HR-Compliance gewinnt für global agierende Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Der Fokus auf ESG und die Bestrebungen nationaler und europäischer Gesetzgeber spielen dabei eine essenzielle Rolle. Unternehmen sollen für Risiken in ihrer Lieferkette und Belegschaft zur Rechenschaft gezogen werden. HR-Compliance entwickelt sich vom reinen Rechtskonformitätsthema zum zentralen Pfeiler einer nachhaltigen Unternehmensführung.
Unternehmen mit dezentraler HR-Organisation stehen vor Herausforderungen, besonders wenn Tochtergesellschaften und Standorte in vielen Ländern existieren und die Beschäftigungsbedingungen keinem einheitlichen Rahmenwerk folgen. Es stellen sich Fragen der Rechenschaftspflicht sowie der Effizienz und Effektivität von Prozessen. Ein zentrales HR-Management ermöglicht eine bessere Übersicht über die länderspezifischen Beschäftigungsbedingungen. So lassen sich Verträge und Arbeitsbedingungen weltweit effizienter verwalten und gleichzeitig Kosten optimieren.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet am Beispiel von Siemens Energy, wie die Harmonisierung von Beschäftigungsbedingungen und ein zentrales HR-Management einen strategischen Vorteil im globalen Wettbewerb generieren können.
Ausgangslage
Die Siemens Energy AG ist ein internationales Unternehmen mit Beschäftigten in mehr als 90 Ländern. Aufgrund ihrer früheren dezentralen Struktur und der durch zahlreiche Übernahmen und Zusammenschlüsse geprägten Geschichte besitzt das Unternehmen eine sehr heterogene Vertragslandschaft bei den Beschäftigungsbedingungen. In den einzelnen Ländern werden diese Bedingungen in unterschiedlichen Vertragswerken geregelt. Oft unterscheiden sich diese auch für verschiedene Beschäftigtengruppen.
Die vollständige Übernahme von Siemens Gamesa hat diese Situation zusätzlich verschärft. In vielen Ländern fehlt eine HR-Organisation zur Sicherstellung lokaler arbeitsrechtlicher Vorschriften. Die zersplitterte Vertragslandschaft erschwert zudem eine zentrale Steuerung der Beschäftigungsbedingungen.
Siemens Energy hat daher nach Wegen gesucht, um die arbeitsrechtliche Compliance trotz der historisch gewachsenen Heterogenität in allen Ländern zu gewährleisten.
Ziel und Rahmenbedingungen
Das Projekt „Employment Conditions Harmonization“ zielt darauf ab, eine globale Übersicht über die Beschäftigungsbedingungen in allen Ländern zu schaffen. Diese sollen zentral gestaltet oder einem zentral definierten Rahmen unterworfen werden. Dadurch sollen die Einhaltung der Anstellungsverträge mit dem lokalen Arbeitsrecht sichergestellt und ein globaler Steuerungsansatz für die Beschäftigungsbedingungen verwirklicht werden. Das dient der Sicherstellung globaler Mindeststandards und der Implementierung eines konzernweiten, harmonisierten Ansatzes bei wesentlichen Beschäftigungsbedingungen.
Zudem soll eine stabile und kosteneffiziente Abwicklung der Beschäftigungsbedingungen in den einzelnen Ländern durch einen internen oder externen Anbieter ermöglicht werden. Das umfasst die Erstellung und Verwaltung von Arbeitsverträgen, die Gehaltszahlung sowie weitere zentrale HR-Prozesse wie Einstellungen, Versetzungen und Beförderungen.
Bereits zu Beginn des Projekts war klar, dass ein „One size fits all“-Ansatz für einen global einheitlichen Arbeitsvertrag nicht zielführend ist. Die Rahmenbedingungen, die durch das lokale Arbeitsrecht und die Vertragspraxis der einzelnen Länder vorgegeben sind, sind zu unterschiedlich. Eine vertiefte Analyse der lokalen Beschäftigungsbedingungen und des Arbeitsrechts zeigte jedoch, dass sich viele Themenkomplexe länderübergreifend ähneln. So können viele Aspekte nach einer einheitlichen, länderübergreifenden Logik geregelt werden.
Strategie zur Harmonisierung
Im ersten Schritt identifizierte und systematisierte das Projekt arbeitsvertragliche Themen für eine globale Betrachtung der Beschäftigungsbedingungen. Dazu zählen Arbeitszeit, Arbeitsort, Vergütung, Urlaub und Kündigungsfristen. Diese Themen wurden weiter detailliert unterschieden, etwa durch die Aufschlüsselung der Vergütung in Grundgehalt, variable Vergütung und Zusatzleistungen.
Basierend auf dieser Struktur erfolgte in Ländern mit hoher Mitarbeiterzahl eine detaillierte Analyse der aktuellen Beschäftigungsbedingungen. Vertragsdokumente, HR-Richtlinien und Kollektivvereinbarungen wurden ausgewertet. Der Fokus lag auf der Einhaltung lokaler arbeitsrechtlicher Bestimmungen und der Prüfung, ob vertragliche Regelungen in Unternehmensrichtlinien ausgelagert werden können, um flexiblere Anpassungen zu ermöglichen.
Im dritten Schritt entwickelte das Projekt globale Vertragsprinzipien – sogenannte Global Employment Principles – als Grundlage für länderspezifische Regelungen der Beschäftigungsbedingungen. Dadurch wurde ein Zielbild für die harmonisierten vertraglichen Regelungen definiert. Bei der Entwicklung dieses Zielbildes wurde darauf geachtet, Flexibilität für spätere Anpassungen zu erhalten und gleichzeitig die Compliance mit lokalem Arbeitsrecht und Marktstandards zu gewährleisten.
Die neuen globalen Vertragsprinzipien definieren weltweit geltende Grundsätze für arbeitsrechtliche Themen. Diese Prinzipien sind abstrakter formuliert als konkrete Vertragsbestimmungen und bilden die länderübergreifende Basis für die Regelung eines Themas. Ein Beispiel ist die Probezeit, die innerhalb der gesetzlich zulässigen Höchstdauer genutzt werden sollte. Weitere Beispiele umfassen Versetzungsklauseln, Vergütungsbestandteile, Vertraulichkeitsklauseln und vertragliche Wettbewerbsverbote, die möglichst einheitlich gestaltet werden sollen.
Basierend auf diesen globalen Prinzipien wurde ein Arbeitsvertragsmuster, das sogenannte Global Employment Contract Template, entwickelt. Dieses Muster enthält für jedes arbeitsrechtliche Thema einen generisch formulierten, aber konkreten Vorschlag für eine entsprechende arbeitsvertragliche Klausel.
Das globale Arbeitsvertragsmuster dient nicht zur direkten Anwendung in einzelnen Ländern. Es bildet vielmehr die Grundlage für die Entwicklung länderspezifischer Vertragsmuster. Dafür wird das globale Dokument von einer lokalen Anwaltskanzlei überprüft und an das jeweilige lokale Arbeitsrecht sowie die lokale Best Practice angepasst.
Dieser Top-down-Ansatz ermöglicht eine weitgehend einheitliche Struktur der länderspezifischen Arbeitsvertragsmuster. Dadurch wird auch eine konzernweit möglichst einheitliche und konsistente Regelung der Beschäftigungsbedingungen erreicht.
Anpassungen des Global Employment Contract Template erfolgen nur, wenn lokales Arbeitsrecht oder maßgebliche lokale Best Practices dies erfordern. Eine Differenzierung nach der Mitarbeiterzahl in einem Land ist möglich. In Ländern mit weniger Beschäftigten ist es oft vertretbar, möglichst nah am globalen Muster zu bleiben, sofern keine zwingenden arbeitsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden müssen.
Abschließend wird ein Prozess etabliert, um den laufenden Anpassungsbedarf der Beschäftigungsbedingungen in den einzelnen Ländern zu überwachen. Dies betrifft beispielsweise Gesetzesänderungen. Ziel ist es, die arbeitsrechtliche Compliance sicherzustellen.
Policies
Wo es arbeitsrechtlich möglich und sinnvoll ist, verweisen landesspezifische Arbeitsverträge auf außervertragliche Richtlinien. Das gewährleistet ausreichend Flexibilität, um die Beschäftigungsbedingungen bei veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und sie gegebenenfalls später konzernweit weiter zu vereinheitlichen.
Auch die Richtlinien zu arbeitsvertraglichen Themen wie Arbeitszeit oder Urlaub sollen mittelfristig einheitlicher werden. Sie sollen auf globalen Standards basieren und einer konzernweiten Philosophie folgen. So kann das Unternehmen Beschäftigungsbedingungen global adressieren und definierte Mindeststandards umsetzen. Ein Beispiel ist die Life Event Leave Policy, die konzernweit einheitliche Regelungen zur Elternzeit und zu anderen Themen enthält.
Erfolgsfaktoren und Risiken
Wesentliche Erfolgsfaktoren des beschriebenen Vorgehens sind die frühzeitige Einbindung der lokalen HR-Organisationen und gegebenenfalls der lokalen Rechtsbereiche. Eine transparente Kommunikation über Ziele und Methoden hilft, Missverständnisse zu vermeiden und Widerstände gegen die Zentralisierung von Beschäftigungsbedingungen zu überwinden.
Da in vielen Ländern wesentliche Beschäftigungsbedingungen in Kollektivvereinbarungen geregelt sind, ist eine enge Zusammenarbeit mit der lokalen HR-Organisation unerlässlich. Diese verantwortet in der Regel die Verhandlungen solcher Verträge. Eine konsequente zentrale Steuerung des Projekts mit klaren inhaltlichen Vorgaben ist ebenfalls entscheidend für den Erfolg.
Als Risiko haben sich Widerstände in den lokalen Organisationen erwiesen, sei es in HR oder auf der Leitungsebene. Diese äußern sich häufig in mangelndem oder ungenauem inhaltlichen Input. Ein Beispiel dafür ist die Unvollständigkeit der arbeitsvertraglichen Dokumente, die für die Analyse vor Ort benötigt werden.
Ausblick & Zusammenfassung
Als nächsten Projektschritt plant Siemens Energy, die landesspezifischen Arbeitsverträge in ein digitales Dokumentenmanagementsystem zu überführen – die sogenannte Employment Conditions Library. Diese Plattform ermöglicht es, Arbeitsverträge systematisch und kategorisiert zu speichern, neue lokale Verträge automatisiert zu erstellen, Beschäftigungsbedingungen in verschiedenen Ländern zu vergleichen und einzelne Klauseln unkompliziert zu aktualisieren.
Das Projekt zeigt, dass die sorgfältige Analyse der lokal angewandten arbeitsvertraglichen Regelungen und ihre Ausrichtung auf zentral definierte Grundsätze und Standards wesentlich zur konzernweiten arbeitsrechtlichen Compliance beiträgt. Die geschaffene Transparenz und die Harmonisierung bilden die Grundlage für eine digitalisierte und vereinfachte Verwaltung der Beschäftigungsbedingungen. Dies führt zu einer kosteneffizienten Organisation. Lokale HR-Ressourcen können von administrativen Aufgaben rund um die Arbeitsvertragserstellung entlastet werden. Nicht zuletzt wird damit eine globale Steuerung in Bezug auf wesentliche HR-Themen ermöglicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Compliance & Politik. Das Heft können Sie hier bestellen.