delivery Hero und Glovo, der erste EU-Fall zu No-Poach-Absprachen. Die Unternehmen hatten sich unter anderem verpflichtet, keine Beschäftigten des jeweils anderen abzuwerben. Die Kommission wertete dies als Kartell mit dem Effekt, dass Löhne gedrückt, Mobilität eingeschränkt und Innovationsanreize geschwächt werden.

Kartellrecht betrifft also längst nicht mehr nur Preise oder Märkte – es schützt auch die Freiheit von Beschäftigten, ihren Arbeitsplatz frei zu wählen. Für Unternehmen bedeutet das einen neuen Fokuspunkt: HR-Strategien, Vergütungsmodelle und Recruiting-Praktiken müssen künftig unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden. Wer diese Entwicklung unterschätzt, riskiert nicht nur hohe Bußgelder, sondern auch Reputationsschäden in einem Bereich, der bisher selten auf dem Radar der Compliance stand.

Wenn Compliance Trainings Kartelle fördern
Manchmal entsteht das Risiko nicht durch mangelnde Compliance, sondern durch Inhalte von Compliance Trainings. Klingt komisch, ist aber wahr. Der Fall Sennheiser/Sonova zeigt, wie interne Trainings unbeabsichtigt zum Katalysator für kartellrechtswidriges Verhalten werden können. Das Bundeskartellamt verhängte Bußgelder von rund sechs Millionen Euro wegen verbotener Preisbindungen im Vertrieb von Premium-Kopfhörern.

Besonders bemerkenswert: Die rechtswidrige Praxis wurde durch eine interne „Code-Sprache“ verschleiert, deren Gestaltung auf kartellrechtliche Compliance Trainings zurückging. Mitarbeiter nutzten das gewonnene Wissen, um verbotene Maßnahmen zu verschleiern. Damit wurde ein Training, das eigentlich zur Prävention gedacht war, zur „Anleitung“ für regelwidriges Verhalten.

Der Fall macht deutlich: Trainings können selbst zum Risiko werden, wenn sie nicht kritisch hinterfragt oder zu formal vermittelt werden. Kartellrechtliche Trainings müssen sicherstellen, dass Teilnehmende die Grenze zwischen legitimer Marktkommunikation und verbotener Preiskommunikation tatsächlich beachten – und nicht nur wissen, wie man sie sprachlich umgeht.

Bundeskongress Compliance 2025 | 6. & 7. November

Workshop-Tipp: „Kartell-Compliance“
Das Update zu Kartell-Compliance mit den aktuellen Entscheidung der Kartellbehörden aus 2025 und drei Hot Topics KI als Kartell-Enabler, Absprachen im Personalbereich und paradoxe Trainingseffekte.

 

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