Warum Compliance die Verhaltenswissenschaften braucht!

Verhaltenswissenschaften

Unabhängig, ob man das Aufgabengebiet von Compliance über die Einhaltung von Gesetzen sehr eng definiert oder den Tätigkeitsrahmen auf quasi-gesetzliche Standards, Regelungen oder gar ethische Richtlinien erweitert, befasst sich Compliance im Wesentlichen immer damit die Regelkonformität von Mitarbeitern sicherzustellen. Hinsichtlich der Beantwortung der Frage, wie dies präventiv umzusetzen ist, wird meist intuitiv und unisono mit den Schlagwörtern Kontrolle, Transparenz und/oder dem richtigen Strafmaß (im Folgenden als General Theory of Crime bezeichnet) geantwortet.

Betrachtet man die vorgeschlagenen Präventionsmechanismen allerdings aus der betriebswirtschaftlich wohl entscheidenden Effizienzperspektive, so sind hier Zweifel anzubringen. Insbesondere vor dem Hintergrund der mit Kontrolle einhergehenden Aufwendungen in notwendige Kontrollorgane wie Aufsichtsräte, Compliance-Abteilungen oder Interne Revisionen erscheint dieser Weg nur bedingt als betriebswirtschaftlich sinnvoll. Ferner vermittelt der Rückgriff auf gesteigerte Transparenz, Kontrollen und Strafen unweigerlich den Mitarbeitern ein Menschenbild von Generalverdacht und Misstrauen. Glaubt man heutiger Forschung, so ist gerade ein solches Klima ursächlich für kontraproduktives Arbeitsverhalten und vermindertes Commitment. Insbesondere für Mittelständler, die einerseits nur ein begrenztes Ressourcenbudget zur Verfügung haben und gleichzeitig ein besonders humanes Unternehmensklima als wesentlichen Wettbewerbsvorteil propagieren, können die pauschal vorgeschlagenen Compliance-Mechanismen Kontrolle und Strafe nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Kalkulieren wir das Risiko, erwischt zu werden, immer rational?

Es muss sich also die Frage gestellt werden, ob es Alternativen zu den Ansätzen der General Theory of Crime gibt. Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst notwendig, einen Schritt rückwärts zu gehen und sich mit den menschlichen Gründen der Regelbefolgung zu beschäftigen. Betrachtet man etwa die in den Mechanismen von Kontrolle und Strafe implizierten Gründe für normabweichendes Verhalten, so wird deutlich, dass hier von einem (meist monetär und objektiv) kalkulierenden sowie grundsätzlich eigennutz-orientierten Menschenbild ausgegangen wird. Je höher das Zusammenspiel von durch Kontrolle induzierter Entdeckungswahrscheinlichkeit sowie der mit der Entdeckung einhergehenden Strafe ausfällt, desto geringer ist der Erwartungsnutzen einer Regelübertretung und folglich die Wahrscheinlichkeit, dass die Regel überhaupt übertreten wird.

Ohne zu weit in die dahinterliegende Diskussion einsteigen zu wollen, kann diesem Ansatz über menschliches Verhalten tendenziell zugestimmt werden. Allerdings ist zu beachten, dass diese Grundannahmen eine Vielzahl bislang nur unzureichend geklärter Fragen offen lässt. Insbesondere schüren empirische Befunde aus anderen sozialwissenschaftlichen Teilgebieten Zweifel daran, inwiefern Individuen Gegebenheiten wirklich rational-objektiv kalkulieren oder doch auf subjektive und damit nur teilweise rationale Situationsinterpretationen zurückgreifen. Zudem ist ebenfalls fraglich, ob die (wie auch immer geartete) Kalkulation ausschließlich vor dem Hintergrund monetärer Kriterien geschieht oder ob auch andere soziale oder interne Orientierungen eine handlungsleitende Rolle spielen.

Betrachten wir dabei zunächst die Kalkulationsfähigkeit des Menschen, so müssen wir uns eingestehen, dass diese nur selten dem ökonomischen Ideal entspricht. Hinsichtlich des effizienten und gezielten Einsatzes von Strafen und Kontrollen kann es deswegen wesentlich sein herauszufinden, welche personenimmanenten und situativen Faktoren unsere objektive Kalkulationsfähigkeit beschränken. Es stellt sich die Frage, ob Entdeckungswahrscheinlichkeiten und Strafen überhaupt richtig wahrgenommen werden, und wenn nicht, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um eine richtige Wahrnehmung sicherzustellen? Sollte eine Schaffung solcher Voraussetzungen nicht immer möglich sein, ist zudem zu identifizieren, nach welchen Kriterien Chancen und Risiken intuitiv bewerten werden, um die Kommunikation von Entdeckungswahrscheinlichkeit und Strafe so zu gestalten, dass es der intuitiv-automatisierten Berechnung angepasst ist.

Abbildung 1: General Theoryof Crime vs. verhaltensorientierte Compliance

Sind es nur die monetären Folgen, mit denen wir kalkulieren?

Abgesehen davon, dass Menschen nur teilweise rational Abwägen, ist es ferner ebenso abwegig zu glauben, dass diese Kalkulation immer vor dem Hintergrund einer monetären Zieldimension durchgeführt wird. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass im betrieblichen Umfeld die monetäre Zieldimension eine wichtige Rolle spielt (dabei jedoch meist als Ausdruck tieferliegender Motive), jedoch impliziert bereits der Erkenntnisgegenstand der Norm selbst eine Verknüpfung mit anderen wichtigen motivationalen Zieldimensionen. So sind Normen grundsätzlich Regeln, die im Austausch mit sozialen Interaktionspartnern entstehen und erst dadurch ihre Gültigkeit erlangen. Auch Menschen im beruflichen Umfeld orientieren sich an den von dort agierenden Menschen vorgelebten und akzeptierten (expliziten und impliziten) Regelungen. Die Fragen für die Compliance-Prävention sind folglich, wer solche Regelungen determiniert, welcher Art diese Regelungen sind, in welchen Verhältnis diese Regelungen mit Compliance-relevanten Regelungen stehen und welchen Einfluss die normsetzende soziale Quelle auf den einzelnen Mitarbeiter hat. Folgt man der These des sozialen Charakters der Norm, so kann davon ausgegangen werden, dass mit den richtigen Instrumenten des Recruitings, der Führungskräfteausbildung und der Teamzusammensetzung wesentliche Grundbausteine für die präventive Compliance-Arbeit gelegt werden können.

Schließlich  impliziert jede (für die Compliance-Arbeit relevante) Norm eine dahinterliegende Wertvorstellung von richtig und falsch. Geht diese Wertvorstellung mit der Wertvorstellung des jeweiligen Mitarbeiters konform, so erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass solchen Normen auch ohne Kontrolle und Strafe Folge geleistet wird. Problematisch sind hier allerdings zwei Komponenten: Mitarbeiter mit von der Norm abweichenden Wertvorstellungen und Mitarbeiter, die zwar grundsätzlich mit den Wertvorstellungen der Norm übereinstimmen, diese aber situativ nicht beachten oder befolgen können. Während ersteres Problem durch die richtigen Überzeugungs- und Recruitinganstrengungen gelöst werden kann, impliziert zweiteres Problem, die situativen Bedingungen zu analysieren, wann es Menschen schwerfällt, ihren eigenen Wertvorstellungen zu folgen. Gesicherte Erkenntnisse wann und wie es Menschen schwer fällt, gemäß ihren eigenen Wertvorstellungen zu handeln, lassen Rückschlüsse für die richtige Organisations- und Arbeitsgestaltung zu, welche wiederum dazu genutzt werden kann, die Normeinhaltung auch mit einem Mindestmaß an Kontrolle und Strafe sicherzustellen.

Fazit

Kontrolle und Strafe sind essenziell wichtige, aber mit vielen unerwünschten Nebenbedingungen verknüpfte Möglichkeiten der Prävention von regelabweichenden Verhalten im Unternehmen. Insbesondere für den Mittelstand mit dessen begrenzten finanziellen Ressourcen und meist sehr menschlich-orientierten Unternehmenskulturen kann dieses Instrumentarium nur bedingt als Lösung angesehen werden. Am Lehrstuhl Unternehmensführung & Controlling an der Universität Bamberg wird deswegen versucht, sich wissenschaftlich mit den menschlichen Gründen der Normabweichung auseinanderzusetzen, um so alternative, und dabei möglichst kostengünstige sowie humane Präventionsmechanismen zur Vermeidung von Non-Compliance zu entwickeln. Entscheidend wird hierfür sein, die Grenzen und Variationen der menschlichen Kalkulationsfähigkeit sowie die mit der Normeinhaltung automatisch implizierten alternativen Zieldimensionen zu analysieren und diese Erkenntnisse für eine Compliance-orientierte Organisations- und Managementgestaltung zu nutzen. 

 

 

 

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