Ein Platz an der Sonne

Rezension

Die Schule ist ein hartes Pflaster. Tauschgeschäfte auf dem Pausenhof,  Abschreibe-Abkommen, Allianzen mit den Coolsten – Kinder machen intuitiv alles richtig. Von ihnen lernen wir, dass Korruption zutiefst menschlich ist und völlig okay, so lautet Roland Spitzingers und Julia Daxlers Ausgangsthese für ihren Korruptionsratgeber. Den Platz an der Sonne, wir haben ihn alle verdient. Der Philosophiedoktorand und die Kunstvermittlerin präsentieren mit „Probier’s doch mal mit Korruption“ eine pointierte Anleitung zum Reichwerden. Strafen sind dabei nur eine „kunstvolle Erweiterung des Gesellschaftsspiels Korruption“, man  müsse vor ihnen keine Angst haben. Das Praktische an Bestechungsdelikten ist den Autoren zufolge, dass es kaum Interesse an deren Aufklärung gibt. Jeder von uns kann also Korruptionsprofi werden.

Entdecke den Homo corruptus in dir!

Um einschätzen zu können, ob man selbst zu den Auserwählten gehört, gibt es einen Test – für Journalisten, Fraktionsvorsitzende und Verantwortliche aus Wirtschafts- und Pharmaunternehmen. Ein Einblick: Sie sind Journalist. Welche Geschenke dürfen Sie von Firmen, über die Sie berichten, annehmen? Antwort c) lautet beispielsweise: Vorträge von ThyssenKrupp in der Singita Lebombo Lodge in Südafrika, für 1000 Euro pro Nacht. Und tatsächlich: 2012 nahmen Journalisten des „Tagesspiegels“, der „Neuen Ruhr Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Rheinischen Post“ daran teil, und traten den Verhaltenskodex mit Füßen. Reine „Lustreisen“ müssen immer abgelehnt werden. Das erfährt man in der Fußnote 28.

Insgesamt gibt es 1032 Verweise, die dem „Lehrstück“ das Fundament liefern. Das ist auch klarer Anspruch der Autoren: Im Interview mit Börsen Radio Network erklärt Spitzinger, der Ratgeber diene der Darstellung von Korruption und sei kein Enthüllungsprojekt. Über alle dokumentierten Fällen wurden bereits berichtet. Besser kann man auf die absurden Machenschaften in den Chefetagen wohl kaum aufmerksam machen.

Unter dem Credo „Korruption ist menschlich“ wird der Leser im nächsten Kapitel mit der Historie der Vorteilsgewährung & Co vertraut gemacht. Bestechung ist schließlich eine „uralte Kulturtechnik“, die sich bewährt hat. Als wir 1949 in die Demokratie aufbrachen, gab es auch gleich einen Bestechungsskandal. Die 100 Abgeordneten, die die neue Bundeshauptstadt wählten, kreuzten Bonn an, Favorit war eigentlich Frankfurt. Für diese Entscheidung sollen zwei Millionen Mark geflossen sein. Bis 1999 konnte man übrigens Schmiergeldzahlungen an ausländische Geschäftspartner noch als „nützliche Aufwendungen“ von der Steuer absetzen. Und inländische Privatpersonen legal zu bestechen war bis 1998 kein Problem. Seit dem Antikorruptionsgesetz 2014 hat man nun dazu gelernt und weiß: erst die Arbeit, dann die Geschenke.

Aufbruch in eine neue Welt

Wie kommt man an diese Geschenke? Unter dem Kapitel „Karriereplanung“ erfahren angehende Korruptionsspezialisten welche Voraussetzungen sie brauchen, um erfolgreich zu bestechen und bestochen zu werden. Am ehesten eignen sich Juraabsolventen und diejenigen, die „im Grunde Beratungswissenschaften“ studiert haben, also all jene, die viel feierten, am besten mit Promis, und irgendetwas nebenbei studierten. Die Autoren helfen auch, herauszufinden, welcher Beruf zu einem passt. Aufschluss, ob man zum Politiker (Wildschwein), Manager (Schimpanse), Beamten (Giraffe) oder Berater (Kakadu) geboren wurden, ergibt ein weiterer Test.

Richtiges Netzwerken ist das A und O, denn insgesamt werden drei Viertel aller Positionen aus der Wirtschaft nicht ausgeschrieben. Für professionelles Kontakteknüpfen gibt es zahlreiche Lehrbeispiele, die den Leser „vom ersten Kennenlernen zum gemeinsamen Deal“ führen, angereichert mit Tipps, wie man den „Halo“- und „Mere-Exposure“-Effekt für sich nutzt.

Finanzen, Waffen oder Pharma – was darf’s sein?

In ausführlichen Exposés werden die Vorzüge der Bau-, Finanz-, Waffen-  oder Pharmabranche präsentiert. Für Letztere bietet es sich laut der Autoren an, einfach Krankheiten zu erfinden, oder die Wissenschaft vor seinen Karren zu spannen. Dass dabei nur Ergebnisse herauskommen, die auch etwas bringen, lässt sich leicht regeln. Bei Bayer beschäftigen sich beispielsweise 37.000 Mitarbeiter mit dem Marketing des Pharmakonzerns, 1.600 mit der Forschung. Für den tieferen Einblick gibt es eine Tippliste, wie man mit Studien genau verfahren kann. Kommen dabei nicht die gewünschten Ergebnisse heraus, kann man sie einfach abbrechen, oder „schön schreiben“, wie es einst der Ex-Pharmachef von Eli Lilly tat, um den angeblichen Stimmungsaufheller Prozac in Schweden auf den Markt bringen zu können. Der zuständige Facharzt schwang die Feder und änderte diese Passage: „Von zehn Leuten, die den Wirkstoff  >xyz< einnahmen, bekamen fünf Probanden Wahnvorstellungen und versuchten, sich umzubringen, was vier Probanden auch gelang“, zu folgenden Satz:  „Bei einem Teilnehmer lief alles wie geplant, bei vier Probanden konnte eine Gewichtsreduktion festgestellt werden, und bei weiteren fünf Probanden passierte Sonstiges“.

Sonstiges passiert auch in der Finanzbranche. Lange Arbeitszeiten – in der Londoner Finanzsprache heißt es nicht Arbeitstag, sondern All Nighter – und Kokain gegen die Kultur der Anspannung bringen den Nachwuchs-Banker dem Erfolg näher, lernen wir im „Karriereguide Investmentbanking“. Täglich werden europaweit 350 Kilogramm Kokain konsumiert, in London landen jeden Tag trotz Klärung zwei Kilo davon in der Themse.

Das FIFA-Modell dient den Autoren außerdem als Anlass, ihre Leser Schritt für Schritt in die Verbandgründung einzuführen. Schließlich schafft es der in Zürich sitzende Verband, für 2007 bis 2010 nur 3,1 Millionen Franken abzuführen, obwohl eigentlich 180 Millionen an Steuerzahlungen nötig gewesen wären. Und dank einer Schweizer Spezialklausel ist Bestechung unter Verbandsmitgliedern auch legal.

Krisen, Koffergrößen und kreative Rechnungen

Falls etwas schiefgeht, bieten die Autoren Krisenmanagement an und beruhigen: Ein guter Headhunter rekrutiert auch Leute hinter Gittern, so wie beim Ex-Chef der bayerischen Landesbank, Gerhard Gribkowsky. Er begleitet heute die Strukturierung der Firmenabläufe der Strabag-Tochter in Deutschland. Gut, dass er bis kurz vor seiner Verhaftung Aufsichtsratsmitglied der Strabag war. Freunde sind immer für einen da. Braucht man rechtlichen Beistand, helfen einem die abgedruckten Visitenkarten renommierter Anwälte weiter, die  bereits Wendelin Wiedeking, Jürgen Fitschen und vielen mehr aus der Patsche halfen.

Um „glücklich korrupt“ zu sein, bedarf es noch einiger harter Fakten. Eine Million Hundert-Euro-Scheine wiegen beispielsweise 10,2 Kilo und mehr als 10.000 Euro passen nicht in einen Umschlag. So kann man in Ruhe über Koffergrößen nachdenken. Für etwaige Rechnungen bietet eine Liste mit Beratergehältern kreativen Input. Der österreichische PR-Berater Peter Hochegger bekam etwa für einen „Geistesblitz“ 150.000 Euro. Er  erfand den Namen Rail Jet für die neuen Fernzüge der Österreichischen Bundebahnen.

Investieren könne man sein neu gewonnenes Geld in Kunst, oder in Scheinstiftungen, wie Gerhard Gribkowsky mit der 20 Millionen schweren Privatstiftung „Sonnenschein“. Man könne auch seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen, Steueramnestien nutzen oder seinen Gewinn blütenrein waschen. Auf den Kaimaninseln sind beispielsweise 92.000 anonyme Firmen registriert.

Und was, wenn alles auffliegt? Haft lässt sich gut vermeiden oder verkürzen, wie die Vergangenheit zeigt: Bawag-Chef Helmut Elsner wurde nach 4,5 Jahren seiner zehnjährigen Strafe für haftunfähig erklärt, sein Kollege Johann Zwettler (wegen Untreue verantwortlich für 600 Millionen Euro Schaden) musste wegen eines Attests gar nicht erst die Haft antreten. Eine Entschuldigung kann auch helfen. „Betonen sie dabei Ihren Anstand und ihre Ehrenhaftigkeit“, raten die Autoren, so wie es jüngst Uli Hoeneß vormachte. Stehen die Ermittler vor der Tür, gibt es rechtlich einwandfreie Antworten: „Das ist mir nicht erinnerlich“, „Ich kann diese Frage nicht beantworten, ohne dass ich ein Geschäftsgeheimnis verletzten würde“, oder „Bei mir kostete das so viel“, „Der Erfolg gibt uns ja recht“.

Roland Spitzinger und Julia Daxler führen ihre Leser sorgsam und gutgelaunt durch das komplexe Thema Korruption. Der gelassene Duktus und die abgründigen Lehrbeispiele machen dieses Sammelsurium an Wahnsinnstaten zu einem herrlich-skurrilen Leseerlebnis. Ein satirisches Projekt größter Raffinesse, das seiner eigenen Anleitung  brav Folge leistete! Die Redaktion des Compliance Managers erreichte das Rezensionsexemplar nicht ohne Obolus für künftige Mühen. So genießen nun auch wir unseren Platz an der Sonne.

Roland Spitzlinger, Julia Draxler. „Probier’s doch mal mit Korruption! Die Erfolgsgeheimnisse der Vettern, Freunderln und Amigos“, Riemann, 14,99 Euro.

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